Maulkorb für Brandenburgs bekanntesten Pfarrer
Stasi-Streit mit der Kirche spitzt sich zu
Von Katrin Schoelkopf
(Berliner Morgenpost) Der Konflikt um die Stasi-Überprüfung des Cottbuser
Generalsuperintendenten Rolf Wischnath durch die Evangelische Kirche in
Berlin-Brandenburg (EKiBB) spitzt sich zu und zieht offenbar Kreise bis in
die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) in Hannover. Aus gut
unterrichteten Kreisen in Hannover heißt es, der
EKiBB-Konsistorialpräsident, Uwe Runge, habe Wischnath einen Maulkorb
verordnet und ihn aufgefordert, eine Dienstreise abzusagen, um sich am 14.
Februar bei der Kirchenleitung einzufinden.
Offiziell heißt es dagegen von der EKiBB, der Vorgang Wischnath sei mit der
öffentlichen Erklärung von Bischof Wolfgang Huber, der Cottbuser
Generalsuperintendent habe nicht mit der Stasi zusammengearbeitet, erledigt.
Der Vorwurf Wischnaths, die Landeskirche habe ihn bei ihrer Stasi-Recherche
hintergangen und Verleumdungen geduldet, sei unwahr, sagte gestern der
Sprecher der Landeskirche, Reinhard Lampe. Wischnath sei nach dem Kontakt
von EKiBB-Konsistorialpräsident Uwe Runge mit dem Bundesamt für
Verfassungsschutz Mitte September über die Sachlage informiert worden.
Wischnath, der sich gestern nicht äußern wollte, hatte bereits am Wochenende
erklärt, die Verleumdungen gegen ihn kursierten mit Wissen des Bischofs und
des Konsistorialpräsidenten kirchenintern bereits seit dem Jahr 2000. Weder
Huber noch Runge seien der Behauptung des Oberkirchenrats im Ruhestand,
Uwe-Peter Heidingsfeld, Wischnath sei IM unter dem Decknamen «Theologe»
gewesen, entgegengetreten. Heidingsfeld war offenbar im Jahr 2000 von der
EKD beauftragt worden, kirchlich relevante Aspekte der Westarbeit der Stasi
zu überprüfen. Dabei war der Deckname «Theologe» aufgetaucht und in
Verbindung mit sechs registrierten Berichten innerhalb von sechs Jahren
gebracht worden. Darin standen Begriffe wie SPD, Friedensbewegung,
reformierte Kirche und der westfälische Ort Siegen-Wittgenstein, die vom
Bundesamt für Verfassungsschutz offenbar Wischnath und zwei Personen
gleichen Namens zugeordnet waren. Nach Aussage Wischnaths aber hätten sowohl
der Verfassungsschutz, der Bundesgerichtshof als auch die Gauck-Behörde
wegen mangelnden Verdachts Ermittlungen gegen ihn ausgeschlossen. Überdies
lägen ihm fünf Persilscheine der Gauck-Behörde vor, der letzte vom
vergangenen Freitag. Umso «unglaublicher» sei die Vorgehensweise der Kirche,
die sich im August 2002 hinter seinem Rücken vom Verfassungsschutz beraten
ließ, um die Möglichkeit eines kirchlichen Disziplinarverfahrens gegen ihn
zu eröffnen.
Wischnath, der über seinen Anwalt Akteneinsicht bei der Kirche und dem
Verfassungsschutz beantragt hat, fordert die Kirche auf, den Vorgang von
nicht beteiligten Personen aufklären zu lassen. Indes hat der Landrat des
Kreises Spree-Neiße, Dieter Friese (SPD), in einem Schreiben an Bischof
Huber die «vorbehaltlose Rehabilitation» des Theologen gefordert und der
Kirche «Stasi-Methoden» vorgeworfen.
Maulkorb für Rolf Wischnath
Der Superintendent wurde auf Stasi-Kontakte überprüft — das ist der Kirche jetzt peinlich
(Berliner Zeitung) Jürgen Schwenkenbecher und Marlies Emmerich
COTTBUS/BERLIN. Der Konflikt um den Cottbuser Generalsuperintendenten Rolf
Wischnath hat sich zu einem massiven innerkirchlichen Streit ausgeweitet.
Der 54-Jährige soll nach Informationen der Berliner Zeitung am 14. Februar
auf der Kirchenleitungssitzung angehört werden. Kernpunkt des Konfliktes:
Der studierte Theologe hatte am Wochenende in einem Rundfunkinterview dem
Konsistorialpräsidenten Uwe Runge öffentlich vorgehalten, bei einem Treffen
mit dem Kölner Verfassungsschutz unglaubliche Unterstellungen zu seiner
Person geäußert zu haben. Dieses Interview sorgte in der Kirchenspitze für
erhebliche Verärgerung. Wie es heißt, habe es große Unruhe gegeben.
Runge hat daraufhin Wischnath nach Informationen der Berliner Zeitung noch
am Montag zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen. Eine dienstliche Reise
nach Kuba, die er am vergangenen Sonnabend beginnen und mit einem Urlaub
verbinden wollte, soll Wischnath auf Drängen der Kirche bereits abgesagt
haben. Am Montag wollte sich Wischnath nicht zu dem Vorgang äußern — er
bekam von der Kirchenführung einen Maulkorb verpasst. “Ich habe Anweisung,
nicht mit Ihnen zu reden”, wies er Journalistenfragen ab.
Hintergrund des Streits ist die Überprüfung Wischnaths auf eine mögliche
Verbindung zur DDR-Staatssicherheit, die von der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg betrieben wurde. Initiiert wurde die Überprüfung — ohne
Wischnath in Kenntnis zu setzen — spätestens im Jahr 2000, wie aus internen
Kirchenunterlagen hervorgeht. Wischnath selbst erfuhr erst im vorigen
September allgemein von den Vorgängen. Am 22. Januar bekam er erstmals
Akteneinsicht.
Anlass für die Stasi-Überprüfung Wischnaths war angeblich der IM-Name
“Theologe”, der sich in der elektronischen Stasi-Datenbank Sira befand. Erst
1998 konnten die Informationen auf dem Datenträger entschlüsselt und lesbar
gemacht werden. Zugeordnet werden konnte “Theologe” jedoch nicht, weil das
passende Klarnamenverzeichnis während der Wende zum US-Geheimdienst CIA
gelangte. Gesichert ist nur, dass der Vorgang “Theologe” bis 1989 nicht
abgeschlossen wurde. Und die CIA erteilt Auskünfte bis heute nur zögerlich.
In Kirchenkreisen heißt es zum Fall Wischnath: “Die Aktenlage ist sehr
dünn.”
Offen bleibt, warum Konsistorialpräsident Runge Kontakt zum Bundesamt für
Verfassungsschutz in Köln suchte. Dort traf sich Runge am 1. August 2002 mit
zwei Beamten. Einer von ihnen war mit der Sira-Datei befasst, der andere war
Spezialist für Rechtsextremismus. Runge soll dabei den Tipp erhalten haben,
sich bei seinen Nachforschungen mit früheren Stasi-Leuten zusammenzusetzen.
In der Kirchenführung wird jetzt versucht, die Stasi-Überprüfung Wischnaths
als normal herunterzuspielen. Tatsächlich wurde Wischnath in den 90er-Jahren
bereits mehrfach auf Stasi-Kontakte überprüft — 1993, 1994 und 1996. Fündig
wurde die Gauck-Behörde damals nicht. Inzwischen gibt es zwei weitere
Auskünfte der Gauck-Behörde, eine davon beantragte Wischnath selbst. Am 24.
Januar bekam er seinen Persilschein. Die fünfte Anfrage stellte Mitte
Oktober Runge. Die Antwort traf Ende Januar ein. Diesmal stand dort zu
lesen, dass der Name Rolf Wischnath von der Staatssicherheit erfasst war -
nicht aber, in welchem Zusammenhang dies geschah.
DGB besorgt über Angriffe auf Wischnath
(MOZ) Als «politisch unerträglich» und «besorgniserregend»
kritisiert DGB-Landeschef Dieter Scholz Angriffe auf den Cottbuser
Superintendenten Rolf Wischnath. Der Kirchenmann sei für viele in
Brandenburg und Berlin ein «Vorbild in seinem Engagement für Frieden, Schutz
von Minderheiten, Demokratie und gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit»,
sagte Scholz am Dienstag. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der
Generalsuperintendent wegen seiner engagierten Arbeit als Vorsitzender des
brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit diskreditiert werden solle.
Um die Stasi-Überprüfung Wischnaths war am Wochenende ein offener Streit
entbrannt. Wischnath hatte gesagt, er fühle sich von der Evangelischen
Kirche in Berlin-Brandenburg übergangen. Sie sei den Hinweisen auf eine
vermutete Stasi-Tätigkeit ohne sein Wissen nachgegangen und habe ihn auch
nicht darüber informiert. Bischof Wolfgang Huber hatte zuvor erklärt, die
Kirche habe die Hinweise in Zusammenarb
eit mit Wischnath überprüft. Es habe
sich wie erwartet gezeigt, dass es von Seiten Wischnaths keine
Zusammenarbeit mit der Stasi gegeben habe.
Scholz verurteilte das Vorgehen der Kirche als «vollkommen inakzeptabel».
Bereits Mitte der 90er Jahre sei ein entsprechender Verdacht von der
Gauck-Behörde und der Bundesanwaltschaft verneint worden. Der DGB-Landeschef
forderte die Verantwortlichen auf, das Ansehen Wischnaths
wiederherzustellen.
Affäre Wischnath: Kirche gibt heimliche Überprüfung zu
Erst geleugnet, dann gebeichtet: Bischof Huber informierte Superintendent erst später über Treff mit Verfassungsschutz
(Tagesspiegel) So richtig kann Wolfgang Huber seinen gegenwärtigen Winterurlaub
wohl nicht genießen. Trotz zahlreicher Anfragen wollte sich der
Landesbischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg auch gestern
nicht zum Streit um den Cottbuser Generalsuperintendenten Rolf Wischnath
äußern. Dieser ist empört, weil die Kirchenleitung ihn zunächst ohne sein
Wissen auf eine Tätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst überprüft hat.
Bischof Huber hatte zuvor erklärt, dass diese Prüfung gemeinsam mit
Wischnath stattfand, und sich der Verdacht “wie erwartet” nicht bestätigt
habe. Wischnath aber fühlt sich hintergangen. Sein Bischof hatte offenbar
zugestimmt, dass der Konsistorialpräsident Uwe Runge — in Kirchenkreisen
nicht gerade als Freund Wischnaths bekannt — sich in Köln mit Vertretern des
Bundesamtes für Verfassungsschutz traf. Hubers Sprecher Reinhard Lampe
bestätigte jetzt dem Tagesspiegel, dass dieses Treffen tatsächlich Anfang
August stattfand, Wischnath aber erst Mitte September von Huber und Runge
über den Verdacht gegen ihn informiert wurde. Dafür habe es schlichte
organisatorische Gründe gegeben, sagte Lampe: Einer der drei Kirchenleute
sei immer im Urlaub gewesen. Außerdem habe sich Konsistorialpräsident Runge
in Köln erst einmal kundig machen wollen, ob der Verdacht gegen Wischnath
überhaupt eine Grundlage habe. Schließlich hatte sich dieser, wie viele
Kirchenleute, schon nach der Wende von der Gauck-Behörde überprüfen lassen -
sogar mehrfach. Dass der aus Nordrhein-Westfalen stammende Wischnath jetzt
in Verdacht geriet, hängt mit der Auswertung der so genannten Sira-Datenbank
durch die Evangelische Kirche zusammen. “Sira” war sozusagen das
elektronische Inventarverzeichnis der Akten, die von der
Stasi-Auslandsabteilung (HVA) angelegt und in der Wendezeit fast komplett
vernichtet wurden. 1998 wurde “Sira” durch Computerexperten wieder
hergestellt, doch in dem Verzeichnis standen nur Decknamen. Die dazugehörige
Klarnamendatei, die so genannte “Rosenholz”-Kartei, hatte sich der
US-Geheimdienst CIA gesichert. Nur scheibchenweise gelangten in den
vergangenen Jahren Informationen daraus an den Bundesverfassungsschutz und -
nach einer Intervention der rot-grünen Bundesregierung — auch an die
Gauck-Behörde. In der Sira-Datei hatten sich Hinweise auf eine Quelle mit
dem Decknamen “Theologe” gefunden. Die entsprechende Akte enthält sechs von
Experten als “dürftig” eingeschätzte Berichte. Sie beziehen sich unter
anderem auf die Kontakte zwischen der westdeutschen Evangelisch-reformierten
Kirche und der Friedensbewegung der DDR. Rolf Wischnath, der in Göttingen
Theologie studierte und unter anderem als Pfarrer in Soest arbeitete, hat
nie verheimlicht, dass er seit 1963 häufig in der DDR war. Als Mitglied des
Sozialistischen Hochschulbundes, der SPD und verschiedener Friedensgruppen
hatte er nach eigenen Aussagen auch Kontakte zu DDR-Bürgern. Dass das
ausgereicht habe, um ihn als Stasi-Spitzel zu verdächtigen, wertet der
Cottbuser Generalsuperintendent als Vertrauensbruch. Dabei kann sich
Wischnath der Unterstützung durch viele Kirchenleute sicher sein — mehr
noch: “Rolf Wischnath ist nicht nur bei Christen sehr beliebt, seine klaren
Worte zu politischen und sozialen Fragen stehen unserer Kirche gut zu
Gesicht”, sagt der Spremberger Pfarrer Johann Jakob Wergin. Mit den klaren
Worten ist seit gestern erst einmal Schluss. “Ich darf mit Ihnen über diese
Angelegenheit nicht mehr reden”, sagte Rolf Wischnath auf
Tagesspiegel-Anfrage. In Kirchenkreisen ist von einem “Maulkorb” durch seine
Vorgesetzten die Rede.