Die Straßensozialarbeit mit Jugendlichen in Potsdam steht vor einem der größten Umbrüche ihrer Geschichte. Die Villa Wildwuchs, Heim der Sozialarbeiter des Diakonischen Werks Potsdam e.V., wird aufgegeben. Das Sozialarbeiter-Team zieht ins Erdgeschoss der Posthofstraße 9. Gleichzeitig hat Wildwuchs-Leiter Gunnar Schulz gekündigt, um künftig von Gewalt betroffene Menschen zu betreuen. Neben Schulz verlässt Stefan Dorn die Wildwuchs-Gruppe aus familiären Gründen. Für die Sozialarbeiter gibt es bereits Ersatz: Die neue Mitarbeiterin Mareen Müller hat gestern angefangen, die neue Leiterin Miriam Kieser beginnt im März. Dies bestätigte den PNN gestern Marcel Kankarowitsch, Chef des Diakonischen Werks Potsdam, das für die Straßensozialarbeit in der Stadt verantwortlich ist. „Auf dem Papier wird es keine Änderung unseres Auftrags zur Straßensozialarbeit geben, jedoch werden neue Mitarbeiter sicher neue Schwerpunkte setzen“, sagte Kankarowitsch. Besonders der Bereich Erlebnispädagogik solle gestärkt werden.
Mit dem bis jetzt gültigen Konzept arbeitet das Wildwuchs-Team unter dem Dach der Diakonie seit sieben Jahren. Im vergangenen Jahr hatte sich zumindest der Umzug weg von der sanierungsbedürftigen Villa Wildwuchs am Babelsberger Havelufer bereits abgezeichnet (PNN berichteten). „Trotz der Änderungen bleibt der Name gleich“, sagte Kankarowitsch. Ebenso sollten wesentliche Nebenprojekte der Wildwüchser wie der Fanladen des SV Babelsberg 03 in der Karl- Gruhl-Straße erhalten bleiben. „Über neue Projekte wird erst nach der Einarbeitungszeit entschieden“, so Kankarowitsch. Offen sei unter anderem, ob etwa die oft verwaiste Jugendaktionsfläche auf dem Bassinplatz mit in die Arbeit einbezogen werden könne.
Mit dem personellen Umbruch endet für den ehemaligen Wildwuchs-Chef Gunnar Schulz eine Ära – 19 Jahre war er in der Jugendsozialarbeit tätig. Unter anderem baute er das Jugendhaus „Oase“ auf Hermannswerder auf. Seit 2000 war er beim Wildwuchs-Team. „Trotz aller Erfolge haben wir auch Fehler gemacht“, so Schulz im Rückblick. So habe Wildwuchs für alle Jugendlichen in der Stadt gleichzeitig zuständig sein wollen – in Zukunft hoffe er, dass sich seine Nachfolger wieder mehr auf einzelne Gruppen konzentrieren könnten. Als Beispiel für die Konzentration auf einzelne Gruppen führt er die Arbeit von Waldemar Jungbluth mit russischsprachigen Jugendlichen an. „Er sieht die Jungen und Mädchen zum Teil fünfmal in der Woche – so können Vertrauen und dadurch auch Ergebnisse entstehen, als wenn wir jeden Tag einzeln verschiedenste Jugendgruppen anfahren“, so Schulz. Gleichzeitig seien die Erwartungen an Straßensozialarbeiter stetig gestiegen, die finanziellen Abhängigkeiten ebenso – damit sei für ihn letztlich die Entscheidung zum Neubeginn nötig geworden.
Schulz wird der sozialen Arbeit in Potsdam allerdings nicht verloren gehen: Er arbeitet nun in der Sellostraße 28 im Potsdamer Coachingzentrum des Schweizer Unternehmens Brainjoin, dass sich auf Stressprävention und Unfallverarbeitung spezialisiert hat. „Wir hoffen, diese Hilfe auch Menschen zukommen zu lassen, die über kein ausreichendes Einkommen verfügen“, so Schulz. Darüber würde zurzeit mit dem Jugendamt verhandelt. Das Engagement passt zu seinen Träumen einer besseren Welt: „Eine Sehnsucht ist noch lange nicht gestillt – die nach einem gerechten Miteinander, einer solidarischen Gemeinschaft, in der Visionen und Hoffnungen die Politik und Gesellschaft bestimmen – und nicht der Druck, sich selbst verwirklichen zu müssen.“