Eine Presseerklärung von Rathenower Flüchtlingen. Es geht um den morgen stattfindenden Prozess gegen zwei
Flüchtlinge, die für ein Memorandum verantwortlich sein sollen, in dem sich
unter anderem über dem rechten Wachschutz beschwert wurde.
Am 11.3.04 wird die Hauptverhandlung gegen die zwei Asylbewerber in Rathenow
eröffnet. Die Anklage lautet auf „üble Nachrede“. Dieser Prozeß stellt einen
weiteren markanten Einschüchterungsversuch von Seiten verschiedener
Autoritäten Brandenburgs dar. Mit Unter-stützung von Justiz und Behörden
soll erreicht werden, daß die Asylbewerber in Rathenow in Zukunft schweigen
und sich nicht mehr gegen Persönlichkeits- und Menschenrechtsverlet-zungen
sowie gegen schlechte Behandlung in den Unterkünften zur Wehr setzen.
Die Zuschreibung der Täter- und Opferrolle hat in diesem Rechtsfall eine
wahrhaft bizarre Verdrehung erhalten!
Verstärkt ereigneten sich in der Kreishauptstadt Rathenow in den vergangenen
Jahren rassistische Übergriffe auf ausländische Gäste, insbesondere wurden
Asylbewerber/innen des örtlichen AWO Wohnheimes am Birkenweg 2 Opfer von
rechtsradikalen Gewalttätern.
Nachdem eine Gruppe von Bewohner/innen der Asylbewerberunterkunft wiederholt
die AWO-Heimleitung im Frühsommer 2002 zu Gesprächen über die schlechten
Bedingungen im Heim geladen hatte und mehrere Absagen erhielt, schrieben die
Betroffenen im Juni einen offenen Brief, in dem sie die folgenden Punkte
beklagten:
‑einige des hauseigenen Wachschutzpersonals der Firma Zarnikow gehören dem
rechtsradikalen Flügel an, sie sind Mitglieder der bekannten örtlichen
Kameradschaft „Hauptvolk“. Ein Angestellter empfängt während seines Dienstes
wiederholt Besuch von Kameraden in Springerstiefeln und Bomberjacken im
Pförtnerhaus, Heimbewohner/innen werden eingeschüchtert und belästigt;
‑gleichzeitig werden Besucher/innen der Heimbewohner/innen autoritär
grobschnäuzig behandelt und eingeschüchtert, Ausweise werden eingezogen
und Besuche nach 22.00Uhr mit Verweis auf die Hausordnung untersagt.
‑ferner sind Fälle bekannt, wo Briefe geöffnet an die Heimbewohner abgegeben
wurden;
‑wiederholt werden vom Personal unaufgefordert Zimmertüren geöffnet und
wissentlich die Privatsphäre der Heimbewohner/innen verletzt.
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Als Reaktion auf den offenen Brief und erbost über verschiedene
Pressereaktionen erstattete der Geschäftsführer des AWO — Kreisverbandes
Ralph Schröder am 31.7. 2002
Anzeige gegen Unbekannt wegen Verleumdung, Urkundenfälschung und übler
Nachrede. Schröder bestritt die Verbindung seines Subunternehmers Zarnikow
mit der neofaschistischen Kameradschaft „Hauptvolk“. In der Strafanzeige
betont er ausdrücklich, daß es sich bei der Firma Zarnikow um einen
Sicherheitsdienst handelt, “der einen überaus guten Ruf genießt”.
Öffentlich bezichtigte er die Asylbewerber als üble Verleumder seines
Verbandes. Schröders überschwengliche Sympathien halfen nicht die Tatsachen
zu verwischen.
Über einen Bericht des Verfassungsschutzes Brandenburgs gelangte die
Wahrheit zu Tage, dass Teile des Wachschutzpersonals dem Kern der
rechtsextremistischen Szene Rathenows zugerechnet werden müssen.
Auf diese Tatsachen hatten antirassistische Initiativen in Rathenow schon
Jahre zuvor aufmerksam gemacht, ohne Konsequenz.
Die unglaubliche Verschleierungstaktik der AWO-Leitung bezüglich ihres
Subunternehmers und der unwürdigen Bedingungen im Heim steigerte Herr
Schröder mit der Anzeige: er brandmarkt zwei Asylbewerber, Unterschriften
gefälscht oder erzwungen zu haben.
Daraufhin ermittelt die Staatsanwaltschaft im AWO-Heim in Rathenow, wo sie
die selben Asylbewerber befragt, die zuvor von Herrn Schröder zur Rede
gestellt wurden. Es wurden keine Übersetzer beigezogen, obwohl nur wenige
der Verhörten deutsch verstehen. Die
Atmosphäre verängstigte die Vernommenen; einige von ihnen unterzeichnen in
den Protokollen, dass sie sich mit ihrer Unterschrift lediglich gegen
Kakalaken im Haus gewandt hätten und es ansonsten keine Probleme im Heim
gäbe. Somit wurden den vermeintlichen Zeugen ihr Recht untersagt bei der
Polizei und anderen Behörden in einer Sprache auszusagen, die sie auch
tatsächlich sprechen können.
Ganz stillschweigend wurde im Februar 2003 die Wachschutzfirma Zarnikow
durch eine neue ersetzt, weg waren die redlichen Freunde — die Vorwürfe der
Verleumdung und Urkundenfälschung müssen fallen gelassen werden. Aber
offensichtlich ist die Staatsanwaltschaft
in ihrem Verfolgungseifer nicht zu stoppen und erhebt dennoch Anklage wegen
übler Nachrede.
Wir fordern die AWO auf, ihre Klage zurück zu ziehen, sich für die
Verleumdung der Asylbewerber zu entschuldigen, die Sammelunterkunft am
Birkenweg menschenwürdig zu führen sowie Persönlichkeitsschutz und
Menschenrechte in ihren Heimen zu garantieren.
Die Kriminalisierung, Diskriminierung und Einschüchterung der Asylbewerber
durch den AWO–Kreisverband und die Staatsanwaltschaft muß aufhören.
Die Verstrickung des AWO-Kreisverbandes mit rechtsradikalen Exponenten
sowie die
jahrelange Billigung dieses Filzes durch die politisch Verantwortlichen des
Landkreises
Havelland muß restlos aufgeklärt werden – hierzu sollte die
Staatsanwaltschaft ihre Kräfte einsetzen!