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Zeitzeugengespräch mit Willi Frohwein

Im Rah­men der derzeit im Stadthaus gezeigten Ausstel­lung zur Geschichte des Tages der OdF find­et am Mittwoch, 1.2.06 19 Uhr im Stadthaus, Raum 3.074 eine Ver­anstal­tung mit dem Zeitzeu­gen Willi Fro­hwein statt

Willi Fro­hwein wurde als Deutsch­er geboren, katholisch getauft und mit 12
Jahren zum «Hal­b­ju­den» erk­lärt. Dass die Bürokratie in Auschwitz ihn
wieder offiziell als Deutschen deklar­i­erte, ret­tete ver­mut­lich sein
Leben.
Willi Fro­hwein ist ein gefragter Mann. Kaum ein Monat verge­ht, in dem der
80-Jährige nicht irgend­wo auftritt. Bei Gedenkver­anstal­tun­gen, vor
Schulk­lassen und anderen Inter­essierten. Nicht sel­ten hat er 400 Zuhörer,
nie hat er einen vor­bere­it­eten Text. «Ich erzäh­le von den Bildern, die ich
sehe, sobald ich die Augen schließe», sagt er. Zwei Jahre lang, von April
1943 bis Jan­u­ar 1945, war er Häftling in Auschwitz. Mit ein­er gewissen
Rou­tine krem­pelt er an der passenden Stelle des Gesprächs den Ärmel seines
grauen Hemdes hoch. Kurz lässt er, wie zum Beweis, die kleine schwarze
Num­mer sehen, die man ihm ein­tä­towiert hat: 122785.

Als Fro­hwein selb­st zum ersten Mal von jen­em Grauen erfuhr, von dem er
bald ein Teil sein sollte, sagte man nicht Auschwitz, sondern
Ober­schle­sien. Es war 1942, Fro­hwein war damals ein großgewachsener,
schmaler 19-Jähriger mit braunem, seit­engescheit­el­tem Haar. Als so
genan­nter «Hal­b­jude» war er verpflichtet wor­den, in der
Werkzeug­maschi­nen-Fab­rik Sasse in Span­dau Muni­tion zu polieren. Damals
hörte man plöt­zlich häu­figer von gesun­den Men­schen, die nach
«Ober­schle­sien» kamen, und dort wenig später an Herzver­sagen star­ben oder
an Lungenentzündung.

Zu diesem Zeit­punkt war Fro­hwein seit sieben Jahren Jude. Zuvor war er
ein­fach nur ein Junge aus Span­dau gewe­sen, wie die anderen trug er
Matrosen­hemd und Schnürstiefel und wohnte mit seinen Eltern und drei
Geschwis­tern im Seit­en­flügel eines Miet­shaus­es aus dem 19. Jahrhun­dert. Er
war katholisch getauft und Mit­glied der Pfadfind­er in der Mariengemeinde.
Das alles änderte sich, als 1935 die Lehrer die Herkun­ft der Schüler
fest­stellen mussten. Plöt­zlich spielte es eine Rolle, dass Willis Vater,
auch er katholisch getauft, jüdis­ch­er Abstam­mung war. «Halb und halb is
och een­er», riefen die Kinder Willi nun auf dem Schul­hof nach. Was ein
Jude war, wusste der 12-jährige Willi allerd­ings nicht. In den folgenden
Jahren merk­te er aber, dass die Welt jet­zt kom­pliziert­er wurde,
gefährlich­er und ein­samer. Fre­unde und Ver­wandte zogen sich zurück, eine
Nach­barin het­zte der Fam­i­lie mehrfach die Gestapo auf den Hals, eine
Lehrstelle sollte Willi ver­wehrt wer­den. In der Fam­i­lie selb­st sprach man
nicht darüber, warum alles plöt­zlich so anders war. «Meine Mut­ter hat
alles dafür getan, das Fam­i­lien­leben so nor­mal wie möglich weit­erge­hen zu
lassen», sagt Fro­hwein heute.

