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Mord am Aussiedler Kajrat B. vorm Neuruppiner Landgericht


“Wir kön­nen bloss hof­fen, dass sie die Sache den Glatzen in die Schuhe schieben”, sollte Marko F. zu Michael H. gesagt haben. Die Sache, das ist die Tötung des Spä­taussiedlers Kajrat B. in Alt Daber bei Witt­stock am 2. Mai 2002. Heute, 8. Jan­u­ar 2003, wurde erst­mal vorm Neu­rup­pin­er Landgericht verhandelt. 

In der Tat fällt es den fünf Angeklagten nicht schw­er, sich glaub­haft von recht­sex­tremen Kreisen zu dis­tanzieren. Drei von ihnen — Marko F., Patrick S. und Ralf A. — sind der Tech­noszene zuge­hörig, fühlen sich auf Goa-Par­tys heimisch und nehmen XTC, Speed, Kokain. Michael F. hinge­gen gab vor Gericht an, keine Dro­gen zu nehmen. Er ste­he auf “Black Music” wie Hip-Hop. Sein Lieblingsmusik­er sei Bob Mar­ley. Ledg­lich Mike S. ist eine frühere Nähe zu Recht­sradikalen nachzuweisen. Mit so etwas sei es aber vor­bei, sagte er gestern. Und auf Demos oder anderen Aktion sei er auch nie anzutr­e­f­fen gewe­sen. “Man muss aber keine Glatze haben, um frem­den­feindlich zu sein”, hielt die Rich­terin den Angeklagten vor. Wer unter die Lupe nimmt, was in der Nacht des 2. Mai 2002 und darauf fol­gend passiert ist, wird fest­stellen, dass es sich nicht ein­fach nur um eine tragisch geen­dete Kneipen­schlägerei han­delt. Das ras­sis­tis­che Kli­ma in der nord­bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt Witt­stock spielt eine mass­ge­bliche Rolle. 

Über das was in der Nacht pasiert ist, gibt es ver­schiedene Aus­sagen. Anklageschrift sowie die Geständ­nisse von Marko F. und Michael H. wider­sprechen sich. Übere­in­stim­mend sind sie darin, dass die Gruppe der nun Angeklagten erst kurz vor der Tat zusam­men­fand. Marko F. und Patrick S. seien zusam­men zur Disko in die Kneipe in Alt Daber gefahren. Im Auto hät­ten sie Kokain genom­men. Marko F. zu ersten Mal. Michael Haas sagte aus, mit sein­er Fre­undin zu der Tech­nover­anstal­tung gefahren zu sein. Dort habe er Wod­ka-Red Bull getrunk­en, aus­ge­lassen gefeiert und wollte länger bleiben als seine Fre­undin. Schw­er betrunk­en sei Mike S. in der Kneipe rumge­torkelt. “Er lief rum wie Falschgeld” (Marko F.), war auf Stre­it aus und wurde vom Kneipenbe­sitzer mehrmals vor die Tür geset­zt. Eben­falls nicht mehr ganz nüchtern sei Ralf A. gewe­sen, der die Truppe mit seinem Auto nach Hause fahren wollte. Nach­dem die Disko endete, kam es zur Diskus­sion, ob die fünf nicht bess­er laufen soll­ten. Ralf A. sei zum Fahren zu betrunk­en. Kajrat und sei Fre­und Max — eben­falls ein Spä­taussiedler — hät­ten das Gespräch gestört, schnor­rten um Zigaret­ten und seien zuse­hends agres­siv gewor­den. Es kam zu Hand­grei­flichkeit­en deren Ver­lauf unter­schiedlich widergegeben wird. Fest ste­ht, das Max schw­er ver­let­zt wurde und Kajrat wenige Tage später an den Ver­let­zun­gen ver­starb. Zuge­zo­gen hat­te er sich diese durch zahlre­iche Tritte und Schläge und einen rund 17 Kilo schw­eren Feld­stein, der auf seinen Oberkör­p­er gewor­fen wurde. 

Wenige Stun­den zuvor sei Marko F. in eine Schlägerei mit einem anderen Besuch­er der Disko dessen Fre­undin er belei­digt hat­te ver­wick­let wor­den. F. schlug zu beziehungsweise schub­st sein Gegenüber (eigene Aus­sage). Der Geschädigte ist mit einem blauen Auge weggekom­men. “Da sind gle­ich Leute dazwis­chen gegan­gen”, erin­nert sich Marko F. an den Vor­fall. Als Kajrat und Max attakiert wur­den ist nie­mand dazwis­chen gegan­gen. Auch wenn die Täter beobachtet wur­den. Michael H. erin­nert sich daran, dass fünf bis zehn Leute hin­ter seinem Rück­en ges­tanden haben müssen. Erst als bei­de Aussiedler am Boden lagen und weit­er auf sie einge­treten wurde, riefen einige “Mädels” (Marko F.): “Hört auf, ihr schlagt ihn ja tot”. Aber vor allem: “Haut ab, die Polizei kommt gle­ich.” Die Täter ergrif­f­en die Flucht. Zwei Tage später wur­den Absprachen getrof­fen, was der Polizei erzählt wer­den soll, um die Tat zu verschleiern. 

