(MAZ) BELZIG Die für den 28. April geplante Feierstunde des Kreistages
Potsdam-Mittelmark zum 60. Jahrestag der Befreiung hat in der jüngsten
Sitzung des Gremiums eine politische Debatte um die historische Einordnung
von Tätern, Opfern und Befreiern ausgelöst.
Anlass des Streitgesprächs war der eingebrachte Beschlusstext, mit dem die
Feierstunde im kommenden Plenum formal besiegelt werden und die inhaltliche
Verantwortung an Landrat Lothar Koch (SPD) übertragen werden sollte. Er hat
versichert, einen würdigen Rahmen und einen geeigneten Redner zu finden. Die
Entstehung und die Bearbeitung des letztlich von Parlamentschef Christian
Stein (CDU) unterzeichneten Antrages wurden schließlich kontrovers
diskutiert. Ursprünglich war die Initiative für das Gedenken von der
PDS-Fraktion ausgegangen, deren Vorsitzende Ilona Hermann sich angesichts
der “oberflächlichen, historisch und politisch unkorrekten” Vorlage, in
deren Betreffzeile vom “60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten
Weltkrieges” die Rede ist, zu einer persönlichen Erklärung veranlasst sah.
Auch wenn der eigentliche Beschlusstext die Befreiung vom Faschismus
benenne, genüge er in der Begründung nicht der angemessenen komplexen
Einordnung. Den Widerspruch der Sozialistin rief vor allem dieser Satz
innerhalb des fünf Zeilen-Textes hervor: “Der Tod von Millionen Soldaten und
Zivilisten, von Gefangenen und Flüchtlingen in ganz Europa wird von uns
betrauert.” — “Hier werden allgemein Opfer betrauert und die Täter nicht
genannt. Dieser Krieg und auch die gezielte Ermordung von sechs Millionen
Juden sind von Deutschland ausgegangen”. Darauf zu verweisen gehöre zum
Opfergedenken, “das muss man deshalb auch öffentlich sagen.” Ebenso sei die
Befreierleistung der Alliierten deutlich zu benennen. “Die Deutschen haben
sich nicht aus eigenem Willen vom Faschismus befreit.” Aus Bertolt Brechts
Antikriegsfibel den bekannten Satz “Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem
das kroch” zitierend, mahnte sie angesichts erstarkender rechtsextremer
Tendenzen eine besonders zweifelsfreie Interpretation der Geschichte an.
Die Befreiung habe nicht allen Deutschen die Freiheit gebracht, warf
FDP-Fraktionschef Hans-Peter Goetz ein und gab die Verantwortung für eine
würdige und umfassende Behandlung der Thematik fürderhin an den Landrat ab.
Seine Fraktionskollegin Hannelore Heinrich sprach sich für ein Gedenken der
Opfer “an allen Fronten und unter der Zivilbevölkerung” aus und zitierte in
russischer Sprache eine Grabsteininschrift im heutigen St. Petersburg: “Über
der Asche der Toten Friede den Lebenden”. Es gebe beispielsweise mit dem
Volkstrauertag genügend Gedenktage für die Opfer aller Fronten, konterte
Axel Müller (Bündnis 90/Die Grünen). Am 8. Mai werde der “Befreiung vom
Hitlerfaschismus und dem Grauen einer produktionsmäßigen
Menschenvernichtung” gedacht.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Manfred Schulz indes gab seine Empörung
angesichts der “Debatten über Selbstverständlichkeiten” zur Kenntnis und
ließ eine konkrete Position im deutlich differierenden Meinungsspektrum um
Priorisierung, Gleichsetzung und Differenzierung von Opfern unausgesprochen.