„Wir werden von unserem Weg, dass Politik außer im Fach Politische Bildung, nichts in der Schule zu suchen hat, nicht abgehen.“ Steht in der Märkischen Oderzeitung vom 28.11.2002. Gesagt hat dies Herr Bretsch, Schulleiter der E. Welk- Gesamtschule Angermünde in Reaktion auf erneute rechtsextreme Schmierereien an seiner Schule am letzten Wochenende.
Herr Bretsch hat allerdings noch weitere Funktionen: er sitzt als SPD- Mitglied im Kreistag und ist seit Jahren Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. Seine Aussage ist deshalb nicht nur Ausdruck eines Klimas von Demokratiefeindlichkeit, Entpolitisierung, Unmündigkeit und Anpassung an vielen Schulen in der Uckermark, sondern symbolisiert ein wichtiges Prinzip von Jugendpolitik hier.
Wer aber ernsthaft nach den Ursachen für die schreckliche Tat in Potzlow suchen will, kann nicht bei allgemeinen Statements über die gesellschaftliche Verantwortung bei der Erziehung und Wertebildung von Jugendlichen stehenbleiben. Hier in der Uckermark kann jeder, der sehen will, einen Standpunkt zur Rolle von Schule und Jugendpolitik bei der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus formulieren. Wir tun dies hiermit:
Sie haben versagt!
Auch wenn Herr Bretsch schon deutlich genug geworden ist, wollen wir unsere Analyse mit weiteren konkreten Fakten untersetzen:
1. In der Uckermark finden in den allermeisten Projekten der Jugendarbeit keine Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus und Rassismus statt. Antirassistische Bildungsarbeit taucht weder in der Jugendhilfeplanung, noch in den Förderrichtlinien des Landkreises auf. Bildungsarbeit mit Jugendlichen macht gerade mal 1% des Fördervolumens aus. Im Rahmen des Landesprogramms „Tolerantes Brandenburg“ geförderte Projekte sind zu oft einmalige Veranstaltungen (fast immer Feste oder Sport), denen mit der Teilnahme schnell heran geholter Asylbewerber das Prädikat „Tolerant und Weltoffen“ umgehängt wird. Sind solche Veranstaltungen wirklich dazu geeignet, bewußt in die gesellschaftliche Diskussion zu Rechtsextremismus einzugreifen, Position zu beziehen, den Betroffenen, die Möglichkeit zu geben, ihre Probleme selbst darzustellen und langfristig Wirkungen in Richtung Selbstorganisation der gesellschaftlichen Akteure zu erzielen? Aber Politik soll ja nicht rein.
2. Engagement von nicht- rechten Jugendlichen wird nicht ernst genommen, nicht selten kriminalisiert und ist schon gar nicht förderwürdig. Einrichtungen der Jugendarbeit werden nur bei fest angestellten Personal finanziell unterstützt, Projekte der Jugendarbeit erhielten 2002 überhaupt keine Zuschüsse durch den Landkreis mehr. Der Ansatz, Interessen, Selbstbestimmung und Engagement gegen Vorurteile, Fremdenangst und Intoleranz von jungen Menschen zu unterstützen, ist weder konzeptionell, noch real im Alltag der Uckermark zu finden. Hauptsache sie fallen nicht auf, konsumieren schön weiter und halten ihren Mund.
3. Statt dessen ist Jugendarbeit in der Uckermark fast ausschließlich konzeptionslos und wertfrei darauf ausgerichtet, Jugendliche zu betreuen. Je nach Ausstattung und Alter der SozialarbeiterInnen bestehen solche Angebote zum Beispiel aus Dart, Billiard, Bar, Kinderdisko, Seidenmalerei oder Töpferkurs. „Offene Jugendarbeit“ heißt das Prinzip, wo alle kommen können, aber trotzdem eine Gruppe dominiert, wo alle akzeptiert werden, auch Nazis und Rassisten und wo die höchste Form der Wertebildung ein Besuch beim BGS ist, wo man dann lernen kann wie man am effektivsten Ausländer jagt.
