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Mutmaßliche Potsdamer Neonazis „geoutet“

(Hen­ri Kramer)

(31.12.2007)
Eine neue Inter­net­seite gegen Neon­azis aus der linken Szene Pots­dams sorgt bei Recht­sex­trem­is­mus-Experten für ern­ste Bedenken. Denn um der recht­en Szene in der Lan­deshaupt­stadt „etwas ent­ge­gen­zuset­zen“, hat eine bis­lang unbekan­nte Pro­jek­t­gruppe unter dem Namen „Out­ing Pots­dam“ eine Home­page pro­gram­miert, auf der 25 volle Namen, Wohnorte und Bilder von mut­maßlichen Szene­größen aus der Region zu find­en sind. Zu den unbear­beit­eten Bildern – vor­wiegend aufgenom­men bei recht­sex­tremen Aufmärschen – kom­men Ein­schätzun­gen wie „großmäulig und aggres­siv“ oder „mehrfach vorbe­straft wegen Gewaltdelikten“.

Trotz des offen­bar großen Rechercheaufwands find­et Wol­fram Hülse­mann die Aktion „als all­ge­mein nüt­zliche Ver­fahrensweise nicht empfehlenswert“. Hülse­mann ist Leit­er des demos-Insti­tuts für Gemein­we­sens­ber­atung, das in Bran­den­burg die Mobilen Beratung­steams gegen Recht­sex­trem­is­mus koor­diniert. Er habe großen Respekt vor dem „demokratis­chen Engage­ment“ von etwa der Pots­damer Antifa, sagt Hülse­mann. Doch würde ein Ver­fahren der „öffentlichen Zurschaustel­lung“ wie bei „Out­ing Pots­dam“ in jedem Kon­flikt genutzt, könne schnell eine „Pogrom­stim­mung“ entste­hen – auch mit gewalt­samen Fol­gen. „Es kön­nte sich eine Energie auf­schaukeln, die große Teile der Gesellschaft abschreckt und vom demokratis­chen Engage­ment gegen Recht­sex­trem­is­mus abhält“, warnt Hülsemann.

Dies sehen die Pro­gram­mier­er der neuen Seite offen­bar anders. „Mit­tels Recherc­hear­beit“ sei das Pro­jekt ins Leben gerufen wor­den, „weil wir nicht länger zuse­hen wollen, wie sich recht­sex­treme Struk­turen in unser­er Stadt und unseren Kiezen fes­ti­gen“. Ziel sei es, „mit unserem Mate­r­i­al eine Grund­lage für antifaschis­tisch inter­essierte Men­schen vor Ort zu schaf­fen und ihnen so eine inten­si­vere Arbeit zu ermöglichen.“ Eine regelmäßige Aktu­al­isierung der Seite „nach bestem Wis­sen“ wird eben­so angekündigt, dazu kommt ein Aufruf, selb­st Mate­r­i­al zu schick­en: „Werdet kreativ und zeigt den Nazis in und um Pots­dam was ihr von ihnen hal­tet! Fight Fascism!“

Nicht nur Recht­sex­trem­is­mus-Experten wie Hülse­beck war­nen vor solchen Aufrufen. Die Fol­gen solch­er Veröf­fentlichun­gen – die auch schon rechte Grup­pen gegen Linke einge­set­zt hät­ten – seien schw­er abzuschätzen, sagt Wolf­gang Brandt. Er ist Sprech­er beim Bran­den­burg­er Innen­min­is­teri­um, das dem Ver­fas­sungss­chutz vorste­ht. So habe es in Bran­den­burg bere­its Beispiele gegeben, dass dem „Out­ing“ von Recht­sex­tremen auch Straftat­en fol­gten: Erst im Mai habe das Auto eines „Geouteten“ in Frank­furt (Oder) gebran­nt, nach­dem dieser im März in einem Online-Mag­a­zin namentlich genan­nt wurde. Allerd­ings seien Inter­net-Out­ings ohne echte Gewal­taufrufe strafrechtlich ohne Rel­e­vanz. So bleibe es den auf „Out­ing Pots­dam“ abge­bilde­ten Per­so­n­en vor­be­hal­ten, gegen die Betreiber wegen der Ver­let­zung von Per­sön­lichkeit­srecht­en zivil­rechtlich vorzuge­hen, so Brandt. Doch dazu müssten die Per­so­n­en hin­ter „Out­ing Pots­dam“ bekan­nt sein – jedoch fehlt auf der Seite jed­er Hin­weis auf eine per­sön­liche Urheberschaft.

Unmöglich ist es auch her­auszufind­en, ob alle auf „Out­ing Pots­dam“ abge­bilde­ten Per­so­n­en zum harten Kern der Pots­damer recht­en Szene gehören oder eher Mitläufer sind – oder ob die Pro­jek­t­gruppe gar Unbeteiligte abge­bildet hat. So find­en sich auf der Seite schon wegen recht­sex­tremen Über­grif­f­en bekan­nte Namen wie Tom S. oder Sebas­t­ian G. – allerd­ings auch bish­er unbekan­nte Per­so­n­en wie Dustin S. oder Julia M. Die aktuelle Zuge­hörigkeit zur Szene will das „Out­ing Potsdam“-Projekt dabei offen­bar mit Fotos aus dem Umfeld von Neon­azi-Aufmärschen im Jahr 2007 bele­gen – was aber zum Beispiel bei Dustin S. oder Julia M. nicht gelingt, weil die Auf­nah­men entwed­er älter sind als ein Jahr oder keine belas­ten­den Indizien über recht­sex­tremes Gedankengut enthal­ten. Ver­fas­sungss­chutz und Polizei wollen sich über mögliche Fehler mit Ver­weis auf den Schutz per­sön­lich­er Dat­en nicht äußern. Recht­sex­trem­is­mus-Experte Hülse­mann kri­tisiert die öffentlichen „Markierun­gen“ bei „Out­ing Pots­dam“ denn auch wegen möglich­er Unge­nauigkeit­en: „Jun­gen Men­schen, die sich gegen­wär­tig in der recht­sex­tremen Szene bewe­gen, wer­den so möglicher­weise Rück­kehrmöglichkeit­en ins demokratis­che Spek­trum verbaut.“

Dage­gen kon­tert Lutz Boede als bekan­nter Stadt­poli­tik­er der linksalter­na­tiv­en Frak­tion Die Andere: Er lehne als beken­nen­der Link­er zwar Aktio­nen ab, die mit Angst und Ein­schüchterung arbeit­eten – allerd­ings halte er das öffentliche „Out­en“ für wichtig, um das Han­deln von Recht­sex­tremen aus der Anonymität zu ziehen. Denn Neon­azis seien heute nicht mehr an Äußer­lichkeit­en erkennbar. „Doch sind sie bekan­nt, kön­nen Bekan­nte und Nach­barn sie mit ihren recht­sex­tremen Aktiv­itäten kon­fron­tieren – und wenn ich weiß, dass bei meinem Zah­narzt eine rechte Aktivistin arbeit­et und Zugang zu meinen Patien­ten­dat­en hat, kann ich mir einen neuen Dok­tor suchen.“

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