Potsdam: Organisierte Neonazis blasen zur Jagd auf Antifaschisten.
Behörden nehmen Linke ins Visier, Angeklagte in Untersuchungshaft
(Junge Welt) In Potsdam betreiben militante Neonazis eine Hetzjagd auf Antifaschisten
und Aktivisten linker Projekte. Wöchentlich werden neue Angriffe und
Überfälle bekannt, die fast alle einem überschaubaren Täterkreis
zuzuordnen sind. Polizei und Staatsanwaltschaft konzentrieren ihre
Ermittlungen unterdessen auf die Gejagten und setzen sie mit verstärkter
Repression unter Druck.
Einsatzwagen und Zivilfahrzeuge der Polizei patrouillieren im
Halbstundentakt vor linken Kneipen und Cafés. Mitglieder alternativer
Projekte berichten von Abhörmaßnahmen, Wohnungsdurchsuchungen und einer
ständig spürbaren Präsenz von Zivilpolizisten. Stadtbekannte Linke
sollen künftig zu sogenannten Gefährdungsansprachen eingeladen werden,
um ihnen unmißverständlich klarzumachen, daß die Staatsschützer sie im
Visier haben. Inzwischen ist sogar davon die Rede, die rechtlichen
Möglichkeiten für einen vorauseilenden Unterbindungsgewahrsam bei
»Militanten« zu prüfen.
Neonazis als Zeugen
Anlaß für die verschärfte staatliche Verfolgung ist der Vorwurf des
»versuchten Mordes aus niederen Beweggründen« gegen vier Linke. Die
Jugendlichen sollen laut Potsdamer Staatsanwaltschaft und Lokalpresse am
19. Juni versucht haben, einen 17jährigen zu töten. Was an dem Tag
tatsächlich geschehen ist, läßt sich nur schwer nachvollziehen. Die vier
Beschuldigten sollen in den frühen Morgenstunden den jungen Mann zu
Boden geschlagen und auf ihn eingetreten haben. Dabei haben sie
angeblich einen Teleskopschlagstock benutzt. Nicht zuletzt deshalb wurde
gegen die vier noch am gleichen Tag Festgenommenen der Vorwurf des
»versuchten Mordes« konstruiert. Das Opfer, ein stadtbekannter Neonazi,
hatte eine Platzwunde am Kopf und einige Schürfwunden davongetragen.
Weder den Erklärungen der Staatsanwaltschaft, noch den Berichten der
Lokalpresse war zu entnehmen, daß die Zeugenaussagen zu diesem Vorfall
überwiegend von Mitgliedern der neofaschistischen Szene Potsdams,
darunter mehrere Aktivisten der militanten Anti-Antifa, stammten.
Unerwähnt blieb auch, daß es in der Tatnacht zuvor Attacken von Neonazis
auf Linke gegeben hat. So hatten zehn bis 15 Neonazis zwei Jugendliche
aus der alternativen Szene in einer Straßenbahn attackiert. Unter den
Angreifern waren nach jW-Informationen neben dem späteren Opfer auch
mehrere der eben benannten »Zeugen«.
Die Aussagen der Neofaschisten führten dazu, daß die nach ersten
Vernehmungen wieder freigelassenen Linken erneut in Untersuchungshaft
genommen wurden. In zwei Fällen wurde die Haft kurze Zeit später gegen
Auflagen außer Vollzug gesetzt. Ein dritter Beschuldigter wurde gegen
Zahlung von 60000 Euro Kaution vorläufig entlassen. Julia S., die vierte
Beschuldigte, weigert sich immer noch, vor Prozeßbeginn eine Aussage zu
machen. Sie sitzt weiterhin in U‑Haft.
S. ist Vorsitzende des linksalternativen Kulturprojektes Chamäleon e.V.,
dessen Vereinshaus in der Silvesternacht 2002 Ziel eine Brandanschlags
von Neonazis war. Aus dieser Tatsache haben die Ermittler ein Motiv für
den »Überfall« auf den 17jährigen Neonazi konstruiert: Es habe sich um
eine Racheaktion gehandelt. Das Konstrukt »Rache« löste einen Aufschrei
am rechten Rand der CDU aus. Sven Petke, innenpolitischer Sprecher der
CDU-Landtagsfraktion, meint, es handele sich bei Chamäleon e.V.
möglicherweise um eine Organisation »gewaltbereiter Extremisten«. Er
forderte die Absetzung der inhaftierten Vereinsvorsitzenden und die
Streichung städtischer Mittel für den Verein. Die hat es allerdings nie
gegeben, obwohl dem Verein für seine Arbeit im Sinne der
soziokulturellen Stadtentwicklung Fördermittel zustünden.
