berliner morgenpost:
Menschenschmugglern wird der Prozess gemacht
jb Frankfurt(O.) — Schlauchboote waren für eine internationale Menschenschleuserbande im deutsch-polnischen Grenzgebiet offensichtlich das bevorzugte Transportmittel. Die fünf Angeklagten aus Aserbaidschan, Kasachstan und Deutschland sollen vom Frühjahr 1997 bis zum Oktober vergangenen Jahres mehrere Hundert illegale Flüchtlinge aus den ehemaligen GUS-Staaten unerlaubt nach Deutschland gebracht haben. Wegen 31 Fällen müssen sich die Männer im Alter zwischen 29 und 43 Jahren seit gestern vor dem Frankfurter Landgericht verantworten.
Drei von ihnen fungierten laut Anklage als direkte Mitglieder einer arbeitsteiligen und hierarchisch aufgebauten kriminellen Vereinigung, der außerdem auch ein gutes Dutzend Polen und andere Staatsbürger angehört haben. Sobald einige Personen aus diesem Kreis in die Fänge des Grenzschutzes gerieten, wurden sie ersetzt.
Bandenboss «Hamlet» soll inzwischen östlich der Oder festgenommen worden sein. Der Aserbaidschaner Novruz M. gilt im Frankfurter Verfahren als Hauptangeklagter, der sich vom einfachen «Fußschleuser» und Schlauchboot-Ruderer zum Grenz-Koordinator hochgearbeitet hat. Der mit einer Deutschen verheiratete 34-jährige Bauarbeiter gab laut Anklage in den 31 Fällen die Aufträge, koordinierte Kurierfahrer und Transporthelfer, stand per Handy mit dem Boss in Verbindung. M. wurde von den Mitangeklagten am ersten Verhandlungstag schwer belastet. Bevorzugtes Schleusergebiet der Bande war der Oderabschnitt zwischen Eisenhüttenstadt und Ratzdorf. Entweder wurden die Ausländer per Schlauchboot über die Grenze gebracht oder sie mussten den Fluss an einer Leine durchschwimmen. Am deutschen Ufer warteten die Kuriere — unter ihnen sollen auch vier der Angeklagten gewesen sein.
berliner zeitung:
Einreise nach Deutschland für 8 000 US-Dollar
Fünf mutmaßliche Schleuser stehen vor Gericht
FFRANKFURT (ODER). Die Flamme eines Feuerzeuges diente als Signal: Als die Flüchtlinge heil über die Oder gekommen und beim Feuerwehrhaus in Ratzdorf eingetroffen waren, ließ ihr “Abholer” sein Feuerzeug aufflammen. So wußte der Mann auf der anderen Seite des Grenzflusses, dass alles okay war.
Einige solcher Details der Arbeit von Schleusern offenbarte die Anklage, die der Staatsanwalt am Montag im Landgericht Frankfurt (Oder) verlas. Angeklagt sind fünf Männer, die zwischen 1997 und 2001 Ausländer nach Deutschland geschmuggelt sollen. Zwischen 500 und 8 000 US-Dollar pro Person soll der Kopf der Bande laut Staatsanwaltschaft für seine Dienste verlangt haben. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass die fünf Männer Teil eines deutsch-polnischen Netzwerkes waren. Die Organisation mit mehreren Dutzend Mitgliedern soll zwischen 1994 und 2000 rund 500 illegale Einreisen nach Deutschland ermöglicht haben. Ein Teil der Bande wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits in Deutschland und Polen verurteilt.
Als Organisator der Bande gilt ein 34-jähriger Mann, der aus Aserbaidschan stammt und bis zu seiner Verhaftung in Schwerin lebte. Er muss sich seit Montag gemeinsam mit vier seiner mutmaßlichen Helfer vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) verantworten. Die Anklage wirft ihm vor, zwischen Frühjahr 1997 und Herbst vorigen Jahres 31 Mal organisiert zu haben, dass Menschen illegal nach Deutschland einreisen konnten. Dafür soll er 62 000 Mark erhalten haben. Neben Novruz M. auf der Anklagebank sitzen vier Männer im Alter zwischen 30 und 43 Jahren. Sie sollen die Ausländer, die oft über die Oder gerudert wurden oder selbst rudern mussten, im deutschen Grenzland in Empfang genommen und nach Berlin, Hamburg oder in andere Städte gebracht haben.
Einer dieser so genannten Abholer, der 30 Jahre alte Eduard H., sagte am Montag vor Gericht gegen seinen mutmaßlichen früheren Auftraggeber aus. Sieben Mal habe er für ihn Flüchtlinge nahe der Oder getroffen und in seinem Auto weggebracht, sagte der Angeklagte, der aus Kasachstan stammt und in Hannover lebt. Für jede Fahrt von der Oder nach Berlin habe er 500 Mark (256 Euro) erhalten — teilweise auch von Mittelsmännern und den Fahrgästen selbst. Nach seiner Verhaftung im vorigen Herbst habe er zunächst versucht, seinen Auftraggeber zu schützen. Er hätte Angst gehabt. “Es ist gefährlich, gegen Leute wie ihn auszusagen. Selbst wenn er festgenommen ist. Er hat viele Freunde”, sagte der Mann.
Das Gericht hat für das Verfahren noch zehn Prozesstage bis Ende Mai angesetzt.