Linke Gruppen rufen zu Demonstrationen in Potzlow und Prenzlau auf
Potzlow (ddp-lbg). Linke Gruppen aus der Uckermark und aus Berlin rufen für Samstag zu Demonstrationen in Potzlow und Prenzlau auf. Unter dem Motto «Potzlow ist überall — dem rechten Konsens entgegentreten» wollen sie gegen Rechtsextremismus in der Region auf die Straße gehen. Hintergrund ist der Mord an dem 17-jährigen Marinus Schöberl, dessen Leiche Mitte November in einer Jauchegrube in Potzlow gefunden worden war.
Die Protestkundgebungen richten sich zudem gegen die Jugendarbeit vor Ort. Das Jugendzentrum im Potzlower Nachbardorf Strehlow toleriere Rechtsradikale und sei inzwischen zum Anlaufpunkt für Neonazis aus der gesamten Region geworden, heißt es in dem Aufruf der «Antifa Aktion Berlin». Auch zwei der mutmaßlichen Mörder seien dort häufig gewesen.
Das Bildungsministerium wies diese Darstellung entschieden zurück. Es lägen keine Informationen vor, die Zweifel an der fachlichen Qualität der Arbeit in dem Jugendclub rechtfertigen würden, teilte ein Sprecher in Potsdam mit.
Das Mobile Beratungsteam Tolerantes Brandenburg erklärte, das Jugendhaus in Strehlow arbeite mit professioneller Fachlichkeit und «geradezu beispiellosem Engagement» (siehe hierzu: Erklärung der Antifa Uckermark). Eine Demonstration gegen dieses Haus käme einer Demonstration «gegen einen Hort demokratischer und selbstbestimmter Jugendarbeit» gleich.
Marinus Schöberl war am 12. Juli in Potzlow brutal misshandelt und ermordet worden. Die Täter vergruben den Toten in einer ehemaligen Jauchegrube auf einem früheren LPG-Gelände. Jugendliche aus Potzlow entdeckten dort vor knapp zwei Wochen Leichenteile. Als mutmaßliche Täter wurden zwei 17-Jährige und ein 23-Jähriger festgenommen. Die beiden Jüngeren legten ein Geständnis ab.
Kommentar: Die Potzlower sind am Zug
(Andreas Wetzel) Die Stimmung ist aufgeheizt. Antifaschistische Gruppen aus Berlin und Prenzlau trommeln für eine Demo an diesem Sonnabend in Potzlow, dem Ort des schrecklichen Verbrechens an Marinus Schöberl.
In den Demo-Aufrufen wird Potzlow wie die ganze Uckermark als brauner Sumpf dargestellt. Da stellt sich sogar die brandenburgische PDS — gewiss nicht im Verdacht, mit Rechten zu sympathisieren — gegen die Berliner Genossen, die die Aktion mit organisiert haben. Verhindern wird das den Aufmarsch nicht, der auch zum Jugendzentrum in Strehlow führen soll, in dem Opfer wie Täter verkehrt haben sollen. Das wird in Internetforen der linken Szene bereits als “Hitlerjugend-Zentrum” bezeichnet. Hoffentlich eskaliert die Lage dort nicht.
Und die Potzlower? Sie müssen aufpassen, dass ihr Entsetzen über die Tat nicht von anderen politisch ausgeschlachtet wird. Dazu gehört allerdings auch, dass sie künftig nicht mehr als normal hinnehmen, wenn ihre Dorfjugend kahlgeschoren und in Springerstiefeln fremdenfeindliche Parolen von sich gibt. Den Mord an Marinus müssen die Menschen in Potzlow in erster Linie allein verarbeiten.
Wischnath: Fremdenfeindlichkeit ist im Land “fast normal” — Und die meisten Menschen schauen weg
Potsdam (ddp-lbg). Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind in Brandenburg nach Ansicht des Generalsuperintendenten Rolf Wischnath weiterhin an der Tagesordnung. Pöbeleien, Beleidigungen, permanente Diskriminierung und tätliche Übergriffe seien in den Städten und Dörfern «fast normal», kritisierte der Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit am Freitag in Potsdam. Brandenburg habe die Situation noch nicht im Griff. Zudem würden die meisten Menschen wegsehen und schweigen.
Je mehr sich rechtsextreme Ideologien in den Köpfen festsetzten, desto größer werde «die Gefahr der brutalen Ausgrenzung derjenigen, die da nicht hineinpassen». Dies habe der Mord an Marinus Schöberl in Potzlow gezeigt. Zwischen den Mördern des 17-Jährigen und der NPD gebe es eine «Schnittmenge», den Rechtsextremismus mit seiner Ablehnung des Fremden und seiner Ideologie von der Ungleichwertigkeit der Menschen, betonte Wischnath.
Es wäre allerdings zu kurz gesprungen, den Mord in Potzlow nur unter dem Aspekt des Rechtsextremismus zu sehen. Ebenso spiele seelische Verwahrlosung der Täter eine Rolle. Ein Verfall der Werte sei überall in Europa erkennbar, betonte Wischnath. Konflikte würden «mit größter Selbstverständlichkeit» mit Gewalt gelöst. Am häufigsten komme Gewalt in Familien vor. Menschliche Beziehungen schienen immer häufiger durch Macht und Gewalt statt Liebe und Zuneigung geprägt zu sein.
Das Problem Rechtsextremismus dürfe nicht auf gewaltbereite Jugendliche reduziert werden, forderte Wischnath. Die Beschränkung auf diese Gruppe führe dazu, dass sich die meisten Bürger zurücklehnten und glaubten, damit nichts zu tun zu haben. Der Ausgangspunkt liege jedoch nicht bei den jungen Straftätern, sondern komme aus der Mitte der Gesellschaft.
Die Stimmung in Brandenburg habe sich in den vergangenen Jahren allerdings verändert, betonte Wischnath. Wer offensiv gegen Diskriminierungen von Mitmenschen auftrete, könne inzwischen auf Unterstützung hoffen und erlebe nicht mehr nur betretenes Wegsehen oder heimliche Schadenfreude. In den Kommunen gebe es inzwischen rund 150 Koordinatoren gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Zudem hätten sich lokale Initiativen gebildet.