Behauptung ohne Beleg
Während sich die Ermittlungen in erster Linie auf Linke konzentrieren,
ist die Zahl der dokumentierten Übergriffe durch Neonazis im Raum
Potsdam innerhalb der letzten Monate sprunghaft angestiegen (siehe
Dokumentation). Das Innenministerium stellte eine Zunahme links- und
rechtsextremistischer Gewaltstraftaten in Potsdam fest (MAZ vom 23.
Juni). Auf jW-Anfrage sah sich ein Sprecher der Behörde jedoch
außerstande eine Zunahme linksextremer Gewalt zu belegen. Bis auf den
hier beschriebenen und noch ungeklärten Fall gibt es keine Berichte über
linke Gewalttaten.
Die Gewalt von rechts geht unterdessen weiter. Am vergangenen Sonntag
wurden zwei linke Jugendliche von etwa fünfzehn Neonazis krankenhausreif
geschlagen. Die Neofaschisten hatten die beiden aus der Straßenbahn
heraus beobachtet, die Notbremse gezogen, waren auf ihre Opfer
zugestürmt und hatten sie mit Bierflaschen zu Boden geschlagen. »Scheiß
Zecke — dich machen wir alle«, sollen die Angreifer nach Aussage eines
der Opfer gerufen haben. Die meisten der kurz darauf festgenommenen
Täter wurden nach wenigen Stunden aus dem polizeilichen Gewahrsam
entlassen. Lediglich vier der bislang zehn ermittelten Täter sitzen
bisher in Untersuchungshaft, weil sie einschlägig vorbestraft sind.
Chronik: Gewalt von Neonazis in Potsdam
9. Juni: Die Fensterscheiben der Wohnung eines Antifaschisten werden
eingeworfen
11. Juni: Etwa 20 Neonazis versuchen das Jugendfestival »Gettogether« zu
stören
13. Juni: Drei alternative Jugendliche werden am Potsdamer Hauptbahnhof
von fünf vermummten Personen beleidigt und bespuckt. Zwei der Opfer
werden getreten und geschlagen. Die Täter versuchen, die Betroffenen
über ein Geländer zu drängen. Nur das Eingreifen von Passanten
verhindert Schlimmeres
13. Juni: Ein Jugendlicher wird in der Straßenbahn von mehreren Neonazis
geschlagen und bespuckt. Sie zwingen ihn, seinen Aufnäher abzunehmen
15. Juni: Am Platz der Einheit kommt es zu einer verbalen
Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Jugendlicher und vier
stadtbekannten Neonazis. Einer zieht eine Pistole und hält sie einem der
Jugendlichen an den Kopf
16. Juni: Zwei Neonazis bedrohen eine Gruppe von Jugendlichen und
schlagen mit Fäusten und einer Eisenstange auf sie ein
18. Juni: Neonazis bewerfen in Babelsberg alternative Jugendliche mit
Steinen. Am Abend kommt es nach einem antirassistischen Fußballfest zu
einem Angriff von etwa 15 Neonazis auf zwei Jugendliche in einer Straßenbahn
20. Juni: Zwei Neonazis bedrohen sechs Jugendliche mit Messer und
Pistole. Sie berauben die Jugendlichen und schlagen sie mit einem
Schraubenzieher
24. Juni: Eine Gruppe von Jugendlichen wird von zwei Angreifern bedroht.
Sie sind mit einem 50 Zentimeter langen Messer und einer Schußwaffe
bewaffnet.
Vollständige Chronik unter www.jep-ev.de
»Starthilfe kam aus Berlin«
(Junge Welt) Neonaziszene in Potsdam hat sich neu organisiert. Stadt und Polizei
haben zu spät reagiert. Ein Gespräch mit Claudia Luzar
* Claudia Luzar ist Mitglied des Vereins »Jugend engagiert in Potsdam«
F: In den vergangenen Monaten ist es in Potsdam vermehrt zu Übergriffen
von Neofaschisten auf linke Jugendliche gekommen. Die Lokalpresse
schreibt von Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken
Jugendlichen. Trifft das die Situation?
