(Jens Blankennagel, Berliner Zeitung) ANGERMÜNDE. Die 43. Montagsdemo gestern in Angermünde (Uckermark) stand unter einem speziellen Motto. “Es ist diesmal eine Gedenkdemonstration für alle Suizidopfer von Hartz IV”, sagte Organisatorin Birgit Kühr. Alle Teilnehmer wurden aufgerufen, Kerzen bei der Demo mitzuführen. “Außerdem legen wir für die Hartz-IV-Toten zwei Grabsträuße nieder: einmal vor dem Rathaus und einmal vor dem Grundsicherungsamt, der hiesigen Hartz-IV-Stelle”, sagte sie. Zur ersten Montagsdemo kamen am 23. August 550 Teilnehmer. In der Vorwoche waren es ganze 50.
Anlass für die Gedenkkundgebung war für die Organisatorin, dass sich am 25. Mai ein 54-Jähriger im nordrhein-westfälischen Höxter erhängt hatte. Angeblich wegen Hartz IV. Bereits Ende Januar waren in Zerpenschleuse (Barnim) die Leichen eines Berliner Ehepaares gefunden worden, die für ihren Selbstmord die “soziale Kälte” nach Hartz IV verantwortlich machten. “Die Dunkelziffer wird hoch sein”, sagt Birgit Kühr. Auch in Angermünde soll jemand einen Suizidversuch unternommen haben. “Im Internet habe ich viele Berichte von Leuten gelesen, die wegen ihrer Armut über Selbstmord nachdenken”, sagt sie. Sie beteiligt sich auch an der Vorbereitung der landesweiten Montagsdemo am 2. Juli in Jüterbog.
Meist nicht Ursache für Suizid
Trotz Millionen Hartz VI-Betroffener gebe es nur eine Hand voll Selbstmorde, sagt Professor Armin Schmidtke, Vorsitzender der Initiativgruppe Nationales Suizidpräventionsprogramm. “Die meisten können mit den Veränderungen umgehen”, sagt er. Wer einen Selbstmord versucht, sei oft sozial schwach, arbeitslos und lebe allein. “Doch von denen, die sich wirklich umbringen, sind 90 Prozent psychisch krank, der größte Teil von ihnen depressiv.” Selbstmord stehe am Ende eines langen Prozesses, das Abrutschen in die Armut könne ein Auslöser sein, selten aber die Ursache. Gerade in Ostdeutschland sei die Suizidrate seit der Wende enorm gesunken. “Und das obwohl die Arbeitslosigkeit von 0 auf etwa 20 Prozent gestiegen ist”, sagt er.