Im Fall der kongolesischen Familie, die seit fast acht Wochen in der Gotthardt-Gemeinde Asyl gefunden hat, will die Stadt erneut Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) um Hilfe bitten. Das teilte Oberbürgermeister Helmut Schmidt (SPD) Mittwoch der städtischen Arbeitsgruppe “Altfallregelung” mit. Außerdem ist Schmidt der Meinung, dass die Familie noch längst nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Nachdem die Verwaltung bisher keine andere Möglichkeit sah, als die Familie abzuschieben (Stadtkurier berichtete), wartet sie nun auf ein Signal aus Potsdam, damit die Familie vielleicht doch nicht zurück in den Kongo muss.
Nach Informationen des Stadtkuriers lehnt die Verwaltung die Altfallregelung, die ein Bleiberecht ermöglicht, aus verschiedenen Gründen ab. Unter anderem weil die Familie wirtschaftlich nicht unabhängig sei und weitgehend von Sozialhilfe lebe. Zudem bezieht sie sich auf ein 1993 im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gefertigtes Protokoll. Darin soll sich der Vater José Ndualu als Mittäter einer Vergewaltigung bezichtigt haben.
Der Vorwurf ist laut Bundesinnenministerium belegt. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) teilte in einem Schreiben an Brandenburgs Innenminister mit, Ndualu habe bei seiner Aussage seine “Verfolgungsfurcht damit begründet, dass er an einer Demonstration teilgenommen habe, bei der Flaggen und Fotos Mobutus verbrannt und zwei Frauen vergewaltigt worden seien”. Auf “ausdrückliche Nachfrage” habe der Kongolese dazu erklärt: “Ich habe mich aktiv an der Brandsetzung beteiligt, ich habe aber die dann vergewaltigten Personen nur festgehalten, d. h. Mittäterschaft geleistet.”
Die Asylanträge Ndualus seien aber abgelehnt worden, weil dieser “eine asylrelevante Verfolgung in seinem Heimatland und eine Rückkehrgefährdung nicht glaubhaft gemacht hatte”, so Schily weiter. Mögliche Beteiligungen an einer Vergewaltigung seien “in keiner Phase der Asylverfahren entscheidungserheblich” gewesen. Die evangelische Gemeinde, die den Kongolesen Kirchenasyl gewährt und auch der Anwalt der Familie betonen aber, dass der Vorwurf auf einem Übersetzungsfehler beruht. José Ndualu habe seine Aussage damals in der im Kongo weit verbreiteten Sprache Lingala gemacht, dabei habe der Dolmetscher die Worte “Demonstration” und “Vergewaltigung” verwechselt.
“In Lingala gibt es weder für Demonstration noch für Vergewaltigung ein Wort”, sagt Wa Ngwaya Kasongo von der Botschaft der Republik Kongo in Bonn. Beides könne nur mit anderen Worten umschrieben werden, deshalb seien Verwechslungen nicht auszuschließen.
Das wird auch beim Bundesamt, wo das Protokoll angefertigt wurde, “nicht grundsätzlich” ausgeschlossen. Besonders bei exotischen Dialekten ließe sich nicht immer ein vereidigter Dolmetscher finden, deshalb könne es zu Fehlern kommen, heißt es. Nachvollziehen lässt sich der Wortlaut nicht mehr: Tonbänder mit Aussagen vernichtet das Bundesamt nach fünf Jahren.
Die Landtagsabgeordnete Petra Faderl, die für die PDS in der Brandenburger Arbeitsgruppe Altfallregelung sitzt, hält es indes für “unwahrscheinlich”, dass sich der Familienvater als Mittäter beschuldigt hat. Zugleich übt sie harsche Kritik: “Die Verwaltung hat die nachträglich erbrachten Informationen über die Familie gar nicht berücksichtigt. Hätte sie das getan, hätte sie gesehen, dass das Ehepaar sehr wohl wirtschaftlich unabhängig leben kann.”
Die Stadtverordnete verweist auf einen 2000 gefassten Beschluss der Stadtpolitiker, wonach lange in Brandenburg lebenden Ausländern Bleiberecht gewährt werden solle. “Aber die Stadt will ihren Ermessensspielraum noch immer nicht nutzen und zieht sich auf das erwartete Votum des Innenministeriums zurück.” Ein Vorwurf, dem sich der Anwalt der Familie, Stefan Gräbner, anschließt: “Das ist typisch für Brandenburg, jetzt sollen wieder andere entscheiden. Der Oberbürgermeister hat einfach kein Rückgrat.”
Die Arbeitsgruppe Altfallregelung, die am Mittwoch von je einem Vertreter der Fraktionen SPD, CDU, PDS, Grüne und Gartenfreunde vertreten war, nahm das Votum der Verwaltung zwar zur Kenntnis. Aber sie trägt dieses nach Auskunft von Petra Faderl nicht mit. “Wir haben uns einstimmig dagegen ausgesprochen”, sagt die PDS-Frau, der zufolge heute eine Flugblatt- und Unterschriftenaktion zu Gunsten der vierköpfigen Familie gestartet werden soll.
Deren Erfolg ist ungewiss. Denn bis dato waren sich die Behörden von Stadt, Land und Bund in ihrem Urteil einig. Und das lautet: “Unanfechtbar ausreisepflichtig.”