(MAZ, 15.2.) POTSDAM “Er hat Ähnlichkeit mit einem österreichischen Diktator”, hatten die
Mitschüler in der Abitur-Zeitung des Nauener Goethe-Gymnasiums in einer
Mischung aus Belustigung und Verachtung über Christopher H. geschrieben. Der
Abiturient, der sich in Lonsdale- und Thor-Steinar-Kleidung — den
Erkennungsmarken der rechtsextremen Szene — für das Abschlussfoto ablichten
ließ, verewigte sich auf seine Art: “Ihr hört noch von mir”.
Schon bald nach dem letzten Schultag sorgte H. für Schlagzeilen, als nämlich
in Nauen ein Supermarkt bis auf die Grundmauern abbrannte. H. hatte mit
Helfern einen Asia-Imbiss angesteckt. Das Feuer hatte sich schnell
ausgebreitet. Weitere Brandanschläge sollten folgen. Und H. brüstete sich
mit jedem Zeitungsartikel, der dazu erschien.
Der Grund für die Taten war allein Hass auf Ausländer. Deshalb hatte H. im
Juli 2003 in einem nächtlichen Ritual mit zehn weiteren Jugendlichen und
Heranwachsenden auf dem Spandauer Feld, gegenüber dem elterlichen Hof in
Pausin die Untergrundorganisation “Freikorps” gegründet. Ziel der
Vereinigung: Nauen und Umgebung und später das gesamte Havelland sollten
“gesäubert werden”. Die Brandanschläge sollten die wirtschaftliche
Existenzgrundlage von ausländischen Imbissbetreibern zerstören und sie
zwingen, die Region zu verlassen.
Zehn Anschläge auf Imbisse und Geschäfte von Ausländern wurden zwischen
August 2003 und Mai 2004 in Nauen, Falkensee, Brieselang und Schönwalde
verübt. Der Sachschaden beläuft sich auf mehr als 800 000 Euro. Im Juni 2004
wurde das “Freikorps” entdeckt und zerschlagen.
Seit November wird den zwölf Mitgliedern der Prozess gemacht. Erstmals in
Brandenburg hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage wegen Gründung einer
terroristischen Vereinigung erhoben. Es ist die erste Anklage dieser Art in
Deutschland seit der Verschärfung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes. Der
Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Eugen Larres,
forderte gestern in Potsdam vor dem Oberlandesgericht für drei der
Angeklagten Haftstrafen. Neun der Neonazis, die zur Tatzeit zwischen 14 und
18 Jahre alt waren, sollen nach dem Jugendstrafrecht mit Bewährungsstrafen
davon kommen. Durch die Zielsetzung und die dauerhafte Organisationsstruktur
sei der Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung erfüllt, so
Larres. Durch die Taten sollte das Zusammenleben nachhaltig beeinträchtigt
werden . “Das war keine aus dem Suff geborene Idee”, sagte Larres.
Christopher H., der als mutmaßlicher Rädelsführer als einziger in
Untersuchungshaft sitzt, soll für viereinhalb Jahre in Haft, forderte
Larres. H. war an allen Brandanschlägen direkt und indirekt beteiligt. Auf
dem Hof seiner Eltern lagerten die Brandsätze. Dort fanden auch regelmäßige
Treffen unter einer Reichskriegsflagge, mit Neonazi-Musik und Besäufnissen
statt. H. war Initiator zur Gründung der Untergrundorganisation. Er
bestimmte nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft deren Vorgehen. Für
Florian K., der später zur Gruppe kam und dem Larres eine
“schwindelerregende kriminelle Energie” attestierte, forderte er zweieinhalb
Jahre Haft. Marc Sch. soll für zwei Jahre und vier Monate in Haft. K. und
Sch. hatten im Gegensatz zu H. mit umfassenden Geständnissen erheblich zur
Aufklärung beigetragen. Am kommenden Montag sind die Plädoyers der zwölf
Verteidiger geplant.
“Es können sich Zweifel einstellen”, sagte Larres mit Blick auf die
Angeklagten. Wie Terroristen sähen sie nicht aus. Die zum Teil noch
pubertierenden Jugendlichen verfolgten das dreistündige Plädoyer überwiegend
regungslos. Einsicht oder gar Bedauern ließ sich an ihren Gesichtern nicht
ablesen. Die Taten war selbst von Erwachsenen lange Zeit toleriert worden.
Die Mutter von H. hatte schon früh von den Aktivitäten des Sohnes erfahren
und soll damals bloß gesagt haben: “Lasst euch nicht erwischen.”