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»Kultur kostet, aber Unkultur kostet mehr«

F: Für den 10. Dezem­ber haben Neon­azis, die sich »Lausitzer Aktions­bünd­nis« nen­nen, in Sen­ften­berg einen Auf­marsch angekündigt. Ein bre­it­er Zusam­men­schluß hat unter dem Mot­to: »Für Demokratie und Tol­er­anz – Sen­ften­berg gegen Neon­azis« für densel­ben Tag zu Protestver­anstal­tun­gen aufgerufen. Diesen Appell haben Sie mit unterze­ich­net. Was hat Sie dazu bewogen? 

Auch und ger­ade für einen The­ater­in­ten­dan­ten wie mich ist antifaschis­tis­ches Engage­ment selb­stver­ständlich. Es ist Teil mein­er tagtäglichen Arbeit an Kul­tur. Kul­tur ist ja das Gegen­teil von Bar­barei, und Neon­azis ste­hen für Barbarei. 

F: In den ver­gan­genen Jahren und Jahrzehn­ten war eine zunehmende Ent­poli­tisierung der Kul­tur zu verze­ich­nen. Ste­hen Sie mit ihrem antifaschis­tis­chen Engaga­ment allein auf weit­er Flur oder kön­nen Sie sich vorstellen, daß es auch in anderen Städten ein ähn­lich­es Engage­ment Ihrer Kol­legin­nen und Kol­le­gen geben könnte? 

Das muß ich mir – Gott sei Dank – nicht nur vorstellen, das weiß ich aus ver­gle­ich­baren Sit­u­a­tio­nen. Ich nenne nur Peter Sodann in Halle oder die Cot­tbusser Kol­le­gen, die das Stück »Hal­lo Nazi« erar­beit­et haben und immer noch spie­len, obwohl der Spielort von Neon­azis demoliert wurde. 

F: In ver­schiede­nen Auf­führun­gen der »Neue Bühne Sen­ften­berg« wur­den in der let­zten Zeit soziale Grausamkeit­en the­ma­tisiert – beispiel­weise in Ihrer Insze­nierung von Brechts »Heiliger Johan­na der Schlachthöfe«. Sehen sie einen Zusam­men­hang zwis­chen der zunehmenden sozialen Kälte und der Eskala­tion neon­azis­tis­ch­er Gewalttaten? 

Selb­stver­ständlich gibt es da einen direk­ten Zusam­men­hang. Je skru­pel­los­er der Kap­i­tal­is­mus wird, desto schneller schre­it­et die Enteig­nung viel­er Men­schen im Namen des Eigen­tums voran und desto ungerechter wird das Sys­tem auch. Also fan­gen wieder steinzeitliche Verteilungskämpfe an, die von Neon­azis gern benutzt wur­den und werden. 

F: Das soge­nan­nte Lausitzer Aktions­bünd­nis will nach eige­nen Angaben u. a. »gegen kap­i­tal­is­tis­che Nor­mal­itäten vorge­hen« und fordert einen »Nationalen Sozial­is­mus«. Kön­nte diese Forderung der Neon­azis bei nen­nenswerten Teilen der Bevölkerung der Stadt Sen­ften­berg auf frucht­baren Boden fallen? 

Nationalen Sozial­is­mus will hier garantiert kein­er. Gegen kap­i­tal­is­tis­che Nor­mal­itäten vorzuge­hen, kann nur sin­nvoll von Demokrat­en getan wer­den – dazu braucht Sen­ften­berg keine Neon­azis. Im Gegen­teil, das Geld, das am Sonnabend für den Polizeiein­satz aus­gegeben wird, kön­nte sin­nvoller ver­wen­det wer­den. Vom Imageschaden bei Inve­storen ganz abge­se­hen. Kul­tur kostet – aber Unkul­tur kostet viel mehr. 

F: Worin sehen Sie eine Alter­na­tive zur gegenwärtigen 

kap­i­tal­is­tis­chen Normalität? 

In sozialer Gerechtigkeit und Demokratie. 

F: Wird sich Ihr Engage­ment gegen Neo­faschis­mus auf den Spielplan der »Neuen Bühne Sen­ften­berg« auswirken? 

Unser Spielplan ist ohne­hin antifaschis­tisch ori­en­tiert, z. B. mit Stück­en wie »Und mor­gen die ganze Welt«, »Die weiße Rose«, aber auch »Nathan, der Weise«. Unsere näch­ste Pre­miere »Der mod­erne Tod« han­delt von ein­er Kon­ferenz, auf der berat­en wird, wie ein gesellschaftlich­es Kli­ma erzeugt wer­den kön­nte, das ältere Men­schen sich frei­willig töten lassen. Auch das wäre neuer Faschismus. 

* Sewan Lat­chin­ian ist Inten­dant der »Neuen Bühne« in Senftenberg

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