(Tim Karbe, Martin Klesmann und Pauline Schindler, Berliner Zeitung) NEUENHAGEN. Die Schüler des Einstein-Gymnasiums in Neuenhagen haben am Montagmittag ihre Schule bestreikt. Um elf Uhr verließen vor allem die älteren Schüler ihre Klassenzimmer und forderten auf dem Schulhof lautstark die Weiterbeschäftigung ihres Englisch- und Geografielehrers Sigurd Eyrich. Dazu hängten sie Plakate aus den Fenstern: “Pisa — Politiker im Sparauftrag” war darauf zu lesen. Der offenbar beliebte Lehrer Eyrich, 36, soll nämlich nach einer Entscheidung des Schulamtes im nächsten Schuljahr nicht mehr an dem Gymnasium östlich von Berlin beschäftigt werden. Sein Zwei-Jahres-Vertrag läuft aus. Da das Land Brandenburg immer weniger Schüler hat, werden auch immer weniger Lehrer gebraucht. Gehen müssen die jungen Lehrer, die befristet eingestellt sind. Die älteren Lehrer mit unbefristeten Festverträgen haben gewissermaßen Bestandsschutz — im Gegensatz zu Sigurd Eyrich, der immerhin den Geografieunterricht auf Englisch darbietet. “Dabei ist Herr Eyrich ein sehr guter Lehrer, er hat eine bilinguale Zusatzausbildung und er hat den Schüleraustausch mit den USA initiiert”, sagt der Schüler Frederik Blachetta, der den wilden Streik organisiert hat.
Die anderen Lehrer, häufig verbeamtet, standen während des Streiks ein wenig abseits, denn offiziell dürfen sie nicht streiken. Doch viele unterstützten den Schülerprotest — klammheimlich. “Es liegt im Ermessen jedes Lehrers, ob die Schüler für ihre Protestaktion eine Fehlstunde erhalten”, sagt die Schulleiterin Edelgard Pecher. Die Meinungen gingen da innerhalb des Lehrerkollegiums auseinander.
Sigurd Eyrich, der ruhige Mann im blauen Pullover, hält sich während der Protestaktion abseits. Er sagt, dass er sich über die Unterstützung sehr freue. Doch nun müsse er sich wohl in den alten Bundesländern um eine Stelle bewerben.
Die Zahl der Schüler in Brandenburg verringert sich in den kommenden fünf Jahren von 360 000 auf 240 000, jede zweite weiterführende Schule wird geschlossen. Da fällt es schon schwer, alle verbeamteten oder unbefristet angestellten Lehrer zu beschäftigen. “Viele dieser Lehrer können keine Vollzeit mehr unterrichten, wir gehen bis an die Schmerzgrenze”, sagt Thomas Hainz, Sprecher des Potsdamer Bildungsministeriums. Würde man auch Leute wie Sigurd Eyrich weiter beschäftigen, dann müsste anderen Lehrer betriebsbedingt gekündigt werden. “Das aber ist durch unsere Vereinbarung mit den Gewerkschaften ausgeschlossen”, sagt der Ministeriumssprecher. Diese Vereinbarung sieht indes auch vor, dass alle verbeamteten Lehrer ab 2008 gesetzlichen Anspruch auf Vollbeschäftigung haben. “Dann wird es noch enger”, gibt Hainz zu. Einen Teil der Vereinbarungen mit den Gewerkschaften kann die Potsdamer Landesregierung ohnehin nicht halten: 300 junge Lehrer sollten jedes Jahr bis zum Schuljahr 2010/11 eingestellt werden. “Doch zum neuen Schuljahr werden kaum Neueinstellungen erfolgen”, sagt Ministeriumssprecher Hainz. Dafür seien die Mittel nicht da. Deshalb könnten motivierte Junglehrer, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, leider nicht eingestellt werden. “Das Land hat mehr Stellen still gelegt als geplant”, sagt Günther Fuchs, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW). “Das geht nicht. Der Druck auf die Politik muss nun stärker werden.” Fuchs kritisierte die Umsetzungen von Lehrern aus den Randregionen des Landes in den Speckgürtel rund um Berlin. Auch hier würden zunächst die motivierten, unverheirateten Junglehrer umgesetzt. Zurück bleiben etwa in der Lausitz Schulen mit deutlich älterer Lehrerschaft. Die Schuldirektorin des Neuenhagener Gymnasiums kritisiert indes, dass die unbefristet beschäftigten Lehrer überhaupt keiner Kontrolle mehr unterliegen. “Meine persönliche Auffassung ist, dass eine Beschäftigungszusage immer an Qualität und Qualifizierung gebunden sein sollte”, sagt Edelgard Pecher.
Nach 2010 indes wird sich der Personalstau auflösen, weil dann viele ältere Lehrer in Rente gehen.