Überhaupt nicht. Allein in diesem Jahr ist es in Potsdam zu 16
Übergriffen von Rechtsextremen auf alternative und linke Jugendliche,
aber auch auf Leute, die einfach nic
ht in das Weltbild der Neonazis
passen, gekommen. Auf der anderen Seite gab es nur einen einzigen
Vorfall, der der linken Szene zugeschrieben wird. Wenn also von
Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken gesprochen wird, ist
das unverantwortlich.
F: Die Situation ist in den letzten Wochen eskaliert. Aber die
Entwicklung zeichnet sich seit längerem ab. Was hat in der Stadt dazu
geführt?
Es hat eine Restrukturierung der rechten Szene stattgefunden, der nichts
entgegengesetzt wurde. Die Starthilfe dazu kam aus Berlin, denn für den
Aufbau der Neonaziszene in Potsdam wurden gezielt Berliner Neofaschisten
um Hilfe gebeten. Das zielte auf der einen Seite in Richtung
Straßengewalt, und auf der anderen Seite ging es um den Aufbau
politischer Strukturen. Polizei und Stadt haben nicht eingegriffen
beziehungsweise diese Entwicklung zu spät erkannt.
F: Jetzt ist die neofaschistische Gewalt nicht mehr zu übersehen.
Handelt die Stadt inzwischen?
Man kann nicht sagen, daß Stadt und Polizei schlafen. Das größere
Problem ist die Presse, die diese unverantwortliche Diskussion um eine
Gewaltspirale zwischen Rechten und Linken führt. Stadt und Polizei
reagieren in meinen Augen eher hilflos. Sie wissen nicht, wie sie mit
dem organisierten Rechtsextremismus umgehen sollen. Obwohl die Polizei
sicher eine härtere Gangart einlegen könnte. Sie tut das gegen Linke ja
auch. Gegen Punks zum Beispiel sind Platzverweise und Aufenthaltsverbote
in Brandenburg nicht selten. Da könnte die Polizei doch auch Berliner
Neonazis ein Aufenthaltsverbot für die Stadt Potsdam geben. Dann könnten
sie ihren Demonstrations- und Angriffstourismus nicht mehr durchführen.
F: In Berlin marschieren Neofaschisten unter anderem für »nationale
Jugendzentren«. Gibt es in Potsdam ähnliche Versuche, Jugendkultur zu
dominieren?
In Potsdam existieren viele kulturelle Initiativen und Räume für
alternative Jugendliche. Die Neonazis haben versucht, diese — ich sage
es mal in ihrer Sprache — »zeckenfrei« zu machen und gezielt gegen
alternative Jugendclubs vorzugehen. Das ist eine neue Qualität. Rechte
Übergriffe gibt es in Potsdam seit eh und je, aber das gezielte und
offensive Angreifen linker und alternativer Projekte ist neu.
F: Wer ist die treibende Kraft bei diesen Übergriffen?
Der Täterkreis läßt sich auf etwa 30 Personen aus Berlin und Potsdam
eingrenzen. Das sind militante und organisierte Neonazis, die teilweise
aus Gruppen kommen, die in Berlin verboten sind. Zum Beispiel aus der
»Kameradschaft Berliner Alternative Südost«. Man könnte meinen, daß die
Polizei ihnen in Berlin zu sehr auf die Füße getreten ist und sie
Potsdam als neue Spielwiese entdeckt haben.
F: Müssen linke und ausländische Jugendliche inzwischen Angst haben, in
Potsdam auf die Straße zu gehen?
Ich würde sagen, ja. Gerade Jugendliche, die sich demokratisch
engagieren, die den Mund aufmachen gegen rechts oder die in der
Öffentlichkeit stehen, werden im Moment gezielt Opfer von Neonazigewalt.
Das heißt, jeder Jugendliche, der in Potsdam in der Schule oder in der
Presse den Mund gegen Neonazis aufmacht, läuft Gefahr, von den Neonazis
angegriffen zu werden. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen.
