(Berliner Zeitung, 13. Mai 2004, Jens Blankennagel) POTSDAM. Der Fall, der am Mittwoch vor dem Amtsgericht Potsdam verhandelt wurde, hat etwas Grundsätzliches und wird möglicherweise erst vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden: Darf der Umgang der Behörden mit Asylbewerbern öffentlich kritisiert werden
oder ist dies eine Beleidung von Beamten und muss unterbleiben?
Seit acht Jahren verleiht der Flüchtlingsrat des Landes Brandenburg den “Denkzettel für systeminternen und strukturellen Rassismus”. Damit will der Verein
Verhalten öffentlich machen, das er für “unmenschlich” hält — etwa bei Abschiebungen. Das Motto lautet: Es gibt immer Personen, die solche Amtshandlungen verantworten. So erhielt 1998 auch die verstorbene Sozialministerin Regine Hildebrandt einen “Denkzettel” wegen der von ihr unterstützten
Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. In der Öffentlichkeit fand der Preis nur selten breite Beachtung, es gab auch keine Klagen — bis jetzt.
Der diesjährige Preis ging auch an zwei Beamte der Kreisverwaltung Elbe-Elster, die die Abschiebung
einer fünfköpfigen kurdischen Familie durchgesetzt haben. Gegen diese Preis-Vergabe erwirkte der Kreis eine Unterlassungsklage. Das sah der Flüchtlingsrat als Maulkorb für die Meinungsfreiheit an und zog nun vor Gericht.
Der “ausgezeichnete” zuständige Dezernatsleiter Erhard Haase sieht den Preis nicht als Kritik an der allgemeinen Abschiebepraxis. “Sie werfen mir persönlich Rassismus vor”, sagte er. “Das
ist für mich eine Beleidigung. Ich mache nichts anderes, als die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland
umzusetzen.” Mit dem Preis solle offenbar Druck auf die Behörden ausgeübt werden, damit sie nicht mehr abschieben.
Gesa Schulz, die Anwältin des Flüchtlingsrates, stellte klar, dass niemand persönlich als Rassist
bezeichnet wurde oder so genannt werden sollte. Es gehe um das Vorgehen der Behörden. “Solch scharfe Form von Kritik an Institutionen muss dem Flüchtlingsrat erlaubt
sein”, sagte Schulz.
Richterin Anette Lange überlegte hingegen laut, ob der Verein einen solchen Preis überhaupt vergeben dürfe. Sie will ihr Urteil am 2. Juni verkünden.
“Wir wollen den Preis weiter verleihen”, sagte Judith Gleitze vom Flüchtlingsrat. “Und wir
wollen unsere Meinung und Kritik weiter öffentlich machen dürfen.” Notfalls werde der Flüchtlingsrat dafür bis vors Verfassungsgericht ziehen.