(KLAUS D. GROTE; MAZ) POTSDAM “Er hat Ähnlichkeit mit einem österreichischen Diktator”, hatten die Mitschüler in der Abitur-Zeitung des Nauener Goethe-Gymnasiums in einer Mischung aus Belustigung und Verachtung über Christopher H. geschrieben. Der Abiturient, der sich in Lonsdale- und Thor-Steinar-Kleidung — den Erkennungsmarken der rechtsextremen Szene — für das Abschlussfoto ablichten ließ, verewigte sich auf seine Art: “Ihr hört noch von mir”.
Schon bald nach dem letzten Schultag sorgte H. für Schlagzeilen, als nämlich in Nauen ein Supermarkt bis auf die Grundmauern abbrannte. H. hatte mit Helfern einen Asia-Imbiss angesteckt. Das Feuer hatte sich schnell ausgebreitet. Weitere Brandanschläge sollten folgen. Und H. brüstete sich mit jedem Zeitungsartikel, der dazu erschien.
Der Grund für die Taten war allein Hass auf Ausländer. Deshalb hatte H. im Juli 2003 in einem nächtlichen Ritual mit zehn weiteren Jugendlichen und Heranwachsenden auf dem Spandauer Feld, gegenüber dem elterlichen Hof in Pausin die Untergrundorganisation “Freikorps” gegründet. Ziel der Vereinigung: Nauen und Umgebung und später das gesamte Havelland sollten “gesäubert werden”. Die Brandanschläge sollten die wirtschaftliche Existenzgrundlage von ausländischen Imbissbetreibern zerstören und sie zwingen, die Region zu verlassen.
Zehn Anschläge auf Imbisse und Geschäfte von Ausländern wurden zwischen August 2003 und Mai 2004 in Nauen, Falkensee, Brieselang und Schönwalde verübt. Der Sachschaden beläuft sich auf mehr als 800 000 Euro. Im Juni 2004 wurde das “Freikorps” entdeckt und zerschlagen.
Seit November wird den zwölf Mitgliedern der Prozess gemacht. Erstmals in Brandenburg hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung erhoben. Es ist die erste Anklage dieser Art in Deutschland seit der Verschärfung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes. Der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Eugen Larres, forderte gestern in Potsdam vor dem Oberlandesgericht für drei der Angeklagten Haftstrafen. Neun der Neonazis, die zur Tatzeit zwischen 14 und 18 Jahre alt waren, sollen nach dem Jugendstrafrecht mit Bewährungsstrafen davon kommen. Durch die Zielsetzung und die dauerhafte Organisationsstruktur sei der Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung erfüllt, so Larres. Durch die Taten sollte das Zusammenleben nachhaltig beeinträchtigt werden . “Das war keine aus dem Suff geborene Idee”, sagte Larres.
Christopher H., der als mutmaßlicher Rädelsführer als einziger in Untersuchungshaft sitzt, soll für viereinhalb Jahre in Haft, forderte Larres. H. war an allen Brandanschlägen direkt und indirekt beteiligt. Auf dem Hof seiner Eltern lagerten die Brandsätze. Dort fanden auch regelmäßige Treffen unter einer Reichskriegsflagge, mit Neonazi-Musik und Besäufnissen statt. H. war Initiator zur Gründung der Untergrundorganisation. Er bestimmte nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft deren Vorgehen. Für Florian K., der später zur Gruppe kam und dem Larres eine “schwindelerregende kriminelle Energie” attestierte, forderte er zweieinhalb Jahre Haft. Marc Sch. soll für zwei Jahre und vier Monate in Haft. K. und Sch. hatten im Gegensatz zu H. mit umfassenden Geständnissen erheblich zur Aufklärung beigetragen. Am kommenden Montag sind die Plädoyers der zwölf Verteidiger geplant.
“Es können sich Zweifel einstellen”, sagte Larres mit Blick auf die Angeklagten. Wie Terroristen sähen sie nicht aus. Die zum Teil noch pubertierenden Jugendlichen verfolgten das dreistündige Plädoyer überwiegend regungslos. Einsicht oder gar Bedauern ließ sich an ihren Gesichtern nicht ablesen. Die Taten war selbst von Erwachsenen lange Zeit toleriert worden. Die Mutter von H. hatte schon früh von den Aktivitäten des Sohnes erfahren und soll damals bloß gesagt haben: “Lasst euch nicht erwischen.”
Haftstrafen im Potsdamer Neonazi-Prozeß gefordert
Generalstaatsanwaltschaft beantragt gegen Initiator der “Kameradschaft Freikorps” viereinhalb Jahre
(Die Welt, 14.2.05) Potsdam — Im Potsdamer Neonazi-Prozeß hat die Generalstaatsanwaltschaft für drei der zwölf Angeklagten mehrjährige Haftstrafen gefordert. Der mutmaßliche Rädelsführer soll viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Für die übrigen neun Jugendlichen wurden gestern im Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Bewährungsstrafen verlangt. Laut Anklage gründeten die Männer aus Ausländerhaß eine terroristische Vereinigung und verübten zehn Anschläge auf Imbisse und Geschäfte von Ausländern im Havelland. Der Schaden betrug über 800 000 Euro.
In seinem Plädoyer sagte Oberstaatsanwalt Eugen Larres, die Gruppe wollte Ausländer vertreiben. Dazu sei 2003 die ausländerfeindliche Kameradschaft “Freikorps” gegründet worden. Die Jugendlichen waren zur Tatzeit zwischen 14 und 18 Jahre alt und werden nach Jugendstrafrecht behandelt. Erstmals klagt Brandenburgs Generalstaatsanwaltschaft eine Gruppe Neonazis als terroristische Vereinigung an. Die Entscheidung habe auch bundesweite Bedeutung, da es die erste seit der Neufassung des Paragraphen 129 a) Strafgesetzbuch im Dezember 2003 sei, sagte Larres in seinem Plädoyer.
Natürlich seien die Angeklagten nicht mit internationalen Terroristen zu vergleichen, räumte Larres ein. Dennoch sei die Kameradschaft keine Idee, “die aus dem Suff heraus” entstand. Es seien sogar der Anführer, ein Schriftführer und ein Kassierer bestimmt worden. Das Gründungsprotokoll sei von elf der Angeklagten mit Initialen unterzeichnet worden. Der Beitrag betrug monatlich fünf Euro.
Die Angeklagten, die während der Verhandlung so gar nicht dem Bild rechtsextremer Gewalttäter entsprachen, hatten die Vorwürfe weitgehend gestanden, den Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung aber bestritten. Dies werde er auch im Plädoyer am kommenden Montag tun, sagte der Verteidiger des Hauptangeklagten, Michael Tschirschke.