Thierse ruft zu Zivilcourage auf
Bundestagspräsident kritisiert Fernbleiben der brandenburgischen CDU bei
Protest gegen Neonazis
(FR) Bei einer Kundgebung der NPD in Braunschweig hat es heftige Konflikte
zwischen Gegendemonstranten und der Polizei gegeben. Bundestagspräsident
Thierse kritisierte die brandenburgische CDU scharf, weil sie sich nicht an
einer Demonstration gegen Neonazis in Halbe beteiligte.
Die Erklärung des brandenburgischen
CDU-Vorsitzenden Jörg Schönbohm, mit einer großen Gegendemonstration bekämen
die Rechtsextremisten zu viel unangemessenes Medienecho, sei ein “peinliches
Argument”, erklärte SPD-Politiker Wolfgang Thierse im RBB-Inforadio. In
Halbe habe in den vergangenen Jahren die Zahl der Neonazi-Aufmarschierer
ohne jede Medienaufmerksamkeit immer mehr zugenommen. Dem müsse Einhalt
geboten werden, sagte der Bundestagspräsident. “Wir haben zu zeigen, dass
wir Demokraten den Neonazis nicht unsere Straßen und Plätze, unsere Sprache
und Gedanken überlassen, sondern dass wir sie verteidigen gegen sie.”
Rund 800 Menschen demonstrierten am Samstag in Halbe friedlich gegen den
Aufmarsch von rund 100 Neonazis. Thierse rief als Gastredner zur
Zivilcourage auf. Die von dem Hamburger Neonazi Christian Worch angeführten
Extremisten wollten sich ursprünglich auf dem Waldfriedhof in Halbe
versammeln, der als größter Soldatenfriedhof Deutschlands gilt. Dies war
ihnen jedoch per Gericht untersagt worden. Es waren rund 1000 Polizisten im
Einsatz.
Thierse sagte, das von den Neonazis praktizierte “Heldengedenken” verletze
noch im Nachhinein die Würde der Toten. Brandenburgs Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD) forderte auf der Kundgebung, “den Rechten keinen
Zentimeter Boden zu überlassen”. Als stellvertretender Landtagspräsident
rief PDS-Chef Lothar Bisky dazu auf, gegen “die Demagogie der Neonazis” die
Stimme zu erheben.
Die Neonazis hatte sich vor dem Bahnhof in Halbe versammelt. Sie wurden von
einem massiven Polizeiaufgebot empfangen und durften sich nur in einem genau
vorgegebenen Bereich bewegen. Worch und andere Extremisten hielten
Ansprachen.
Die rund 1500 NPD-Gegner in Braunschweig versuchten am Samstag, den Zug von
rund 280 Rechtsextremisten aufzuhalten und zu stören. Die Polizei löste die
Blockade der Gegendemonstranten mit einem Wasserwerfer auf. Etwa 65
Gegendemonstranten seien in Gewahrsam genommen worden, während sich die
NPD-Anhänger an die Auflagen hielten, sagte ein Polizeisprecher.
Politischer Konflikt bei Neonazi-Aufmarsch in Halbe
800 Menschen demonstrieren gegen Rechts und für Toleranz / Kulturministerin
Wanka einzige CDU-Prominente
(LR) Ein rechtsextremer Aufmarsch in Halbe im Landkreis Dahme-Spreewald und eine
Demonstration gegen die Neonazis verliefen am Samstag ohne Zwischenfälle.
Während SPD und PDS bei der Veranstaltung eines breiten Bündnisses gegen
Rechts mit Politprominenz vertreten waren, lehnte der brandenburgische
CDU-Landesverband eine Teilnahme ab.
Halbe, die 1300 Einwohner zählende Gemeinde im Landkreis Dahme-Spreewald,
befindet sich am Samstag im Belagerungszustand. Neonazis um ihren Hamburger
Wortführer Christian Worch haben die eingeschränkte Genehmigung für eine
Kundgebung unter dem Motto «Ruhm und Ehre den deutschen Frontsoldaten und
den Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft» erhalten.
Prominenz von SPD und PDS
Ein Aktionsbündnis hält mit einer Demonstration gegen rechte Gewalt und für
Toleranz dagegen. Die Worch-Leute haben 300 Teilnehmer angekündigt. Die
Veranstalter der Kundgebung gegen den Neo-nazi-Aufmarsch rechnen vorab mit
bis zu 3000 Teilnehmern. Am Ende sind Polizei und Bundesgrenzschutz mit 1200
Einsatzkräften aus Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen deutlich in
der Überzahl. Nach Veranstalter- und Polizeiangaben versammeln sich auf dem
Bahnhofsvorplatz knapp 100 Neonazis. Ursprünglich hatten sie auf dem größten
deutschen Soldatenfriedhof mit etwa 23 000 Kriegstoten ihre «Heldenehrung»
zelebrieren wollen. Nachdem Polizei und Gerichte das verboten hatten, ist
die Stätte der Trauer und Besinnung weiträumig für jedermann abgesperrt. Als
am Morgen dennoch sieben Neonazis versuchen, einen Kranz niederzulegen,
hindern sie Beamte in Uniform daran.