F: Genau da setzt die Arbeit des Vereins »Jugend engagiert in Potsdam«
ein, in dem Sie aktiv sind …
Ja, wir betreuen Opfer rechter Gewalt. Insbesondere Jugendliche, weil
wir eben selbst Jugendliche aus dem alternativen Spektrum sind. Wir
denken, daß wir die Probleme am besten einschätzen und dann helfen
können. Wir besorgen Rechtsanwälte und machen Öffentlichkeitsarbeit. Zur
Zeit bereiten wir drei Seminare in Jugendklubs zum Thema »Umgang mit
neonazistischer Bedrohung« vor. Unsere Arbeit hat allerdings Grenzen,
weil wir keinerlei städtische Unterstützung bekommen und alles
ehrenamtlich machen.
* Wer den Verein »Jugend engagiert in Potsdam e.V.« unterstützen will,
tut das am besten mit einer Spende: JeP e.V., Mittelbrandenburgische
Sparkasse, Kontonummer: 3503022391, BLZ: 16050000
»Einfaches Klingeln hätte ausgereicht«
Vandaleneinsatz der Berliner Polizei. Beschuldigte sollen Neonazis
gehauen haben. Ein Gespräch mit Daniel Wölky
(Junge Welt) Daniel Wölky ist Rechtsanwalt in Berlin und vertritt einen seit
Mittwoch wegen Körperverletzung beschuldigte Studenten
F: Unter Federführung der Berliner Staatsanwaltschaft kam es am frühen
Mittwoch morgen zu einer groß-angelegten Durchsuchungswelle in Wohnungen
linker Aktivisten. Was werfen die Behörden den Beschuldigten vor?
Den Beschuldigten wird die Beteiligung an einer gefährlichen
Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Sie sollen
am *1. Juni — nach einem Prozeß gegen Neonazis in Potsdam *- auf dem
Bahnsteig des Berliner Ostbahnhofes zwei Personen der rechten Szene
geschlagen oder sich zur Absicherung der Attacke in der Nähe aufgehalten
haben. Die vermeintlichen Opfer haben angeblich Prellungen,
Hautabschürfungen und Quetschungen erlitten.
F: *Insgesamt wurden 15 Objekte in* Berlin, *Potsdam und
Eisenhüttenstadt durchsucht.* In Berlin-Kreuzberg stürmte die Polizei
drei Wohnhäuser, dabei sollen nach Auskunft verschiedener Mieter auch
Unbeteiligte Opfer der Polizeiaktion geworden sein. Stimmt das?
Gegen 6.00 Uhr brachen dort Einsatzkommandos unvermittelt fünf Wohnungen
mit Hilfe von Rammböcken auf. Sodann verschafften sich die vermummten
Beamten Zutritt zu den Wohnungen, traten unverschlossene Zimmertüren ein
und zerrten die schlafenden Bewohner aus ihren Betten. Dabei richteten
sie Laserzielpunktprojektoren ihrer Waffen auf die dort angetroffenen
Menschen. In den gestürmten Wohnungen leben Wohngemeinschaften, so daß
auch zahlreiche Unbeteiligte Opfer dieses unverhältnismäßigen Vorgehens
geworden sind. Es wurden Zimmer durchsucht, die erkennbar von anderen
Personen bewohnt werden. In einer Wohnung wurde sogar die Scheibe einer
offenen Zimmertür eingeschlagen und anschließend der dort wohnende,
unbeteiligte Mann unbekleidet aus seinem Hochbett in die Scherben
geworfen. Er zog sich erhebliche Schnittverletzungen zu. Bei einer
Zeugin wurde sogar das Auto beschlagnahmt. Ich gehe davon aus, daß das
rechtswidrig war. Es war außerdem nicht nötig, mit Einsatzkommandos die
Wohnungen zu stürmen und Türen zu zerstören. Einfaches Klingeln hätte
gereicht. Juristisch ist nicht nachvollziehbar, warum so gehandelt
wurde. Eigentlich müssen durchsuchte Räumlichkeiten auch so verlassen
werden, wie sie vorgefunden wurden. Nach diesen Durchsuchungen bot sich
jedoch ein Bild des Chaos.
