von M. Lukaschewitsch
Potsdam — Sie ist eine Lebensretterin. Eine Heldin auch? Nicole Lüdeking aus Brandenburg/Havel winkt ab. “Ich habe gar nicht nachgedacht, sondern gemacht, was man tun muß”, sagt die 25jährige. Eine Selbstverständlichkeit. Frank Tiemann nennt es einen “leider nicht alltäglichen Akt der Zivilcourage”.
Der Vorsitzende Richter am Potsdamer Landgericht leitet den Prozeß gegen den Bundeswehr-Oberfeldwebel und Familienvater Torsten Z., der ebenfalls aus Brandenburg/Havel stammt. Der 26jährige ist des versuchten Mordes an dem kenianischen Asylbewerber Oskar M. (30) angeklagt; daß die Anklage nicht auf Mord lautet, verdanken Täter und vor allem Opfer dieser Nicole Lüdeking.
Torsten Z., Oskar M. und die junge Frau hatten am frühen Morgen des 18. Juli 2004 in der Havelstadt unabhängig voneinander eine Diskothek verlassen. 50 Meter weiter an der Bushaltestelle attackierte Z. den Kenianer aus fremdenfeindlichen Motiven mit einer abgebrochenen Flasche. Die junge Frau griff ein, packte Z. am linken Arm, dessen Hand das Glas umklammerte, und stemmte sich “mit aller Kraft” gegen den bulligen Soldaten. Redete minutenlang auf ihn ein und hielt ihn so davon ab, sein bereits schwer verletztes Opfer umzubringen. Z. hatte es mit der messerscharfen Kante der Flasche in den Hals gestochen.
Angst habe sie in dem Moment nicht gehabt, sagt die Mutter einer vierjährigen Tochter gestern als Zeugin im Prozeß. Das Risiko, daß der Soldat auch ihr was antun könnte, habe sie verdrängt. Für den Täter wäre es kein Problem gewesen, die zierliche Frau wegzustoßen. Z. sei wie von Sinnen gewesen, berichtet Nicole Lüdeking; tänzelte unruhig hin und her “wie ein Boxer im Ring”; schob seinen Oberkörper immer wieder in Richtung des Opfers. Atmete schnell, preßte hastig immer wieder hervor: “Euch Ausländern geht′s zu gut hier.” — “Er schien zu allem entschlossen”, sagt die 25jährige, sie redete trotzdem auf ihn ein. Irgendwann beruhigte er sich. “Vielleicht überraschte es ihn, daß eine Frau sich in den Weg stellte”, fragt sich Nicole Lüdeking.
“So viel Mut ist bei Übergriffen auf Ausländer in Brandenburg leider nicht die Regel, Sie können zu Recht stolz auf sich sein”, gibt ihr Richter Tiemann mit. Die Frau weiß, daß sie nun von einigen Menschen als Nestbeschmutzerin und Verräterin beschimpft werden wird. Kurz vor dem Prozeß habe ein Bekannter des Angeklagten sie gefragt: “Finden Sie es schön, einen unschuldigen Familienvater ins Gefängnis zu bringen?” Sie sagt nur: “Ich würde es wieder so machen”.
Zeugin hielt Unteroffizier von weiterer Gewalt ab Prozess um versuchten Mord an Kenianer
Potsdam – Nicole L. rutscht am Donnerstag auf ihrem Stuhl im Zeugenstand des Potsdamer Landgerichtes hin und her. Aufgebracht. Wie beschreibt man das? “Er hat sich aufgepumpt wie ein Boxer vor dem Kampf”, erklärt die kleine 25-jährige Raumausstatterin aus Brandenburg. Sie musste den Hauptangeklagten Unteroffizier Thorsten Z. am Handgelenk festhalten und auf ihn einreden, damit er sich nicht wieder auf den Kenianer Oscar M. stürzt, der mit einer stark blutenden Wunde am Hals zunächst am Boden lag, dann unter Schock herumlief.
Zweiter Verhandlungstag im Prozess gegen Thorsten Z. und den Mitangeklagten Andreas R.. Die junge Frau ist eine der Hauptzeuginnen gegen den drahtigen 26-jährigen Oberfeldwebel, dem der Staatsanwalt versuchten Mord “aus fremdenfeindlich motivierter Wut” vorwirft und den großen 30-jährigen Maurer Andreas R., der den Kenianer beschimpft und zu Boden geschlagen haben soll.
Nicole L. und ihre Freundin kamen – wie die Angeklagten sowie Oscar M. und sein kenianischen Begleiter – am 18. Juli 2004 gegen 5 Uhr morgens aus der Brandenburger Disko “Piephahn”, sie ahnten, dass es zu einer Schlägerei kommt, sagt die junge Frau, die Angeklagten hätten die Kenianer angepöbelt, “Ausländern würde es in Deutschland besser gehen als den Deutschen”. Die Stimmung sei angespannt, aggressiv gewesen. Die Frauen standen in kurzer Entfernung, aber außer Sichtweite zu der Bushaltestelle, an der die beiden Kenianer auf die Angeklagten trafen. Als sie ein lautes, klirrendes Geräusch hörten, liefen sie hin und fanden Oscar M. blutend am Boden liegend, Thorsten Z. habe einige Meter entfernt gestanden, eine Scherbe in der Hand zerdrückend, Andreas R. und den zweiten Kenianer hat sie nicht wahrgenommen – Thorsten Z. hatte hingegen am ersten Verhandlungstag erklärt, er habe keine Flasche zerschlagen, sondern eine am Wege liegende Scherbe aufgenommen. Das sei das Letzte, an das er sich erinnere, er sei volltrunken gewesen. Das allerdings konnte Nicole L. Nicht bestätigen. Thorsten Z. habe weder gewankt, noch gelallt. Auch der später auftretende Zeuge Sebastian D. schätzte den Hauptangeklagten nicht als alkoholisiert ein, als er ihn fröhlich beim Tanzen antraf. Thorsten Z. habe gläserne Augen gehabt, erzählt er: “Er sah aus, als ob der Drogen drin gehabt hätte”. Sebastian D. hat sich aus der disko verabschiedet bevor es zu dem Übergriff auf die Kenianer kam. Mögliche Rettung aus der Nachbarschaft blieb Oscar M. verwehrt. Ein Mann aus dem Haus gegenüber der Haltestelle habe “Ruhe” gebrüllt. Als Oscar M. um Hilfe rief, schloss der Mann das Fenster, erzählt Nicole L. Bernhard A., der DJ im Piephahn, drückte dem hilfesuchenden Kenianer mit der klaffenden Halswunde Servietten in die Hand und ließ ihn vor der Tür der Disko stehen, die der Chef der Disko daraufhin von innen abschloss. Als der “Schwarzneger” an die Tür hämmerte, habe er gerade seine Sachen gepackt, berichtete der Krankentransporteur, der bei einem früheren Verhör angegeben hatte, dass die Wunde lebensgefährlich ausgesehen habe, gestern vor Gericht. Damit machte er weiter, nachdem der Verletzte fort war. “Ich wollte Feierabend machen”. Einen Krankenwagen habe er nicht gerufen, das hätte der Kenianer “partout nicht gewollt”.