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Lübben bekennt Farbe gegen Extremismus

Dr. Ros witha Sching­nitz (CDU) ist seit dem Jahr 1990 Stadtverord­nete in Lübben. Bere­its damals leit­ete sie als Älteste der Abge­ord­neten die kon­sti­tu­ierende Sitzung. Vie­len Lübben­ern ist sie wegen ihrer Arbeit als Kinderärztin bekannt. 

Seit der Diskus­sion der Lübben­er Stadtverord­neten wegen des bevorste­hen­den Auf­marsches der Recht­en, die sich Lübben als Demon­stra­tions­ge­bi­et am 9. Dezem­ber aus­ge­sucht haben, kreisen meine Gedanken darum, ob sich Geschichte immer und immer wieder als eine fatale Kette von Wieder­hol­un­gen, Ver­führun­gen und Irrtümern darstellen muss. Ob jede Gen­er­a­tion ihre eige­nen Erfahrun­gen machen muss und will und nichts aus der Ver­gan­gen­heit ler­nen möchte. Mein Eltern­haus hat mich geformt. Welch großen Schatz es mir ins Leben mit­gegeben hat – Tol­er­anz –, lerne ich immer wieder schätzen.

Ich darf drei Episo­den aus meinem Leben schildern, die mich nicht wenig prägten:

Erstens: Meine Eltern wider­set­zten sich hart­näck­ig dem Nation­al­sozial­is­mus, obwohl mein Vater ursprünglich alter «Stahlhelmer» , also deutschna­tion­al war. Er durfte während der Naz­izeit auf dem Gym­na­si­um nicht mehr Deutsch, nur Latein und Griechisch lehren. Trotz­dem hat­te er in unserem kleinen Saalfeld solch großen, men­schlichen Ein­fluss. Die Fre­undin mein­er Schwest­er, ein begeis­tertes BDM-Mäd­chen, die erst nach dem Abitur erfuhr, ein halb jüdis­ches Adop­tivkind zu sein, wurde durch seinen Ein­fluss nicht nach Buchen­wald trans­portiert , son­dern fast drei Jahre bis zum Kriegsende in Saalfeld bei ein­er Arbeit­skolonne einge­set­zt. Bei uns zu Hause wurde von dem Konzen­tra­tionslager gesprochen und dass Ander­s­denk­ende dort inhaftiert wur­den. Allerd­ings kon­nten wir uns Ver­brechen von der­ar­tig erschreck­en­dem Aus­maß, wie sie später bekan­nt wur­den, unmöglich vorstellen.
Nach dem Krieg hat mein Vater die Wieder­in­be­trieb­nahme des Gym­na­si­ums geleit­et und hat wegen des Man­gels an unbe­lasteten Lehrern für Mitläufer der NSDAP im Lehramt beim Min­is­teri­um gut gesprochen. Wie viel Mut, Kraft und Verzicht diese Hal­tung meinen Eltern abver­langte, kon­nte ich erst später begreifen. Mein Vater starb 1947 an totaler Erschöp­fung. Meine Mut­ter musste die Fam­i­lie durch die schw­eren Nachkriegs­jahre alleine führen.

Zweit­ens: 1953 gab es ein Ereig­nis, das mich an der Tol­er­anz des noch jun­gen DDR-Staates zum ersten Mal zweifeln ließ. Ich war Schü­lerin der zwölften Klasse und wollte das Abitur machen. Da wur­den vier mein­er Mitschüler auss­chließlich wegen ihrer Ange­hörigkeit zur Jun­gen Gemeinde der Schule ver­wiesen. Ich kon­nte meine Empörung nicht ver­hehlen und sollte nur aus diesem Grund von der Schule fliegen. Aber da hat­te man nicht mit der argu­men­ta­tiv­en Schlagfer­tigkeit mein­er Mut­ter gerech­net. Später musste ich viel zu häu­fig immer wieder erleben, wie vie­len jun­gen Men­schen allein wegen ihrer christlichen Gesin­nung ein höher­er Bil­dungsweg ver­schlossen blieb oder nur auf Umwe­gen möglich war. Ganz zu schweigen von den vie­len poli­tisch Ander­s­denk­enden und ihren oft schw­eren Lebenswegen.

Drit­tens: Nach dem Tsch­er­nobylzwis­chen­fall wurde ich zum dama­li­gen Kreis­arzt gerufen, beschimpft, und mir wurde schlimme Strafe und beru­fliche Ent­las­sung ange­dro­ht. Die Ursache: Müt­ter hat­ten mich gefragt, ob sie unbe­den­klich ihren Kindern Milch und Obst anbi­eten kön­nten. Ich hat­te zu antworten gewagt, dass ich mir hierzu erst ein­mal wis­senschaftlich sachkundi­ge Auskun­ft ein­holen müsste. Allein solch eine Äußerung reichte in einem unfreien Regime aus, um sich verdächtig zu machen.

Nun soll am 9. Dezem­ber – für alle Lübben­er erleb­bar – wieder nation­al­sozial­is­tis­ches Gedankengut sich darstellen kön­nen. In ein­er Demokratie wird so etwas ges­tat­tet! Aber nach den Erfahrun­gen während der Naz­izeit mit sys­tem­a­tis­ch­er Aus­rot­tung ganz­er Bevölkerungs­grup­pen, einem verblendet geführten Zweit­en Weltkrieg, dür­fen wir das nicht ohne Gegen­reak­tion zulassen, auch wenn unsere Demokratie Män­gel aufweist.

Ich bitte alle Lübben­er, ihre tol­er­ante, demokratis­che Hal­tung trotz aller Wenns und Abers am 9. Dezem­ber zu bekun­den und sich um 11 Uhr auf dem Mark­t­platz friedlich einzufinden. 

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