F: Sind auch Wohnungen gestürmt worden, für die es keinen
Durchsuchungsbeschluß gab?
Ja. Die Beamten haben auch ein Wohnhaus gestürmt, für das kein
Durchsuchungsbeschluß vorlag. Die dortigen Bewohner wurden in Angst und
Schrecken versetzt, als sie im Flur auf die vermummten und bewaffneten
Beamten trafen.
F: Können die koordinierten Hausdurchsuchungen , die umfangreichen
Beschlagnahmungen und der Einsatz von über 150 Beamten mit dem Vorwurf
der Körperverletzung und des Landfriedensbruchs begründet werden?
Für die Rechtmäßigkeit von Hausdurchsuchungen kommt es auf das Gewicht
des Tatvorwurfes an. Je schwerer der Vorwurf, desto eher ist die
Maßnahme verhältnismäßig. Setzt man den hier zu erwartenden
Aufklärungserfolg in Relation zu dem mit der Maßnahme verbundenen
Eingriff, dürften die Durchsuchungen recht
swidrig sein. Einerseits
dürften die als Durchsuchungsziel bezeichneten Sachen kaum geeignet
sein, zur Aufklärung solcher Taten beizutragen. Andererseits handelt es
sich bei den Sachbeschädigungen und Eingriffen durch die Polizei um
schwerwiegende Maßnahmen. Angesichts des gewaltsamen Vorgehens könnte
man den Eindruck gewinnen, die Aktion habe auch der Einschüchterung gedient.
F: Was werden Sie angesichts der Vorwürfe gegen Ihren Mandanten, aber
auch angesichts des Vorgehens der Berliner Polizei, tun?
Wir werden selbstverständlich alle uns zur Verfügung stehenden
juristischen Mittel ausschöpfen. Das betrifft nicht nur die
strafrechtliche Verteidigung hinsichtlich der Vorwürfe gegen meinen
Mandanten, sondern auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Durchsuchungen und Beschlagnahmungen.
Mehr Streetworker einsetzen
Reaktionen zu Gewaltakt vom 3. Juli
(MAZ) INNENSTADT Rund 20 Mitglieder der Jusos, der Jungen Union und der Grünen
Jugend haben sich am Freitagnachmittag in der Fußgängerzone der
Brandenburger Straße zu einer gemeinsamen Unterschriftensammlung gegen
die gewalttätigen Ausschreitungen von Links und Rechts am 3. Juli
versammelt. Dabei wurden rund 100 Unterschriften und zehn farbige
Handabdrücke von Passanten auf großen Papierbögen gesammelt. Dies gab
der Juso-Vorsitzende Till Meyer gegenüber dieser Zeitung bekannt. Nach
dieser sehr kurzfristig geplanten Aktion wolle man die Unterschriften am
Montag der Vorsitzenden der Stadtverordentenversammlung Birgit Müller
(PDS) übergeben, so Meyer weiter. Die Aktion richtete sich nach seinen
Worten weder gegen Rechts noch Links, sondern gegen “die Art der
Konfliktaustragung”. Meyer im Weiteren: “Wir sehen Potsdam anders.” Die
Handabdrücke waren in Gelb, Rot und Grün gehalten.
Zu Besonnenheit ruft der SPD-Ortsverein Potsdam-Süd auf. Laut Mike
Schubert, SPD-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung, sprachen
sich die Mitglieder dafür aus, dass die Eskalation der Gewalt einer
Antwort der zivilgesellschaftlichen Kräfte der Stadt bedürfe. “Gewalt
darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein”, heißt es in
der Erklärung des Ortsvereins.
Als “besorgniserregend” bezeichnet die Potsdamer
CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche die zunehmende
Gewaltbereitschaft. Wenn dieser Entwicklung kein Einhalt geboten werde,
so befürchtet Reiche, werde “Potsdam seinen guten Ruf als tolerante und
weltoffene Stadt verlieren” und Touristen der Landeshauptstadt den
Rücken kehren. Notwendig ist nicht nur eine konsequente Strafverfolgung,
die bereits von Polizei und Justiz praktiziert wird, sondern
Präventivmaßnahmen. Reiche fordert von Oberbürgermeister Jann Jacobs
“schnellstmöglich einen Maßnahmekatalog” dazu, wie die linke und rechte
Gewalt in Potsdam “im Keim erstickt werden kann”. So müssten
beispielsweise verstärkt Streetworker in problematischen Stadtteilen
eingesetzt werden.
