(MAZ) POTSDAM Das brandenburgische Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus
und Fremdenfeindlichkeit hat gestern in Potsdam den 41-jährigen
Superintendenten von Wittstock, Heinz-Joachim Lohmann, mit 19 von 28 Stimmen
zu seinem neuen Vorsitzenden und Nachfolger des schwer erkrankten Rolf
Wischnath gewählt.
Auf den evangelischen Geistlichen warten offenbar sogleich große
Herausforderungen. Denn nach Informationen der MAZ hat die rechtsextreme und
fremdenfeindliche Gewalt im vorigen Jahr wieder drastisch zugenommen.
Hochrechnungen zufolge ist ein 25-prozentiger Anstieg gegenüber dem Jahr
2002 zu erwarten. Das wären etwa 100 Fälle. Die Gesamtzahl des Jahres 2002
mit 81 Delikten wurde nach Polizeiangaben bereits Ende Oktober 2003 mit 82
Gewalttaten überschritten.
Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus will Lohmann auch die politischen
Parteien künftig stärker in die Verantwortung nehmen. “Wir wollen die
Parteien zwingen, Farbe zu bekennen”, sagte er mit Blick auf die
Landtagswahl im September. Das Aktionsbündnis werde die Parteien “zwingen,
einen Wahlkampf zu führen, in dem man den rechtsextremen Parteien eine klare
Abfuhr erteilt”. Außerdem wolle das Bündnis dafür sorgen, dass “das Thema
Ausländer nicht instrumentalisiert wird, um auf Kosten von Minderheiten
und mit dem Schüren von Angst vor ihnen Wählerstimmen zu gewinnen”.
Darüber hinaus hatte Lohmann in einem MAZ-Interview jüngst betont, der
Umgang von Behörden mit Flüchtlingen könne von Fremdenfeinden als
stillschweigende Bestätigung ihrer menschenverachtenden Ideologie
missverstanden werden. Er wolle sich deshalb bei Innenministerium und
Landkreisen dafür einsetzen, dass Asylbewerber besser behandelt würden.
Überhaupt sind Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nach Ansicht von
Lohmann in der Gesellschaft vielfältig verbreitet und kein Jugendphänomen.
“Wir müssen alle im Blick haben”, betonte er, “natürlich auch Schule und
Jugendkultur, aber auch die Eltern und Großeltern. Es geht nicht nur um die
Gewalt der Straße, sondern auch um die Menschenverachtung in den Köpfen.”
Die jüngste Gewalttaten-Chronologie des Vereins “Opferperspektive”, der als
neues Mitglied in das Aktionsbündnis aufgenommen wurde, belegt diese
Einschätzung nach Auffassung des Vereinsvorsitzenden Kay Wendel
eindrucksvoll. Die rechtsextremen und fremdenfeindlichen Gewalttaten des
Jahres 2003 seien der “Indikator eines erschreckend hohen Levels der Gewalt”
sowie einer “alltäglichen Bedrohung und Ausgrenzung von Minderheiten”.
Diesem Missstand könne “nur durch eine breite gesellschaftliche
Solidarisierung mit den Opfern begegnet werden”, so Wendel.
Die Gewalttaten-Statistik der “Opferperspektive” dokumentiert für das
vergangene Jahr 116 gewaltsame Angriffe mit rechtsextremem oder
fremdenfeindlichem Hintergrund. “51 davon waren fremdenfeindlich motiviert,
53 richteten sich gegen nicht-rechte Jugendliche, betroffen waren insgesamt
151 Opfer”, erläutert Wendel. Trauriger Spitzenreiter sei der Landkreis
Havelland mit 19 Angriffen gewesen, gefolgt von der Uckermark und der
Landeshauptstadt Potsdam mit jeweils 15 Attacken. Als besonders
besorgniserregend bezeichnete Wendel die “Serie von zehn Brandstiftungen an
türkischen und vietnamesischen Imbissständen”, wodurch die ökonomische
Existenz der Inhaber bedroht worden sei.
Einen Angriff mit Todesfolge hat die “Opferperspektive” für das Jahr 2003
nicht aufgelistet. Der Mord an einem Punk in Frankfurt (Oder) am 29. März
sei in der Chronologie nicht erfasst, weil das Gericht ein
rechtsextremistisches Tatmotiv der verurteilten Skinheads nicht zweifelsfrei
erkennen konnte.
Das Beispiel zeigt, dass die “Opferperspektive” die Gewalttaten vorsichtiger
bewertet als in den Vorjahren, als es in der Regel zu erheblichen
Abweichungen zu der offiziellen Gewaltstatistik des Innenministeriums kam,
die morgen in Potsdam präsentiert werden soll. Die Differenz wird für 2003
voraussichtlich etwa zehn Prozent betragen, wie sich aus den bis Ende
Oktober registrierten Fällen ableiten lässt: die “Opferperspektive” zählte
90, das Ministerium 82. Bei 116 Fällen, die der Verein für das gesamte Jahr
angab, dürfte das Ministerium auf etwa 100 Gewalttaten kommen.