4. Personalstellen vergibt der Landkreis nur an Sozialarbeiterprojekte nach dem Notnagelprinzip: Hauptsache der Klub bleibt offen und für die ganz großen Problemfälle gibt es einen Sozialarbeiter. Fachliche Standards wie Teamarbeit, Evaluation und Konzeptentwicklung bleiben meist auf der Strecke. Stellen für die Förderung und Begleitung emanzipatorischer und antirassistischer Jugendarbeit gibt es nicht.
5. Die oben genannten Stellen werden mehrheitlich über das 610- Stellen des Landes finanziert. Andere Stellen fördert der Landkreis nicht. Ausdruck der aktuellen Situation ist, dass nicht einmal alle dieser der Uckermark zustehenden Stellen besetzt sind. Weder Landkreis, noch Kommunen oder gar freie Träger sind bereit oder in der Lage diese sowieso schon völlig unzureichende Personaldecke zu verstärken. Irgendwann vor zwei Jahren gab es mal den Vorschlag aus der Kreisverwaltung, die Förderung der Jugendarbeit auf 0 zu setzen. Vielleicht wäre dieser Schritt ehrlicher als das jetzige Notprinzip, dass eine fachliche Arbeit eigentlich unmöglich macht.
6. In Zeiten, wo sich rechtsextreme Orientierungen von Jugendlichen gar zu öffentlich zeigten, probierten sich viele Träger und Projekte in der Uckermark an akzeptierender Jugendarbeit aus. Ohne ausreichendes Fachpersonal, ohne Hintergrundwissen zu rechtsextremen Strukturen und Erscheinungsformen und ohne eigene politische Standpunkte verkehrten sich nicht wenige solcher Projekte in ihr Gegenteil: Sie förderten erst die kulturelle Dominanz rechtsextremer Jugendlicher. Und selbst da, wo eine hervorragende Arbeit dies verhinderte wie in Milmersdorf, konnte akzeptierende Jugendarbeit nicht erfolgreich sein. Denn, wenn das Ziel dieses Ansatzes ist, Jugendliche zurück zu holen in die Gesellschaft, so wäre die Grundvoraussetzung ein gesellschaftliches Klima von Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz und das findet man bis heute weder in Milmersdorf und schon gar nicht in Potzlow, Strehlow, Pinnow, Blankenburg oder sonstwo. Die Jugendlichen kamen selbst bei guter Arbeit vom Regen in die Traufe, sprich in ein Klima von Frust, Demokratiefeindlichkeit, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit.
7. Die Situation in Potzlow und im Jugendzentrum in Strehlow unterscheidet sich nicht wesentlich von der eben beschriebenen: Der Versuch akzeptierender Jugendsozialarbeit einschließlich der Einstellung eines rechten Sozialarbeiters, die lange währende kulturelle Dominanz der rechten Szene im Klub, die fehlende Auseinandersetzung mit ihnen und ihren Werten, die finanziellen und fachlichen Probleme und die nicht geförderte Emanzipation nicht- rechter Jugendlicher. Mit welcher Naivität die MitarbeiterInnen dort ganz offensichtlich die Werteentwicklung ihrer Jugendlicher beobachten, haben sie in Interviews selbst dargestellt: „Niemand hätte dem 17- jährigen (Haupttäter) diese brutale Tat zugetraut. Rechtsextreme Vorwürfe rufen nur Kopfschütteln hervor. Er habe nie „Sieg Heil“ gerufen.“ (MOZ vom 20.11.2002) Dann ist ja alles klar. Das sich rechtsextreme Einstellungen schon einige Zeit nicht mehr ausschließlich in äußeren Symbolen dokumentieren, scheint den MitarbeiterInnen völlig entgangen zu sein. Und woher soll sich ein solcher Wertewandel auch kommen, wenn Schule und Jugendarbeit der Meinung sind, Politik gehöre da nicht hin und Erziehung sei etwas wertfreies.
Das sich heute Jugendliche in der Uckermark trotzdem gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren und dies auch nach außen zeigen passiert nicht wegen, sondern trotz der Jugendpolitik hier!
Antifa Uckermark, 28.11.2002