Den Ausbau der “sozialraumorientierten Jugendarbeit” hält Nils Naber vom
Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen für den richtigen Weg. Dort begrüße
man den lokalen Aktionsplan des Beirates für Toleranz. Außerdem fordern
die Grünen, dass “Projekte der Opferhilfe, zum Abbau von Ängsten auch
mit “finanziellen Mitteln ausgestattet sein müssen”. Hier sei Sparen
fehl am Platz.
Zeichen gegen Gewalt
Jusos, Junge Union und Grüne Jugend sammelten gestern Unterschriften
(PNN) Parteigrenzen gab es auf der Brandenburger Ecke Jägerstraße gestern
Nachmittag keine: Gemeinsam veranstalteten die Jusos, die Junge Union
und die Grüne Jugend eine Unterschriftenaktion gegen Gewalt in Potsdams
Straßen. “Wir wollen hier ein deutliches Zeichen setzen, dass es auch
Jugendliche gibt, die Konflikte friedlich regeln können”, sagte Clemens
Rostock vom Landesvorstand der Grünen Jugend. Die Idee zu der
parteiübergreifenden Aktion kam den Jungsozialisten bei einer Sitzung am
Mittwochabend, wie ihr Vorsitzender Till Meyer erzählte. “Wir haben
danach überall angerufen und viele E‑Mails verschickt”, so Meyer. Die
Junge Union und die Grüne Jugend hätten sofort zugesagt, nur die
PDS-Jugend antwortete nicht. “Die sind aber sicher beim nächsten Mal mit
dabei.” Bedeutsamer fand Meyer, dass auch die Junge Union für die Aktion
gewonnen werden konnte. Deren Kreisvorsitzender Hans-Wilhelm Dünn sagte:
“Wir wollen nicht einseitig gegen rechte oder linke Schläger
protestieren, sondern zum Ausdruck bringen, dass wir grundsätzlich jede
Form von Gewalt ablehnen.” Unter diesem Motto verteilten die drei
Jugendorganisationen im strömenden Regen Flyer mit ihren drei
nebeneinander stehenden Logos. Zudem konnten Passanten an einer Leinwand
unterschreiben oder einen farbigen Handabdruck hinterlassen. “Das ist
zwar nicht so professionell, aber jetzt kam es darauf an, schnell etwas
zu machen”, sagte Rostock von der Grünen Jugend.
“Wir hoffen, dass wir mit solchen Aktionen in der Öffentlichkeit etwas
bewirken können”, sagte Dünn von der Jungen Union. Den Anschlag der 15
Rechtsextremen am Wochenende auf zwei Jugendliche bezeichnete er als
“beängstigend”. Stadt und Landesregierung seien nach solchen Ereignissen
gefordert, besonders im Bereich der Jugendarbeit und der Schule.
“Stadtteile wie der Schlaatz oder die Waldstadt brauchen mehr
Streetworker, um auf die jungen Leute dort präventiv einzuwirken”, so
Dünn. Gerade in solchen Bereichen dürfe trotz der schlechten
finanziellen Lage nicht gespart werden. “Für andere Großprojekte ist
schließlich auch Geld da.”
Die gestern gesammelten Unterschriften sollen spätestens am Montag an
die Sozialbeigeordnete Elona Müller übergeben werden. Meyer: “Die
älteren Bürger der Stadt sollen sehen, dass wir Jugendlichen uns
engagieren.”
Unterdessen sind nach Zusammenstößen rechtsextremistischer und
linksgerichteter Jugendlicher in der Stadt bis Freitagnachmittag
insgesamt 15 Haftbefehle ausgestellt worden. Dies betreffe zehn Personen
aus der rechten und fünf aus der linken Szene, sagte der Sprecher der
Staatsanwaltschaft Potsdam, Jörg Wagner. Vier Rechte sowie mindestens
ein Linker säßen derzeit in Untersuchungshaft. Alle weiteren
Verdächtigten seien gegen hohe Auflagen vorläufig auf freien Fuß gesetzt
worden, erklärte Wagner.