Wischnath-Nachfolger steht fest
Heinz-Joachim Lohmann ist neuer Vorsitzender des Aktionsbündnisses gegen
Gewalt
(Tagesspiegel, Sandra Schipp) Potsdam. Der evangelische Superintendent Heinz-Joachim Lohmann ist neuer
Vorsitzender des Brandenburger Aktionsbündnisses gegen Gewalt,
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Er wurde am Dienstag vom Plenum
in Potsdam in das Amt gewählt. Für Lohmann stimmten 19 der 28
stimmberechtigten Mitglieder, es gab 5 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen. Der
41-Jährige löst den bisherigen Vorsitzenden Rolf Wischnath ab, der aus
gesundheitlichen Gründen im vergangenen Jahr zurückgetreten war.
Lohmann sagte, er wolle dafür eintreten, dass der Reichtum der verschiedenen
Kulturen für die Gestaltung des Landes genutzt werde. Die Mehrheit der
Menschen in Brandenburg sei nicht rechts und zeige sich solidarisch mit den
Opfern rechter Gewalt. Eine Herausforderung für die Zukunft seien die
bevorstehenden Wahlen. Alle demokratischen Parteien müssten dabei gegen den
Rechtsextremismus Position beziehen.
Es müsse eine Möglichkeit geben, beispielsweise die “Zupflasterung mit
NPD-Plakaten abzustellen”. In Zukunft müsse auch intensiver darüber
nachgedacht werden, woher der Rechtsextremismus in der Gesellschaft komme.
Rechtsextremes Gedankengut finde sich nicht nur bei Jugendlichen.
Insbesondere bei älteren Menschen über 50 Jahren sitze die
Ausländerfeindlichkeit ganz tief. Daher müssten Strategien entwickelt
werden, wie diese Haltung “aufgebrochen” werden könne. Zugleich kritisierte
Lohmann die Abschiebepraxis und den Umgang von Ausländerbehörden mit
Asylbewerbern. Oft würden Ausländer unfreundlich behandelt und geduzt. Dies
müsse abgestellt werden.
Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) gratulierte Lohmann zu seiner
Wahl. Die Landesregierung fühle sich dem Aktionsbündnis in dem Bewusstsein
verbunden, für ein weltoffenes und tolerantes Brandenburg zu wirken, schrieb
er an den neuen Vorsitzenden. Lohmann sehe es als seine Aufgabe an,
Intoleranz zu bekämpfen. Sein besonderes Augenmerk gelte den Schulen, die
für ihn ein wichtiger Partner hin zu mehr Verständnis und gegenseitiger
Achtung seien.
Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger betonte, das Engagement des
Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus sei nach wie vor eine
Notwendigkeit. Die Kette fremdenfeindlicher Angriffe reiße nicht ab. Ganz
offensichtlich zugenommen hätten Brandanschläge gegen Imbissstuben und
Jugendclubs. Seit Juli 2003 seien neun solcher Übergriffe bekannt geworden.
Diese Anschläge zerstörten nicht nur die wirtschaftliche Existenz der
Inhaber, sondern brächten auch Menschenleben in erhebliche Gefahr.
Rechtsextreme hätten inzwischen neue Strategien entwickelt, um Akzeptanz in
der Bevölkerung zu gewinnen und ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung zu
entkommen. So hätten sie sich unter Demonstrationen gegen den Irak-Krieg
gemischt und den Eindruck erweckt, sie teilten die Forderung der Menschen
nach Frieden. Es gebe zudem begründeten Anlass zu der Sorge, das Thema
Ausländer könnte im Wahlkampf instrumentalisiert werden, um mit dem Schüren
von Angst Stimmen zu gewinnen. Dies gelte für rechtsextreme Parteien, “aber
manchmal auch für andere”, kritisierte Berger.
Lohmann ist Nachfolger von Wischnath im Aktionsbündnis
(LR) Der eva
ngelische Superintendent Heinz-Joachim Lohmann aus Wittstock ist
neuer Vorsitzender des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt,
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Der 41-Jährige wurde gestern in Potsdam mit großer Mehrheit zum Nachfolger
des erkrankten Cottbuser Generalsuperintendenten Rolf Wischnath gewählt.
Lohmann will künftig unter anderem dafür kämpfen, dass bei der Landtagswahl
im September keine rechtsextremistische Partei den Sprung ins Parlament
schafft.
Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger hatte die Arbeit des
bisherigen Vorsitzenden Rolf Wischnath gewürdigt. “Sein Engagement im Kampf
gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit war von herausragender
Bedeutung für einen Bewusstseinswandel in Brandenburg”, betonte sie.