jW sprach mit Dominique John, Mitarbeiterin der Opferperspektive Brandenburg
F: Wittstock an der Dosse gilt als eines der Zentren
braunen Terrors in Brandenburg. Seit dem Mord an dem 24jährigen rußlanddeutschen Aussiedler Kajrat B. am 4. Mai macht die Stadt erneut Schlagzeilen. Wie ist die Situation in Wittstock und Umgebung?
Es gibt hier nicht nur eine straff organisierte Naziszene, der dreißig bis vierzig Leute zugeordnet werden und die in den letzten Jahren zahlreiche Demonstrationen organisiert hat. Für das, was man als rechte kulturelle Hegemonie bezeichnet, ist Wittstock ein anschauliches und extremes Beispiel. Eine linke, alternative oder wenigstens ausdrücklich nicht-rechte Jugendkultur gibt es in der Stadt nicht. Die Rechten beherrschen in einem erschreckenden Ausmaß das Stadtbild.
Die rußlanddeutsche Community steht massiv unter Druck. Viele wollen weg. Jede Familie, zu der wir bisher Kontakt aufgenommen haben, berichtete über rassistische Beschimpfungen oder gar Angriffe auf der Straße, in den Wohnblocks und auch in den Schulen. Aus Angst weigern sich Kinder zum Teil, in die Schule zu gehen. Ein ganz großes Problem ist auch die Situation im öffentlichen Nahverkehr, wo immer wieder Rußlanddeutsche angemacht werden. Die Lage ist so zugespitzt, daß es sogar Überlegungen bei der Polizei gibt, die Busse zu begleiten.
Was ist am 4. Mai in Wittstock passiert?
Kajrat und sein Freund Maxim waren an diesem Abend in einem Club. Als die beiden dort auftauchten, haben sie relativ schnell gemerkt, daß sie am »falschen Ort« waren. Sie überlegten, wie sie aus der Situation am besten herauskommen, und entschieden sich dafür, im Hintergrund zu bleiben und abzuwarten, bis das Gros der Leute gegangen ist. Als sie dann gingen, wurden sie jedoch plötzlich von hinten angegriffen. Es ist bekannt, daß mindestens drei Leuten auf sie eingetreten haben. Einer der Angreifer hat dann einen 15 Kilogramm schweren Feldstein genommen, ihn hochgestemmt und Kajrat auf die Brust geworfen. Nach fast dreiwöchigem Aufenthalt auf der Intensivstation ist Kajrat an seinen inneren Verletzungen gestorben.
F: Gab es in Wittstock Reaktionen auf diesen Mord?
Es gab zunächst eine große Betroffenheit. Vor allem bei Mitgliedern des »Bündnis für ein Wittstock ohne Gewalt«. Das hat sich im November letzten Jahres gegründet und will sich mit der Problematik von Rechtsextremismus und der rechten kulturellen Hegemonie in Wittstock auseinandersetzen. Vertreter der Stadt, der Kirchen und Einzelpersonen sind dabei. Nach dem Mord an Kajrat beginnt man im »Bündnis«, über die Situation der Rußlanddeutschen nachzudenken. Zuvor hatte man hier die Rußlanddeutschen nicht als von rassistischen Angriffen Betroffene wahrgenommen. Daß hängt wohl auch damit zusammen, daß Rußlanddeutsche als eine gesellschaftliche Gruppe angesehen werden, um die sich — nach unserem Dafürhalten — fast so etwas wie ein Mythos rankt: Es scheint allgemein angenommen zu werden, daß Rußlanddeutsche gut organisiert, schlagfertig und vor allem in der Lage sind, zurückzuschlagen. Es sei mal dahingestellt, wie diese Zuschreibungen zustande kommen. Klar ist nur, daß die Handlungen der Verantwortlichen in der Stadt durch diese Bilder stark beeinflußt sind.
Problematisch finden wir in diesem Zusammenhang die Presseberichterstattung nach dem Mord an Kajrat. Ob es nun der Tagesspiegel ist oder der Spiegel, immer wird ein Bild der Rußlanddeutschen gezeichnet, das von entsprechenden Stereotypen strotzt. Da ist von Selbstjustiz die Rede, von Rußlanddeutschen, die angeblich »Patrouillen« bildeten und »auf eigene Faust« nach Nazis suchen. Diese kollektiven Zuschreibungen haben allerdings nach unserer Wahrnehmung nichts mit den realen Verhältnissen in Wittstock zu tun. Zwar gibt es Jugendliche, die für sich den Schluß gezogen haben, sich in Zukunft zu wehren, doch die Berichterstattung verkennt die Realität in Wittstock vollkommen. Die Gewalt geht dort eindeutig von rechts aus.