(Tagesspiegel, Frank Jansen) Neuruppin. Im Prozess zum gewaltsamen Tod des Aussiedlers Kajrat B. hat ein weiterer Angeklagter ein Teilgeständnis abgelegt. Er habe sich auf einen Russlanddeutschen gekniet und mit beiden Fäusten „reingeschlagen“, sagte Ralf A. (21) gestern vor dem Landgericht Neuruppin. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wirft Ralf A. und drei weiteren jungen Männern Totschlag vor, dem fünften Angeklagten gefährliche Körperverletzung. In der Nacht zum 4. Mai 2002 war der 24-jährige Aussiedler Kajrat B. in Wittstock bei einer Schlägerei so schwer verletzt worden, dass er knapp drei Wochen später starb. Ein Begleiter, der ebenfalls aus Kasachstan stammende Maxim K., wurde auch verprügelt, kam aber mit dem Leben davon.
Am ersten Prozesstag in der vergangenen Woche gestand bereits der Angeklagte Marko F. (21) Schläge und Tritte. Außerdem wurde F. von dem Mitangeklagten Michael H. (22) belastet. Ralf A. meinte auch, vermutlich habe Marko F. den Aussiedler getreten. Unklar blieb, wer den schweren Feldstein auf Kajrat B. geworfen hat. Ralf A. sagte wie Marko F. und Michael H., er habe nicht gesehen, was mit dem Stein geschehen ist. Laut Anklage hat Marko F. den Brocken auf Kajrat B. geworfen und auch auf Maxim K. Dieser wurde am rechten Hüftgelenk getroffen.
Warum es überhaupt zu der Auseinandersetzung kam, konnte Ralf A. nicht erklären. Nach seiner Erinnerung bat einer der Aussiedler in normalem Tonfall um eine Zigarette. Irgendwann habe der Mann eine Flasche in der Hand gehalten und es sei zu einer Rangelei gekommen. Ralf A. bestätigte eine frühere Aussage, die Russlanddeutschen hätten fliehen wollen, seien aber von den Beschuldigten verfolgt worden – in der Absicht „ihnen welche zu klatschen“. Die Staatsanwaltschaft schließt nicht aus, dass die Gruppe aus fremdenfeindlichen Motiven handelte.
Der Angeklagte Mike Sch. (20) äußerte sich gestern nur knapp. Er sei betrunken gewesen und könne sich an die Auseinandersetzung nicht erinnern.
“Mama, du wirst sehen, alles wird gut”
Mutter des getöteten Kajrat Batesov sagte im Prozess aus
(Berliner Zeitung, Katrin Bischoff) NEURUPPIN. Sie hat gespürt, dass Kajrat etwas Furchtbares zustoßen würde.
Sie hat in jener Nacht, als ihr Sohn tödlich verletzt wurde, in ihrem Zimmer
im Heim für Spätaussiedler in Freyenstein bei Wittstock nicht schlafen
können. Es war die erste Nacht, die der 24-jährige Kajrat Batesov nicht bei
seiner Familie verbrachte. Der Russlanddeutsche hatte in Wittstock eine
eigene Wohnung erhalten, die er renovieren wollte. Am nächsten Morgen kam
die Polizei. Kajrat liege auf der Intensivstation, teilten die Beamten der
Frau mit.
Raissa Batesova sitzt an diesem Dienstag im Saal 2 des Landgerichts in
Neuruppin. Sie weint, als sie über ihren toten Sohn erzählt. “Es fällt mir
sehr schwer im Angesicht der Leute zu sprechen, die beschlossen haben, dass
Kajrat nicht mehr leben soll”, sagt die Frau. Sie schaut die fünf jungen
Männer auf der Anklagebank nicht an. Die 20 bis 22 Jahre alten Angeklagten
müssen sich für den Tod des Spätaussiedlers verantworten. Ihnen wird
Totschlag, versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung
vorgeworfen. Kajrat Batesov wurde vor einer Diskothek im Wittstocker
Stadtteil Alt Daber von einem 17 Kilogramm schweren Stein getroffen. Die
Verletzungen waren so schwer, dass der Vater eines fünfjährigen Jungen drei
Wochen später daran starb. Sein Freund Maxim überlebte knapp.
“Als Kajrats Sohn, mein Enkel, geboren wurde, waren wir die glücklichste
Familie der Welt”, sagt Raissa Batesova. Das sei 1997 gewesen. Zwei Jahre
später sei ihr Mann schwer erkrankt und gestorben. Kajrat habe für die
Familie gesorgt. Auch, als sie im November 2001 nach Deutschland
übersiedelten. “Mama, du wirst sehen, alles wird gut”, habe Kajrat gesagt.
Die 44-Jährige erzählt, wie ihr Sohn nach einer Woche auf der
Intensivstation aus dem Koma erwacht sei. Man habe ihn bis zuletzt künstlich
beatmet. “Ich bin OP-Schwester, ich wusste, was es heißt, einen Magen- und
Leberriss zu erleiden. Ich habe so gehofft, dass er wieder gesund wird”,
sagt sie.
Einer von ihnen warf den Stein
Rund zwei Stunden hören die fünf Angeklagten Kajrats Mutter zu. Mit
gesenkten Köpfen. Einer von ihnen muss den Stein auf Kajrat geworfen haben.
Die Anklage geht davon aus, dass es der 21-jährige Marko F. ist. Dafür, sagt
Staatsanwalt Kai Clement, gibt es einen Zeugen.
Hans-Werner B. hat den Mann gesehen, der den Stein warf. Er wohnt gleich
neben der Diskothek. In jener Nacht, sagt der 53-jährige Revierförster, sei
er durch ein eigenartiges Klatschen wach geworden. Er habe aus dem Fenster
geschaut und zwei Menschen auf der Straße liegen sehen. Drei junge Männer
hätten auf die am Boden Liegenden eingetreten. Bis einer der Schläger
plötzlich “einen Riesenstein über seinen Kopf” gehoben und auf eines der
Opfer geschleudert habe.
Raissa Batesova ist Nebenklägerin in dem Verfahren. An die Angeklagten
gerichtet sagte sie: “Denken Sie daran, auch Sie haben alle Mütter und die
leiden alle mit. Sagen Sie die Wahrheit, sagen Sie, was gewesen ist. Ich
wünsche, dass Ihre Mütter nicht das durchmachen müssen, was ich erlitten
habe und erleide.”