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Mit Hebräisch-Kursen aufs Exil vorbereitet

»Wir ziehen hin zum Juden­heim – und hauen alles kurz und klein«, stand auf den Handzetteln, die im Juli 1935 über­all im Vil­lenörtchen Lehnitz bei Oranien­burg aushin­gen. Die von Nazis ver­bre­it­ete Dro­hung galt dem in Lehnitz ansäs­si­gen Jüdis­chen Erhol­ung­sheim. Und es blieb nicht bei ver­balen Attack­en. In der Pogrom­nacht vom 9. Novem­ber 1938 zer­schlu­gen Faschis­ten das Mobil­iar. Sie war­fen die Bücherei zum Fen­ster hin­aus und legten schließlich Feuer. Erst als der Naz­itrupp abge­zo­gen war, halfen die Nach­barn. Sie fürchteten, dass das Feuer auf ihre Häuser übergreift.
Doch trotz aggres­sivem Anti­semitismus kann Lehnitz als eine Enklave jüdis­chen Lebens im Nazideutsch­land der 1930er Jahre gel­ten. Denn zehn­tausende Juden fan­den in dem Erhol­ung­sheim ein biss­chen Ruhe vor den son­st all­ge­gen­wär­ti­gen Schika­nen. Teil­weise bere­it­eten sich die Ver­fol­gten hier auf die Emi­gra­tion vor. Der Geschichte des Heims wid­met sich derzeit eine 15 Schautafeln umfassende Ausstel­lung in der Lehnitzer Friedrich-Wolf-Gedenkstätte. Die Mate­ri­alien dafür trug der His­torik­er Bodo Beck­er zusammen.
Gewürdigt wird etwa die Arbeit von Frie­da Glücks­mann, die das Heim ab 1934 und bis zur Schließung 1938 im Auf­trag des Jüdis­chen Frauen­bun­des leit­ete. Neben Erhol­ung bot das Heim Unter­schlupf für Kinder und Platz für eine Hauswirtschaftss­chule. In der Schule beka­men junge Frauen in ein­jähri­gen Kursen haushäl­ter­ische Ken­nt­nisse ver­mit­telt, aber auch Unter­richt in Lit­er­atur, Englisch und Hebräisch. Dies diente als Vor­bere­itung auf das Exil.
Auch Tagun­gen zur Bil­dungspoli­tik fan­den statt. Man disku­tierte in der Erwartung, dass jüdis­ches Leben in Deutsch­land trotz aller Prob­leme weit­er möglich sein würde. Wegen der Aus­gren­zung der jüdis­chen Jugend aus den öffentlichen Schulen wurde berat­en, wie jüdis­che Bil­dungsar­beit aus­gle­ichend wirken kön­nte. Lange blieb der Erholungs‑, Aus­bil­dungs- und Tagungs­be­trieb allerd­ings nicht ungestört. Nach anti­semi­tis­chen Pro­pa­gan­daak­tio­nen von Ein­heimis­chen bat Heim­lei­t­erin Frie­da Glücks­mann 1935 die Polizei um Schutz. Deren Reak­tion: Ver­hal­tens­maßregeln für die Heim­be­wohn­er, nach denen ihnen zum Beispiel Waldspaziergänge nur in Grup­pen bis zu drei Per­so­n­en erlaubt waren sowie ein Besuchsver­bot für das Seebad.
Auch nichtjüdis­che Bürg­er, die an Juden Zim­mer ver­mi­eteten, beka­men Ärg­er. Über einen Betrof­fe­nen, der sich über Schmier­ereien an seinem Haus beschw­ert hat­te, schrieb ein NSDAP-Funk­tionär: »Solche Leute gehörten eigentlich ins KZ.« Die Schlinge des anti­semi­tis­chen Ter­rors zog sich immer enger. Höhep­unkt war die Pogrom­nacht 1938. Her­nach schloss das Heim seine Pforten. In den fol­gen­den Jahrzehn­ten wurde das Gebäude unter anderem als Kranken­haus genutzt, seit dem Jahr 2000 ste­ht es leer.
Am Sonnabend ab 15 Uhr referiert Bodo Beck­er in der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte, Alter Kiefer­n­weg 5, über das jüdis­che Erhol­ung­sheim und den Anti­semitismus in Lehnitz von 1934 bis 1938. 

Ausstel­lung bis Ende Jan­u­ar Di bis-Fr. von 10 bis 14 Uhr, Anmel­dung unter Tel.: (03301) 52 44 80 erbeten 

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