Wer den Stein von immensen Aus­maß gewor­fen hat, daran kann sich ange­blich kein­er der Beobachter erin­nern. Die zahlre­ichen Zuschauer der Prügelorgie, wollen überse­hen haben, wie ein­er der Beteiligten einen rund einen hal­ben Meter lan­gen Feld­stein her­an­schleppte und auf den am Boden Liegen­den schmetterte. In Witt­stock gehen viele Ver­sion um, was am 2. Mai 2002 passierte. Immer­hin 65 Zeu­gen sind geladen. Wer den Stein warf, darüber will ange­blich nie­mand von ihnen sichere Erken­nt­nisse haben. Das klingt unglaub­würdig. Wahrschein­lich­er ist es wohl, dass die Bürg­er der Kle­in­stadt Witt­stock zusam­men­rück­en, um ihre Jungs da rauszuhauen. Die eige­nen Söhne ste­hen ihnen näher als die von irgendwelchen rus­s­land­deutschen Müt­tern und Vät­tern. “Haut bloss ab hier, die Kripo war heute schon da”, soll der Kneipenbe­sitzer am Tag nach dem Vor­fall Marko F. zugerufen haben, als dieser vor­beikam, um sich nach einem ver­loren gegan­genen Handy umzuschauen. Was mit den bei­den Aussiedlern geschehen ist, darüber habe er sich in dem Moment nicht erkundigt, gab Marko F. vor Gericht zu. Aus dem Radio habe er von den Fol­gen erfahren. 

Er stellte sich als einen Men­schen dar, der nur schw­er die Fas­sung ver­liert. In Stre­it­fällen will Marko F. nach eige­nen Bekun­den eher schlicht­en als zuhauen. Doch ein­er der bei­den Aussiedlern sei immer agres­siv­er gewor­den, habe ihn bedro­ht und seinen Fre­und Mike S. ange­grif­f­en. Der andere Aussiedler wollte schlicht­en. Einge­treten hat er auf sie bei­de. “Bleib liegen, Scheiß-Russe”, rief er. “Das war aber nicht aus­län­der­feindlich gemeint.” Auch während sein­er Aus­sage fiel es ihm schw­er, Max und Kajrat auseinan­derzuhal­ten. Welch­er von bei­den agres­siv war, wie welch­er aus­sah, mit wem er sprach. Es waren eben die bei­den Russen. Auch Michael H. will mit Schlägereien nichts am Hut haben. In der Sit­u­a­tion sei das anders gewe­sen: “Ich habe mich warschein­lich aus der Gemein­schaft her­aus ani­miert gefühlt und habe ‑jet­zt musst du auch- gedacht.” Sein Schlag sei aber daneben gegan­gen, vielmehr habe er sich durch einen Sturz selb­st ver­let­zt und an dem Geschehen nicht mehr teilgenommen. 

Ach wenn Michael H. laut sein­er Aus­sage im Weit­eren nicht ein­schritt, die Tötung zu ver­hin­dern. So war er doch der einzige der Beschuldigte, der zaghafte Worte des Bedauerns anklin­gen ließ. Seine Mitangeklagten plagten andere Sor­gen. Patrick S., der bere­its eine Strafe auf Bewährung ver­büßt, hat Angst, für lange Zeit ins Gefäng­nis zu kom­men. Andere gaben an, zu fürcht­en, dass der Fahrer des Fluchwa­gens den Führerschein
ver­liert. Immer­hin stand er unter Alko­hole­in­fluss. Auch Marko F. wollte seine Flep­pen nicht loswer­den und habe deshalb in ein­er vor­ange­gan­genen Polizeivernehmung ver­heim­lich, dass er Kokain genom­men hatte. 

Was hat der Tod Kajrats mit Ras­sis­mus zu tun?

Der Grund, warum den bei­den Aussiedlern von nie­man­den geholfen wurde obwohl bru­tal auf sie eingeprügelt wurde, war ihre Fremd­heit. Max und Kajrat störten die Ver­trautheit der Dorfdisko. Sie hat­ten dort nichts zu suchen. Die Schläger waren den umste­hen­den Gaffern (fre­und­schaftlich) bekannt. 

Täter und Zeu­gen üben sich in Ver­schwiegen­heit und machen sich somit zur Gemein­schaft. Wäre es ein alteinge­sessen­er Witt­stock­er, der bei solch ein­er Kneipen­schlägerei stirbt, gebe es sich­er jeman­den, der sich auf Anhieb erin­nert, wer den Stein warf. 

Obwohl in bei­den Ein­las­sun­gen der Beschuldigten davon die Rede ist, dass nur ein­er der Aussiedler agres­siv gewe­sen sein soll und der andere schlicht­en wollte, schlu­gen die Täter auf bei­de ein. Ihre Gemein­samkeit: Sie sind Aussiedler. 

Die Beschuldigten nan­nten als Grund für die steigende Agres­sion vor der Schlägerei Kom­mu­nika­tion­sprob­leme. Es sei nicht ver­ständlich gewe­sen, dass die bei­den nur Zigar­ret­ten haben wollten. 

Presse­berichte

Der Angeklagte: “Ich bin nor­mal” (TAZ)

“Von dem Stein weiß ich nichts” (MAZ)

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