Wehren aber wollte er sich schon. Also pro­duzierte er Auss­chuss in dem
Rüs­tungs­be­trieb, in dem er arbeit­en musste. Nach der drit­ten Vor­ladung zum
«Treuhän­der der Arbeit» unter­nahm er einen Fluchtver­such in die Schweiz,
der aber miss­lang. Im April 1943 ver­ließ er in einem überfüllten
Gefäng­niswa­gen Berlin Rich­tung Osten. Hier hörte Willi Fro­hwein zum ersten
Mal das Wort Auschwitz: «Ihr Juden braucht euch nicht einzu­bilden, dass
ihr in Auschwitz älter werdet als 14 Tage», sagte ein­er, der bessere
Klei­dung trug als die anderen, und sich in dem Wag­gon frei bewe­gen konnte.
Als der Zug schließlich hielt, sah Fro­hwein ein Schild. Jet­zt war
Auschwitz eine Bahn­sta­tion. «Ich habe etwa vier Monate gebraucht, um
her­auszufind­en…», bricht Fro­hwein seinen Satz ab. Von «Ver­gasen» wurde
im Lager nicht gesprochen. «Wenn Trans­porte gin­gen, hieß es nur: Wieder
ein Trans­port. Man wusste es, aber kein­er hat es ausgesprochen.»

Auch Willis Mut­ter hörte in dieser Zeit zum ersten Mal das Wort
«Auschwitz». Seit man ihren Sohn aus dem Gestapo-Lager in der Berliner
Wuhlhei­de wegge­bracht hat­te, wusste sie nicht, wo er war. Da machte sie
sich den Umstand zunutze, dass ihr älter­er Sohn Heinz zu einem
Straf­batail­lon einge­zo­gen wor­den war. Man set­zte ihn dort als Minensucher
ein. Den­noch war er damit offiziell «im Felde», und Willis Mut­ter konnte
bei der Gestapo als Sol­daten­mut­ter auftreten. Ein­er ihrer Söhne sei nun im
Krieg und von dem anderen wisse sie gar nichts, möglicher­weise sei er ja
schon tot, sagte sie zu dem Gestapo-Mann. «Ach», erwiderte der ungerührt,
«das glaube ich kaum, da hät­ten sie von Auschwitz schon Nachricht».

Sie schrieb einen Brief an die Kom­man­dan­tur von Auschwitz, wieder als
besorgte Sol­daten­mut­ter. Fro­hwein ist überzeugt, dass es dieser Brief war,
der ihm gle­ich zweimal das Leben ret­tete. Wenige Monate nach seiner
Ankun­ft war der ohne­hin schlanke Mann bere­its zu dem gewor­den, was man im
Lager­jar­gon einen «Musel­mann» nan­nte, eine bis zum Skelett abgemagerte
Gestalt, deren Lebenser­wartung in Tagen gemessen wurde. «Da kam ein Arzt
zu uns und ver­sprach denen, die mitkom­men, leichtere Arbeit. Ich habe alle
meine Kräfte gebün­delt, um auf den Trans­port raufzukom­men, aber es waren
keine fünf Minuten um, da haben sie mich wieder run­terge­holt», erzählt
Frohwein.

Acht Tage später – Fro­hwein lag mit Rip­pen­fel­lentzün­dung im Krankenblock –
wurde er nochmals selek­tiert. «Dies­mal habe ich das Märchen von der
leichteren Arbeit nicht mehr geglaubt», sagt er. «Dies­mal wollte ich mit,
ich wollte, dass Schluss ist». Aber wieder wurde er von dem Transport
herun­tergenom­men. Obwohl er anschließend noch vier Wochen im Krankenbau
lag, wurde er nach­her nicht mehr selek­tiert. «Es ist der Brief gewesen»,
glaubt Fro­hwein. Die SS sei ver­wirrt darüber gewe­sen, dass eine Mutter
zwei Söhne hat, von denen der eine Sol­dat ist und der andere «als Jude
herum­läuft». Da habe man ihn vor­sicht­shal­ber verschont.

