Kategorien
Uncategorized

Mauer des Schweigens

 

Witt­stock­er Totschlagsprozeß: 40 Tatzeu­gen, aber keine Klarheit über Schuldige am Tod eines Aussiedlers


(junge Welt, 23.1.2003) Am 8. Jan­u­ar begann vor der Jugend­strafkam­mer des Lan­degerichts Neu­rup­pin der Prozeß gegen fünf junge Deutsche zwis­chen 20 und 22 Jahren. Vier von ihnen sind wegen Totschlags und ver­sucht­en Totschlags angeklagt, der fün­fte wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung. Ter­miniert ist der Prozeß bis zum 31. Jan­u­ar. Bis dahin will das Gericht klären, wer von den Angeklagten den aus Kasach­stan stam­menden Ruß­land­deutschen Kajrat Bati­sow in den Mor­gen­stun­den des 4. Mai 2002 im Witt­stock­er Ort­steil Alt Dabern erschla­gen hat. Kajrats Fre­und Max­im K. trug bei dem Über­griff schwere Ver­let­zun­gen davon. 

 

Entschei­den­den Anteil daran, daß der Prozeß über­haupt zus­tande kam, hat der Tatzeuge Hans-Wern­er B., der die let­zten Minuten des tödlichen Dra­mas aus näch­ster Nähe beobachtet hat­te. Gemäß seinen Schilderun­gen vor Gericht am 14. Jan­u­ar wurde er in den Mor­gen­stun­den des 4.Mai 2002 von »eige­nar­ti­gen Klatschgeräuschen« aus dem Schlaf geris­sen. Durch sein Schlafz­im­mer­fen­ster sah er zwei Män­ner auf der Straße liegen. Ein­er wirk­te leb­los, der andere klopfte mit dem Han­drück­en »wie ein Kampf­s­portler, der aufgibt«, auf den Boden. Nach Aus­sage des Zeu­gen trat­en zwei Jugendliche auf die Wehrlosen ein. Ein Drit­ter habe zwis­chen den bei­den am Boden Liegen­den hin und her gepen­delt, ehe er für einen Augen­blick ver­schwand. Laut Hans-Wern­er B. tauchte besagter Drit­ter nach kurz­er Zeit wieder auf, in den Hän­den einen großen Feld­stein (die Ermit­tlun­gen ergaben später ein Gewicht von 17 Kilo­gramm), mit dem er nacheinan­der auf seine wehrlosen Opfer ein­schlug. Daraufhin habe B.s Frau die Polizei und einen Ret­tungswa­gen gerufen. Noch vor deren Ein­tr­e­f­fen fuhren nach Aus­sage des Tatzeu­gen zwei Autos vor, hiel­ten kurz an und prescht­en dann davon. 

 

Kajrat Bati­sow wurde bewußt­los mit einem Magen- und Leber­riß sowie inneren Blu­tun­gen auf die Inten­sivs­ta­tion gebracht. Am Mor­gen des 23. Mai starb er an den Fol­gen des Angriffs. Auch Max­im K. wurde schw­er ver­let­zt. Der Feld­stein traf ihn an der Hüfte. Noch heute lei­det er an Konzen­tra­tions- und Gedächt­nis­störun­gen in Folge der Schläge und Tritte auf Kopf und Oberkörper. 

 

Am drit­ten Ver­hand­lungstag schilderte Max­im K., wie die bei­den Fre­unde eine Tech­no-Par­ty in der Nähe des Aussiedler­heims in Alt Dabern besucht­en. Als sie gegen vier Uhr mor­gens auf­brachen, passierten sie eine Gruppe von Jugendlichen. »Plöt­zlich spürte ich von hin­ten einen Schlag auf meinen Kopf«, so der junge Mann. Seine Erin­nerung set­zte erst wieder ein, als er am näch­sten Mor­gen im Kranken­haus erwachte. 

 

Über das, was in der Nacht passiert ist, gibt es unter­schiedliche Aus­sagen. Die Angeklagten behaupten, die bei­den Ruß­land­deutschen hät­ten sie durch »Zigaret­ten­bet­teln« provoziert. Obwohl sich mit­tler­weile vier der fünf Angeklagten zum Tather­gang äußerten, ist bis­lang unklar, wer von ihnen den Feld­stein warf. Auch Hans-Wern­er B. kon­nte den Täter nicht iden­ti­fizieren. Drei Angeklagte haben vor Gericht zugegeben, auf die bei­den Ruß­land­deutschen eingeschla­gen und ‑getreten zu haben. Mehr als 40 Zeu­gen sollen während des Prozess­es ange­hört wer­den. Von den bis­lang ver­nomme­nen 35 Par­tybe­such­ern wollte sich jedoch kein­er erin­nern kön­nen, wer den Feld­stein gewor­fen hat. Fest ste­ht nur, daß 30 bis 40 Jugendliche den Über­griff beobachtet haben. Lediglich eine junge Frau soll ver­bal inter­ve­niert und »laßt das, ihr schlagt den doch tot« gerufen haben. 

 

»Wir haben den Ein­druck, daß viele mauern«, sagte bere­its vor Prozeßbe­ginn Neu­rup­pins Lei­t­en­der Ober­staat­san­walt, Gerd Schnittch­er, der Märkischen All­ge­meinen. Die Staat­san­waltschaft ver­mutet zwar Frem­den­feindlichkeit als Motiv der Tat, hat dies allerd­ings nicht zur Anklage gebracht. Der Ver­dacht »kon­nte nicht sauber her­aus­gear­beit­et wer­den«, so Ober­staat­san­walt Schnittch­er gegenüber der Märkischen All­ge­meinen. Sollte sich in der Gerichtsver­hand­lung Frem­den­haß als Tat­mo­tiv her­ausstellen, wird die Anklage auf Mord erweitert. 

 

Die tödliche Eskala­tion, die Untätigkeit der Beobachter und das Schweigen der Zeu­gen hat offen­bar einen ein­fachen Grund: Die bei­den Ruß­land­deutschen störten die Par­tyge­mein­schaft, in den Augen der Tech­no-Tänz­er hat­ten sie dort nichts zu suchen. Bis auf ein Hak­enkreuz auf dem Mobil­tele­fon eines der Angeklagten gibt es allerd­ings keine Indizien für eine Zuge­hörigkeit zu recht­sex­tremen Struk­turen. »Glatzen«, die eben­falls auf der Par­ty waren, hat­ten den Ort des Geschehens bere­its vor der tödlichen Eskala­tion verlassen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot