Die Kameraderie geht ja nicht ins Theater, jedenfalls nicht in ein Staatstheater. Sie besucht allenfalls Schmierenoperetten, damit der Schweiß der Jagd auf Undeutsches rascher trocknet. »Mein Kampf« des A. H. liest diese Bagage der Verirrten und Elenden unkommentiert. Und ganz böse wird dies Alt-und Jungvolk, wenn Hakenkreuzlergrößen beleidigt werden. Sie mit Spott zu überschütten, schmerzt besonders – braune Kehlen schreien dann nach Rache. Aber was soll ein Stück wie George Taboris »Mein Kampf«, das den rechten Vollidioten gern ihren Hitler austreiben würde, auf dem Theater, wo die moderne »Führer«-Klientel abwesend ist? Will es das denn? Es ist anders.
Wer einen verhöhnten Hitler rechtzeitig sieht und begreift, der geht besser gewappnet in die Pause auf den Schulhof, wo die Rechtsrock-CDs getauscht werden, von der Landser-Band und ähnlichem. Antifaschistische Kunst zu zeigen, müßte zur heiligen Pflicht werden. Wider das Kleinreden des großdeutschen Verbrechertums! Wider die Hatz auf Ausländer! Der Staat muß die Lehr-und Ausbildungspläne ändern, zum Beispiel: Kein Schüler oder Student schließt die Lehranstalt ab, ohne den Chaplin-Film »Der große Diktator«, den Stanley-Kramer-Streifen »Das Urteil von Nürnberg« und zehn DEFA-und Mosfilmstreifen zum Thema gesehen zu haben. So wie einst der DDR-Bub, das DDR-Mädel »Der Untertan« von Heinrich Mann sehen und lesen mußten. Erziehung des Menschengeschlechts!
Wie Chaplins Film zeigt auch Taboris Farce, die am Freitag in Cottbus Premiere hatte: Kaum ist die Kreatur aus dem Schoß, fängt sie zu knurren und zu heulen an – wie ein Hund, aber der potentielle Mörder in ihr ist Mensch wie du. In Hitler, dem Anstreicher, bellt der Verbrecher nicht, bevor der Judenhasser dem Juden sich anverwandelt, sich seiner Dienste bedient, mit ihm paktiert. Auch Hunde sind sentimental.
Eine schauerlich-süßliche Jugendstory enthüllt sich auf der Bühne, bissig, spöttisch. Hitlers Maltalent wird beleidigt. Die Wiener Kunstakademie lehnt die Aufnahme des vermeintlich ästhetischen Heißsporns ab. Das bringt den napoleonisch geifernden Adolf auf Abwege. Die Ratte fällt in den Armenkeller von Juden und nährt sich an der geringen Habe Schlomos.
Hitler und Schlomo Herzl, so der volle Name – das ist der Kern der Geschichte. Regisseur Christoph Schroth, über Jahre Intendant des Cottbuser Staatstheaters, kostet die Konstellation in vollen Zügen aus. Hohngelächter, vorwitzig wie hintergründig, auf den späteren Usurpator ist Leitmotiv. Konturen des potentiellen Massenmörders schauen in jeder Phase, jedem Winkelzug durch. Spielort ist eine marode Kellerbehausung mit Stahldoppelbetten, Tisch, Stühlen, Tür zum WC und ausgestopftem Huhn, das sogar gackern kann und freilich auf die Schlachtbank muß. Wer rein will in den Keller, muß die Treppe herunter steigen. Manchmal ein Drahtseilakt. Für Tage neues Heim Hitlers, das bald auf seine Befehle wartet.
Schlomo versorgt den exzentrischen Jüngling mit Brot, auch mit geistiger Nahrung. Zu seinem Unglück empfiehlt er ihm gar, in die Politik zu gehen. Welch Initial der eigenen Ausrottung. Auf der Grenze liegt bekanntlich der fruchtbare Ort. Tabori scheut sich nicht, dem Puckern im Hitlerschen Winkelherz Sprüche jüdischer Weisheit anzuheften, eine Verbindung, die nötig ist, um das Absurde der Vorgänge hochzutreiben.
Zum Zuge kommen hochmotivierte, vorzügliche Schauspieler. Die Schlomo-Rolle spielt Wolf-Dieter Lingk, immer etwas gebückt, fast untertänig, freilich ungleich schlitzohriger, gescheiter als sein satirisches Gegenüber. Die Weisheit einer ungeschützten Welt wohnt in dieser Rolle. Was dieser scheinbar unbeholfe Bücherjude alles ertragen muß. Doch immer weiß er sich aus der Affäre zu ziehen. Plastisch die Szene mit dem splitternackten Gretchen (Teresa Waas): Wie es dem verschämten, vor Selbstvorwürfen zitternden Schlomo die Fußnägel abkaut. Gretchen wird eine vom BdM, aber sie lernt, das böse Spiel im Keller zu durchschauen, und verweigert sich schließlich, mit den Wölfen zu heulen.
Restlos verquarkt der Charakter, den der hochbegabte Kai Börner als Junghitler gibt. Eine Leistung, die, anders als Chaplins geschmeidiger Diktator, das Infantile, Jungenhafte der Figur wie das Maschinelle des Körpers und der Gesten herausarbeitet. Da rollt schon der ferne Mörder mit den Augen, da bellt aus dem Mund schon das Raubtier. Das ganze verquollene Vokabular im Hitlerschen Dunstkreis zeigt sich auch bei Himmlischst, Synonym für Himmler, von Jonas Hartmann frech-militant ans Publikum direkt adressiert, und bei Frau Tod (Susanne Thiede), der Nymphomanin des Sterbens. Ihr Gang, den verzweifelten Schlomo zurücklassend, mit Hitler und Himmler die Stahltreppe hinauf in die Hölle, die Hand zum Hitlergruß erhoben, gehört zu den eindringlichsten Szenen der Aufführung.
»Mein Kampf« ist entlarvender als das meiste Künstlerische, das von Hitler handelt. Taboris Wurf von 1987 konterkariert schlagend jenes unsägliche Meisterwerk, das sich »Der Untergang« schimpft, ein Film, der so jämmerlich ist wie sein Hauptdarsteller Bruno Ganz, der mit dieser Rolle vor der Welt bewiesen hat, wie elend verkommen doch die Kreatur Schauspieler ist, wenn sie nicht mehr draufschaut, was sie da eigentlich spielt.