Nur wenige Meter von diesem Platz entfernt sind knapp 800 Menschen
zusammengekommen, wenden sich unter den Fahnen von SPD, PDS und
Gewerkschaften, aber auch von verfassungsfeindlichen Organisationen wie der
DKP, gegen den rechten Aufmarsch. Viel Prominenz haben SPD und PDS
aufgeboten. Von der SPD sind Bundestagspräsident Wolfgang Thierse,
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, Fraktionschef Günter
Baaske und die SPD-Genossen aus dem Potsdamer Kabinett, Dagmar Ziegler
(Soziales), Holger Rupprecht (Bildung), Dietmar Woidke (Agrar) und Frank
Szymanski (Infrastruktur) gekommen, von der PDS Bundesvorsitzender Lothar
Bisky. Für die CDU hat nur die Vorsitzende des Kreisverbandes
Dahme-Spreewald, Kulturministerin Johanna Wanka, den Weg nach Halbe
gefunden. CDU-Landeschef Jörg Schönbohm hatte sich bis zuletzt wegen des
Mitmischens von DKP, FDJ und Attac im Aktionsbündnis gegen die Teilnahme
gesperrt.
Ganz unbeachtet will Schönbohm am Ort politischer Auseinandersetzung dennoch
nicht bleiben. Kurzfristig hat er zu einer Pressekonferenz vor Ort
eingeladen. Die Befürworter der Gegendemonstration hätten die Lage nicht
richtig bewertet, meint er. Aus seiner Sicht hätten die Neonazis nur einen
Testlauf für den bereits angekündigten Aufmarsch in Halbe zum Volkstrauertag
am 18. November gestartet. Dass Parteikollegin Wanka als
CDU-Kreisvorsitzende die Reihen der Gegendemonstranten demonstrativ stärkt,
ist für ihn «in Ordnung» .
Offiziell gelassen nimmt Schönbohm auch eine Feststellung des
brandenburgischen Oberverwaltungsgerichtes zum jüngsten
Gedenkstättenschutzgesetz des Landes, das eigens für die Abwehr von
Neonazi-Aufmärschen in der Kriegsgräberstätte in Halbe zugeschnitten wurde.
Das Gesetz gebe allein keine Handhabe, den Waldfriedhof als Versammlungsort
abzulehnen. Lediglich die Konfliktbewältigung beider Veranstaltungen
rechtfertige diesmal die räumliche Beschränkung, so die Richter.
Locker wie vor den Journalisten gibt sich Schönbohm auch, als ihm beim
Abschreiten der Polizeistationen an den beiden Kundgebungsorten eine
Plakette des Aktionsbündnisses angeboten wird. Den Anstecker lehnt er ab,
statt des verlangten einen gibt er der Sprecherin des Aktionsbündnisses,
Karin Weber, großzügig zwei Euro.
Wie sehr es im Innersten des Potsdamer Innenministers grummelt, wird bei
Gesprächen mit einem Polizeiführer aus Nordrhein-Westfalen deutlich. Da
bewertet er das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes als «nicht so schön» ,
und auch für die politisch hochrangigen Teilnehmer des Antinazi-Protestes
findet er kein Ver-ständnis. «Ein kleines Stöckchen» hätten die Neonazis mit
ihrer Kundgebung hingehalten und «der Bundestagspräsident springt gleich
drüber» , grummelt er. Die Hand, mit der Schönbohm die Höhe des
hingehaltenen «Stöckchens» anzeigt, befindet sich dabei nur knapp über dem
Erdboden.
Bestätigung für seine Einschätzung der Lage scheint der CDU-Landeschef
ausgerechnet von Neonazi-Propagandist Christian Worch zu bekommen. Der
bedankt sich nämlich bei seiner Handvoll Getreuen, die nach Halbe gekommen
sind, wie «erfreulich es ist, dass wir bereits mit einer kleinen
Veranstaltung Einfluss auf die Termine von Bundes- und Landespolitiker
nehmen können.»
Für die Tot
en handeln
Von der RUNDSCHAU daraufhin angesprochen, reagiert Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse, gereizt. Weil man solche Neonazi-Veranstaltungen nicht
mehr schweigend hinnehme, sondern Widerstand entgegensetze, würden die
Reihen der Rechten bei solchen Veranstaltungen immer dünner. «Wir Demokraten
haben die Pflicht, Straßen und Plätze zu verteidigen» , so Thierse.
Ausdrücklich bedankt sich SPD-Mann Thierse von der Bühne aus bei CDU-Frau
Wanka im Publikum für ihr Teilnahme an der Neonazi-Veranstaltung. Das
überschaubare Teilnehmerfeld ist für ihn kein Problem. Es sei zwar «Quatsch
und dumm» , vorab Zahlen zu nennen. «Wichtig ist, dass wir mehr sind» , so
Thierse.
Matthias Platzeck fügt mit Blick auf umstrittene Kräfte innerhalb des
Aktionsbündnisses von Halbe hinzu: «Wir können unsere Teilnahme doch nicht
absagen, nur weil der eine oder andere uns politisch nicht passt.» In Halbe
seien 60 000 Menschen kurz vor Kriegsende nicht in einen Helden‑, sondern in
einen sinnlosen Tod getrieben worden, sagt Platzeck. Die Rechten würden das
Andenken und die Ruhe der Begrabenen missbrauchen. «Die Toten können sich
nicht dagegen wehren, also müssen wir Lebenden es für sie tun» , sagt er der
RUNDSCHAU.