Als er vom Kranken­block auf den Infek­tions­block ver­legt wer­den sollte,
blick­te der Arzt auf seine Karteikarte und war angesichts eines dort
offen­bar ange­bracht­en Ver­merks irri­tiert: «Was bist Du denn nun
eigentlich, Jude oder Deutsch­er?», fragte er. Fro­hwein zögerte. Die Frage
war ihm schon ein­mal gestellt wor­den, ganz am Anfang. «Ich bin Deutscher»,
hat­te er geant­wortet und sofort Schläge kassiert. Dies­mal aber entschied
der anwe­sende Häftlingss­chreiber kurz­er­hand: «Du bist Deutsch­er.» Er kam
in die neue Wäscherei. Als Deutsch­er kon­nte Fro­hwein in Auschwitz
über­leben, das von Sol­dat­en der Roten Armee am 27. Jan­u­ar 1945 befreit
wurde.

Willi Fro­hwein aber war mit vie­len anderen bere­its vorher abtransportiert
wor­den, als man am 18. Jan­u­ar 1945 damit begonnen hat­te, das Lager zu
räu­men. In offe­nen Wag­gons ging es nun zurück Rich­tung West­en, wieder
star­ben viele. Das Unbe­grei­fliche sei für ihn bis heute, wie diese
Men­schen gestor­ben seien, sagt Fro­hwein. «Die saßen neben einem, und dann,
ohne zu jam­mern oder zu kla­gen oder über­haupt noch etwas zu sagen, sind
sie ein­fach gestor­ben, ein­fach wegge­gan­gen.» Er selb­st musste noch zwei
Monate lang in Dora-Mit­tel­bau an der «Wun­der­waffe» V2 mit­bauen, dann wurde
er, wieder bis aufs Skelett abgemagert, nach Bergen-Belsen gebracht, wo er
am 15. April von den Englän­dern befre­it wurde. «Nein», sagt Frohwein
nach­den­klich, mitlei­d­los sei man nicht gewor­den im Lager. «Man hat schon
noch mit­ge­fühlt, wenn man die anderen gese­hen hat. Nur dass man selber
genau­so aus­ge­se­hen hat, auf die Idee ist man gar nicht gekom­men. Ich habe
die anderen gese­hen und gedacht, wie kann man in so einem Zustand
über­haupt noch laufen?»

Nach dem Krieg hat er ja
hrzehn­te­lang nicht über das gesprochen, was er
erlebt hat, nicht mit seinen Eltern, auch nicht mit sein­er Frau oder
seinen Kindern. Es sei die Scheu gewe­sen, andere zu belas­ten, aber auch
die Angst vor dem Mitleid: «Ich wollte für das anerkan­nt wer­den, was ich
leiste, nicht für das, was ich mit­gemacht habe». Schließlich war er noch
jung, ger­ade mal 22, als er aus dem KZ kam, und das Leben fing eben erst
an. Doch ganz ver­drän­gen ließ sich das Geschehene nicht. «Ich hatte
furcht­bare Alp­träume», sagt er. «Was ich geträumt habe, war ja manchmal
noch schlim­mer, als das, was ich erlebt habe.» Im Alter ist die
Ver­gan­gen­heit wieder näher gerückt. Seit einiger Zeit kann er gar nicht
mehr aufhören zu reden. Er füh­le sich als Über­leben­der dazu verpflichtet.
Und etwas Gutes hat es darüber hin­aus: «Wenn ich rede, träume ich nicht.»
Willi Fro­hwein ist Mit­be­grün­der der Volkssol­i­dar­ität in Bran­den­burg und
war lange Jahre ihr Vor­sitzen­der. Heute ist er 83 Jahre alt und lebt in
Pots­dam. Kür­zlich hat er sich in das Gold­ene Buch der Stadt Potsdam
eingetragen.

Die Jugendgeschichtswerk­statt Span­dau hat über Willi
Fro­hweins Erleb­nisse ein Buch her­aus­gegeben. Mareike Auen­er und Uwe
Hof­schläger (Hrsg.): Von Span­dau nach Auschwitz. Willi Fro­hwein, Berlin
2002.

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