Noel Martins Geburtstag — Mahlow bezieht keine Stellung — Rechtsradikalismus gärt weiter
Am 16. Juni 2006, dem zehnten Jahrestag des rassistischen Anschlags, der ihn für immer an den Rollstuhl fesselte, verkündete Noel Martin gegenüber den Medien, im Juli 2007 in der Schweiz den Freitod zu suchen, vorher aber noch ein letztes Mal Mahlow, den Ort, wo sein Leben eine radikale Zäsur erfuhr, besuchen zu wollen.
Angesichts dessen werden wir in den nächsten Monaten Zeugen der wundersamen Auferstehung eines politischen Leichnams werden: das Tolerante Mahlow geht wieder um!
Die Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Mahlow war im Januar 2001 gegründet worden, um den Besuch Noel Martins in Mahlow im Juni 2001 vorzubereiten. De facto fungierte sie als Vorzeigebürgerinitiative und Feigenblatt von Bürgermeister, Gemeindevertretung und Landesregierung. Der Besuch des Birminghamers wurde von diesem Interessenverbund dazu benutzt, Mahlow als einen Ort darzustellen, der gegen rechtsextreme Gewalt auftritt. Am 16. Juni 2001 wurde von der AG Tolerantes Mahlow ein Denkmal für Noel Martin eingeweiht. Es bietet keinerlei Hinweis darauf, dass an seinem Standplatz eine rassistische Hetzjagd ihr fatales Ende nahm.
Ende 2002 hörte die Arbeitsgemeinschaft Tolerantes Mahlow faktisch auf zu existieren, es fanden keine Treffen mehr statt. Das verwundert wenig, hatte die AG doch ihre mediale Funktion erfüllt.
Die Realität freilich sieht anders aus. Rechtsextreme und rassistische Gewalt physischer und verbaler Form gehört weiterhin zum Alltag in Mahlow. Im Herbst 2003 schlugen drei rechtsextreme Jugendliche vor dem Lokal Cheers nahe des Mahlower Bahnhof einen russischen Migranten beinahe tot, seit Ende 2005 ist eine Zunahme rechtsextremer Bedrohungen und Gewalttaten in Mahlow und der Nachbargemeinde Blankenfelde zu verzeichnen. Vor allem an den Bahnhöfen beider Orte ereignen sich immer wieder Übergriffe.
So überfielen Nazis am Abend des 30. Juni 2006 vor dem Mahlower Bahnhof eine Gruppe alternativer Jugendlicher, attackierten sie mit Fäusten, einer Gehhilfe und Flaschen. Der Anführer der Nazis erklärte, dies sei sein Bahnhof, den er seit 1992 „zeckenfrei“ halte und das Problem sei, dass die Jugendlichen keine Nazis seien. In Mahlow will niemand etwas von diesem Angriff, der sich über einen Zeitraum von mindestens 30 Minuten hinzog, mitbekommen haben. Selbst der Inhaber eines nahe gelegenen Imbisses bestreitet, etwas gehört oder gesehen zu haben, obwohl er zu diesem Zeitpunkt geöffnet hatte und Gäste in seinem Lokal das WM-Spiel Deutschland-Argentinien sahen. Auch die Polizei stellte sich in dieser Nacht kein Ruhmeszeugnis aus. Dreimal wurde der Polizeinotruf betätigt, dreimal ging nur der Anrufbeantworter an. Am folgenden Tag rief der Bruder eines der Opfer in der Wache Zossen an, um sich darüber zu beschweren, dass kein Beamter erreichbar war, als sein kleiner Bruder von Nazis verprügelt wurde. Der Beamte kündigte an, am Abend einen Streifenwagen am Mahlower Bahnhof vorbeizuschicken. Damit war der Fall für ihn erledigt.
Das Gros der rechtsextremen Gewalttaten in Mahlow wird auch deshalb öffentlich nicht bekannt, weil die Opfer vielfach aus Angst vor der Rache der Täter davon absehen, die Tat bei der Polizei anzuzeigen oder aber eine Anzeige von vornherein als sinnlos erachten.
Als Ende März 2006 sorgte ein organisierter Naziangriff auf einen Punk auf dem Blankenfelder Bahnhof für die Aufmerksamkeit der Medien. Medienvertreter kamen nach Blankenfelde, um mit dem Bürgermeister und Gemeindevertretern zu sprechen, präsentierten diese das Bild einer Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, die keine Probleme mit rechtsextremer Gewalt hat. Die Gemeindevertreterin Regina Bomke (CDU) erklärte sogar vor Fernsehjournalisten im April 2006, in Mahlow gäbe es „[…] keinen offenen auftretenden Rechtsextremismus. Heute ist die Gemeinde Mahlow ein ganz normaler Ort wie Tausende in der BRD.“ Wie diese Wortmeldung exemplarisch bezeugt, ist die lokale Politik weiterhin mit der Leugnung der Sachlage beschäftigt.
Wir verlangen von den örtlichen Bürgern, dem Bürgermeister, der Gemeindevertretung und der Polizei, dass sie damit aufhören, die rechtsextreme Gewaltproblematik vor Ort zu leugnen und sich ihr endlich in Wort und vor allem Tat zu stellen. Dies ist der einzige Weg, der rechtsextremen Bedrohung zu begegnen.