Vor dem Altar steht ein Kreuz aus Kiefernholz, die sichtbare Erinnerung an den Lausitzer Widerstandskämpfer Wilhelm Friedrich Graf zu Lynar. Darauf steht: geboren 3. Februar 1899, gefallen 29. September 1944. Der damals 45-Jährige gehörte zu einer Gruppe von 5000 Menschen, die nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vor 60 Jahren ihr Leben lassen mussten. Lynar wurde abgeurteilt und hingerichtet. Am Mittwochabend gedachten in der Lübbenauer Nikolaikirche etwa 100 Menschen dem Grafen,
in ihrer Mitte auch seine Familie.
“Dieser Gottesdienst ist umstritten”, sagt Pfarrer Michael Oelmann gleich zu Beginn seiner Predigt, den die Lübbenauer Schützengilde gemeinsam mit der evangelischen und katholischen Kirche organisiert
hatte. “Manche erinnern sich nicht gern, was vor 20, 40 oder 60 Jahren war. Erinnerung ist nicht immer bequem.” Damit spielte Oelmann nicht nur auf die Tatsache an, dass sich einige Mitglieder des Gemeindekirchenrates dagegen ausgesprochen haben, mit den Uniformierten
einen Gottesdienst abzuhalten.
Auch den Streit um eine Straßenumbenennung in Lübbenau thematisierte der Pfarrer sehr direkt. Vor kurzem hatte die Stadtverordnetenversammlung
entschieden, dem Widerstandskämpfer im Stadtzentrum eine Straße zu widmen. So soll die jetzige Poststraße, die Markt und Bahnhof verbindet,
nach Lynar benannt werden. Kurz nach dieser Entscheidung gab es eine Unterschriftenaktion, die sich aus Kostengründen gegen eine Umbenennung aussprechen. Mehr als 1200 Menschen unterzeichneten das Protestschreiben.
Für Michael Oelmann ist es undenkbar, sich des Grafen zu Lynar nicht zu erinnern: “In seinem Haus wurde geistig gebaut — an einem neuen Deutschland. Seinerzeit war selbst passiver Widerstand lebensgefährlich.” Oelmann begrüßte es ausdrücklich, dass die
Schützengilde, dessen Ehrenmitglied der Widerstandskämpfer ist, sich dieser Erinnerung nicht verschließt. Die Schützen legten zum Gedenken
einen Kranz nieder. “Wir haben alle gemerkt, wie wichtig Erinnerung ist”, sagt Ernst Krügermann, der Hauptmann der Schützengilde zu Lübbenau. “Auch nach 60 Jahren berührt eine Lebensgeschichte noch unser
Gewissen.” Der prämierte Film der Vetschauer Gymnasiastinnen Anne Kolouschek und Claudia Miehle über das Leben des Grafen Lynar unterstrich Krügermanns Aussage.
“Jetzt können die Verschwörer des 20. Juli 1944 aus dem kulturellen Gedächtnis der Stadt Lübbenau, aber auch der gesamten Lausitz nicht mehr gestrichen werden”, so Michaek Oelmann. Die nach dem Grafen Lynar
benannte Straße sei nun auch äußeres Zeichen, dass sich Lübbenau zu diesem Mann bekenne: “Ich bin stolz, bald auf einer Straße zu gehen, die
seinen Namen trägt”, rief der Pfarrer der Gemeinde zu.
Auch Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel befürwortet die Straßenumbenennung. “Geschichte wird viel zu schnell ausgeblendet. Vielleicht ist es oft besser, sich persönlich zurückzunehmen”, sagte er
in Richtung der Umbenennungsgegner. Allerdings: “Es geht ihnen nicht um das Anliegen, das unterstützen sie. Sie fühlen sich lediglich persönlich betroffen.” Es gehe also nicht darum, die Erinnerung an Lynar ausblenden
zu wollen, sondern um ganz persönliche Interessen. Die will Wenzel den Protestierenden gern zugestehen, verweist jedoch gleichzeitig auf die Entscheidung der Stadtverordneten: “Das war ein knapper, aber
demokratischer Entschluss.” Was er seiner Verwaltung und dem Parlament jedoch ankreidet: “Die Zeit war zu kurz, um das Thema zu diskutieren. Da können wir uns fragen, wieso wir das nicht eher kommuniziert haben.”
Für Guido Graf zu Lynar, dem Sohn des früheren Adjutanten des Generalfeldmarschalls Erwin von Witzleben, ist die Straßenwidmung eine späte Anerkennung: “Ich empfinde das als große Ehre und Bestätigung,
dass wir Lynars nicht mehr als böse Junker gesehen werden, sondern als gute Bürger.” Sein Dank gilt vor allem der Schützengilde, die die Erinnerung an seinen Vater am Leben hält.