Am 7. Und 8. Februar 1945 durchquerte der Todesmarsch ausgehend vom ehemaligen KZ Außenlager Lieberose/Jamlitz Potsdam. Die beinahe 2000 Häftlinge wurden von SS-Angehörigen und anderen Truppen über Goyatz, Teupitz und Zossen sowie Ludwigsfelde schließlich nach Drewitz getrieben. Nachdem es dort zu Erschießungen von „Marschunfähigen“ gekommen war, führte der Weg der Gefangenen weiter über Potsdam nach Falkensee, um schließlich zum KZ Stammlager Sachsenhausen zu gelangen. Auch wenn sich der genaue Weg der Häftlinge nicht mehr nachvollziehen lässt, so führte der Todesmarsch sichtlich durch das Blickfeld der Potsdamer Stadtbevölkerung.
Bereits vor den Todesmärschen waren nationalsozialistische Verbrechen der Deutschen und so auch der Potsdamer Bevölkerung unübersehbar, mehr noch sie partizipierte an ihnen. Als prägnanteste Beispiel gilt die NS-Zwangsarbeit. So verweist die Historikerin Almuth Püschel darauf, dass allein im Jahre 1944 rund 18.000 Zwangsarbeiter:innen in beinahe allen Potsdamer Betrieben schuften mussten. Dennoch sind Erinnerungen im kollektiven Gedächtnis der Potsdamer:innen an das nationalsozialistischen Massenverbrechen kaum und ein zentraler Erinnerungsort oder ritualisiertes Gedenken nicht vorhanden.
Seit dem letzten Jahr hat sich im soziokulturellen Zentrum freiLand eine Gruppe konstituiert, die sich nicht nur mit dem authentischen Ort und der dort ausgeübten Zwangsarbeit im ARADO-Rüstungsbetrieb während der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt, sondern darüber hinaus einen zentralen Erinnerungsort schaffen will. Seit dem zwanzigsten Jahrhundert war das Gelände in und um das freiLand herum ein industriell genutzter Ort. In der Zeit des Nationalsozialismus befand sich hier die Hauptverwaltung der ARADO-Flugzeugwerke GmbH und eine Produktionsstätte des Konzerns. Auch hier mussten tausende Menschen aus verschiedenen Ländern Zwangsarbeit für den ARADO-Rüstungsbetrieb leisten, die werkseigenen Lager für Zwangsarbeiter:innen gehörten mit zu den größten in der Stadt Potsdam und befanden sich in unmittelbarer Nähe. Ein Großteil der Zwangsarbeiter:innen kam aus der Sowjetunion, insbesondere der Ukraine sowie aus den Niederlanden.
Das Geschichtsprojekt zur Zwangsarbeit bei ARADO im freiLand will an die vorangegangenen Initiativen und Arbeiten anknüpfen und einen erlebbaren Erinnerungsort schaffen. Dazu Hannes Richter: „Die Historie des Ortes, seine zentrale Lage, die vorangegangenen Bemühungen verschiedenster Initiativen und vor allem der bevorstehende Jahrestag der Einweihung des Mahnmals für die Zwangsarbeiter:innen im Dritten Reich auf dem freiLand-Gelände motivieren uns für die Schaffung eines Gedenkortes zum Thema Zwangsarbeit und ARADO.“ Im FreiLand erinnert seit dem 08. Mai 2013 ein Mahnmal an die Millionen Menschen, welche in der Zeit des Nationalsozialismus nach Deutschland verschleppt und zur Arbeit gezwungen wurden.
Für die weiterführende Auseinandersetzung und erinnerungspolitische Arbeit zur Errichtung eines Gedenkortes sucht das Geschichtsprojekt nun Erinnerungen, Dokumente und Materialien über diese Zeit. Von großem Interesse sind laut Hannes Richter vor allem Fotos, Dokumente, Filme, andere Materialien oder auch familiäre Berichte und Erlebnisse im Kontext der NS-Zwangsarbeit bei ARADO. „Vielleicht findet sich ja etwas in den Familienalben, auf dem Dachboden, im Keller oder in den Schränken“, so Hannes Richter. Alle Dokumente und Materialien, die wir erhalten, geben uns sicherlich Aufschluss über die damalige Zeit und werden sensibel behandelt und nur in Rücksprache mit den Besitzer:innen verwendet.