Zwei 22-Jährige müssen sich wegen versuchten Mordes
oder Beihilfe vor dem Potsdamer Landgericht verantworten
(MAZ, 19.4.) POTSDAM “Alarm!” Es war am 14. Juli 2001, nachts gegen 3.45 Uhr, als Lars P.
aus dem Schlaf schreckte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, unbedingt
wach zu bleiben — er und seine Freunde wollten auf eine Bühne aufpassen.
Dafür waren sie extra zur Festwiese nach Königs Wusterhausen
(Dahme-Spreewald) gekommen. Am nächsten Tag sollte hier ein
antirassistisches Openair-Festival stattfinden. Aber das wirklich etwas
passieren würde, damit rechneten sie nicht.
Nun aber loderten genau neben dem 18-Jährigen Flammen — ein Molotow-Cocktail
war auf die Bühne geworfen worden, mehrere flogen daneben. Zum Glück gelang
es Lars P. und seinen Freunden, die brennende Flüssigkeit mit einer Decke zu
löschen. Der Schreck aber blieb — bis heute.
Gestern begann vor der Jugendstrafkammer des Potsdamer Landgerichts der
Prozess gegen zwei der mutmaßlichen Brandstifter: Sebastian D. und Jeaninne
P., beide 22 Jahre alt. Sebastian D. ist angeklagt wegen versuchten Mordes,
versuchter Sachbeschädigung und Verstoß gegen das Waffengesetz. Die junge
Frau muss sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Sie soll sich außerdem
in der Nacht zum 30. Juli 2001 erneut an einem Brandanschlag mit
Molotow-Cocktails auf ein Wohnwagenlager von Sinti und Roma in Wildau
beteiligt haben. Die Verhandlung fand wegen des rechtsextremistischen
Hintergrundes unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Besucher wurden
penibel durchsucht und mussten Taschen und Handys abgeben,
Jeannine P., eine zierliche junge Frau mit langen schwarzen Haaren und
großen dunklen Augen, leugnet ihre Beteiligung auf den Bühnenüberfall nicht:
“Ich habe das Tatfahrzeug gefahren, aber nicht geworfen.” Die Idee sei durch
irgendeinen dummen Zufall entstanden: Man habe sich im “Schwarzen Adler” in
Eichwalde getroffen, einer habe in der Zeitung von dem Antifa-Konzert
gelesen. Da hätten sie sich zu viert auf den Weg gemacht, um das
Antifa-Konzert zu verhindern.
Auch Sebastian D. weiß angeblich nicht, wie es zu der Verabredung kam.
Zumindest aber gibt er zu, dass er selbst eine Brandwaffe gebastelt und
geworfen hat. Erst im letzten Moment habe er wahrgenommen, dass auf der
Bühne Menschen waren. “Da konnte ich nicht mehr stoppen.” Die beiden
Mittäter, gegen die gesondert ermittelt wird, hat er trotzdem nicht vom
Werfen abgehalten. Und auch aus seiner rechten Gesinnung macht er kein Hehl.
In seinem Nacken sind eine Pistole und der Name einer rechtsradikalen Band
eintätowiert. Und natürlich auch die Ziffer 18. In der Szene steht sie als
Symbol für den 1. und 8. Buchstaben des Alphabets: A H — Adolf Hitler.
Dass beiden dieser Tat überführt wurden, ist einer anderen Ermittlung zu
verdanken. Telefon und Wohnung des 22-Jährigen wurden abgehört, weil er
unter dem Verdacht stand, am Bau von Rohrbomben beteiligt zu sein. Der
Verdacht bestätigte sich nicht. Dafür aber konnte ihm die Tatbeteiligung in
Königs Wusterhausen nachgewiesen werden. Bei allem, was den Angeklagten
nicht eindeutig bewiesen werden kann, heißt es ansonsten von beiden: “Ich
erinnere mich nicht. Dazu sage ich nichts.”
Dabei haben die Angeklagten eine Menge zu verlieren: Sebastian D. hat eine
Lehre als Raumausstatter abgeschlossen, arbeitete lange auf Montage im In-
und Ausland — bis er selbst kündigte. Derzeit absolviert er ein Praktikum
mit der Aussicht auf Festanstellung. Er lebt mit seiner Verlobten und deren
zweijährigem Kind zusammen.
Jeaninne P. hat das Abitur, studiert im zweiten Semester Architektur in
Cottbus und hat bereits einen vierjährigen Sohn: “Damals wurde ich wegen
meiner Haltung als Faschist angesehen. Heute kümmere ich mich nicht mehr um
Politik. Ich habe mit Kind und Studium genug zu tun.”
Bisher sind drei Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil wird am 11. Mai
erwartet.