Der Verein Opferperspektive hat in Kooperation mit anderen Initiativen für das Jahr 2005 insgesamt 128 rechtsmotivierte Angriffe gezählt. Einem Rückgang der rassistisch motivierten Angriffe steht eine deutliche Zunahme von Angriffen auf nicht-rechte Jugendliche und Linke gegenüber, vor allem in Potsdam und Fürstenwalde.
Mit 128 rechtsmotivierten Gewalttaten wurde annähernd das Niveau des Jahres 2004 erreicht, als 137 Angriffe gezählt wurden. 179 Menschen wurden verletzt, mindestens 81 weitere Menschen befanden sich in Gruppen, die von rechten Gewalttätern angegriffen wurden. Unter den 128 Angriffen waren 93 Körperverletzungen und vier schwere Körperverletzungen, wovon eine von der Staatsanwaltschaft Potsdam als Mordversuch gewertet wurde. Dazu kamen 15 Nötigungen und Bedrohungen sowie neun Sachbeschädigungen und vier Brandstiftungen. 46 Angriffe waren rassistisch motiviert, 75 richteten sich gegen nicht-rechte Jugendliche und Linke, ein merklicher Anstieg um 19 Angriffe gegenüber dem Vorjahr.
Der Rückgang von rassistisch motivierten Angriffen scheint sich zum einen in Potsdam und Cottbus sowie im Landkreis Teltow-Fläming zugetragen zu haben. Zum anderen ist er zurückzuführen auf die Ergreifung der »Kameradschaft Freikorps«, die im Havelland systematisch ausländische Imbisse in Brand gesetzt hatten, sowie einer weiteren militanten rechten Gruppierung im Oderbruch, die im Jahr 2004 Sachbeschädigungen an Imbissen verübte.
Signifikant ist hingegen die Zunahme der Gewalt gegen nicht-rechte Jugendliche und Linke. Dafür ist vor allem die Angriffsserie in Potsdam im Sommer 2005 verantwortlich, wodurch Potsdam mit 22 Angriffen die unrühmliche Spitze in Brandenburg einnimmt. In Fürstenwalde spitzte sich die Lage am Bahnhof in den letzten beiden Monaten des Jahres soweit zu, so dass nicht-rechte Jugendliche fast täglich Anpöbeleien, Bedrohungen und gewalttätigen Angriffen ausgesetzt waren. Eine neue Qualität erreichten gezielte Angriffe von Rechtsextremisten auf linke Jugendclubs, so im Januar ein Sprengstoffanschlag in Bernau, im Mai ein Überfall in Cottbus und im Juni ein versuchter Brandanschlag in Premnitz.
Die Zählung der Opferperspektive spiegelt jedoch nur bedingt die Lage in Brandenburg wieder. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen veröffentlicht die Polizei nur einen Teil der von ihr registrierten Gewalttaten. Das trägt dazu bei, dass ca. 40 % der polizeilich registrierten rechten Angriffe für die Opferperspektive unbekannt bleiben. Dies zusammengenommen mit dem Dunkelfeld von Angriffen, die aus Angst vor Rache der Täter nicht angezeigt werden, – die Lage in Brandenburg würde sich vermutlich ganz anders darstellen. Aussagen über Tendenzen sind demnach nur unter Vorbehalt möglich.
»Auch wenn Jugendstudien feststellen«, so Kay Wendel, »dass die Attraktivität der rechten Jugendkultur im Durchschnitt nachlässt, so wäre eine Entwarnung völlig verfehlt. Rechte Gewalt ist nach wie vor unerträglich, in manchen Regionen mehr als in anderen, besonders für nicht-rechte Jugendliche und Flüchtlinge. In bestimmten Städten sind Rechtsextremisten so selbstbewusst wie schon Jahre nicht mehr. Sie machen verstärkt Jagd auf alle, die unter ihr Feindbild ›Zecken‹ fallen. Damit meinen sie alle Jugendlichen, die nicht ihrer verblendeten Idee von ›deutsch sein‹ entsprechen. Solange die Gesellschaft diese Gewalt ignoriert oder als jugendtypische Rivalitäten abtut, werden die rechten Gewalttäter weiter machen.«