FRANKFURT (ODER). Auf einem schäbigen Gelände unweit des Polizeipräsidiums
von Frankfurt (Oder) werden die Gebeine von mindestens 1 300 deutschen
Wehrmachtssoldaten vermutet — begraben unter Asphalt, Betonplatten und
Unkraut. Das verborgene Massengrab haben der Stadthistoriker Joachim
Schneider und Rolf Hübner vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge anhand
sowjetischer Akten nachgewiesen. Niemand zweifelt dies an, doch der Umgang
mit dem Fund stürzt Frankfurt (Oder) in einige Nöte.
Oberbürgermeister Martin Patztelt (CDU) hat jetzt vorgeschlagen, “die Toten
in Frieden ruhen zu lassen”. Zuordnen ließen sie sich ohnehin kaum noch. Der
gläubige Katholik schlug weiter vor, eine Gedenkplatte auf dem Ödland
anzubringen. Außerdem plant er, die zentrale Frankfurter Gedenkfeier zum
Volkstrauertag dieses Jahr dort stattfinden zu lassen. So will die Stadt
vermeiden, das Massengrab zu öffnen. Nicht zuletzt wohl, weil eine
umfassende Suchaktion nach Schätzungen über eine Million Euro kosten würde.
Dagegen protestiert nun Rolf Hübner von der Kriegsgräberfürsorge: “Das ist
Bauland. Da kann man doch keine Kriegstoten liegen lassen”, sagt Hübner
empört. “Wir sind doch ein Kulturstaat .”
Die deutschen Soldaten waren zumeist während des strapaziösen Rücktransports
aus sowjetischer Gefangenschaft gestorben oder im damaligen Frankfurter
Auffanglager umgekommen. Sie waren in den Jahren 1946 bis 1950 eilig
verscharrt worden. Bei der Auflösung des Friedhofes zu Beginn der 70er-Jahre
hatten es die DDR-Behörden dann schlicht versäumt, auch diese Gebeine auf
den Frankfurter Hauptfriedhof umzubetten. Nach der Wende übernahm eine
Hamburger Firma das Gelände, das zuletzt als Lagerfläche genutzt worden war.
Schon Anfang der 90er-Jahre sollen Kanalarbeiter dann bei Grabungsarbeiten
auf menschliche Skelettteile gestoßen sein. Die Firma ist inzwischen
insolvent. Doch eine Skizze mit Lageplan, in dem die Knochenfunde
eingezeichnet waren, erreichte den Historiker Joachim Schneider schon vor
Jahren. Eine anonyme Zuschrift ohne Absender.
Noch keine Suchanfragen
“Das war der Auslöser für unsere Untersuchungen”, sagt Schneider. Mit Hilfe
der Namenslisten aus dem Moskauer Militärhauptarchiv konnten Schneider und
seine Mitstreiter nachweisen, dass über 3 000 deutsche Kriegsheimkehrer in
den ersten Nachkriegsjahren auf dem Friedhof an der Liechtenberger Straße
begraben wurden. Umgebettet wurden aber nur die Gebeine von etwa 1 800
Heimkehrern. Nach den Berechnungen von Schneider liegen die Gebeine von
genau 1 377 deutschen Soldaten unter der Brache. Eigentlich rechnet
Schneider sogar mit einer noch höheren Zahl. “Für das Jahr 1945 fehlen uns
die Akten, obwohl gerade in dieser Zeit viele Heimkehrer verstorben sein
müssten”, sagt Schneider. Denn die Sowjets haben zunächst die schwer
kranken, arbeitsunfähigen Wehrmachtssoldaten entlassen. Genau diese Menschen
aber hätten den Transport häufig nicht überlebt.
Hinterbliebene haben wegen des wahrscheinlichen Massengrabes aber noch keine
neue Vermissten-Suchanfragen gestellt. Weder beim Suchdienst des Deutschen
Roten Kreuzes in München noch beim Volksbund. “Es gab nur vereinzelte
Nachfragen”, sagt Heinrich Rehberg vom DRK-Suchdienst. “Die direkten
Verwandten interessiert meist, wie der Vermisste zu Tode gekommen ist.” Im
Falle der Kriegsheimkehrer, die in Frankfurt (Oder) starben, habe man die
Todesumstände meist schon in den vergangenen Jahrzehnten relativ genau
beschreiben können.
Nach bald sechzig Jahren lassen sich die Gebeine nur noch schwer zuordnen,
zumal die Heimkehrer keine Erkennungsmarken mehr gehabt haben. Und
DNA-Vergleiche mit Menschenknochen sind besonders aufwändig und kostspielig,
sagen Experten. Das Bauland indes ist mit einem vermuteten Massengrab
praktisch wertlos geworden.