An einer antifaschistischen Demonstration in Nauen beteiligten sich am Donnerstagabend bis zu 70 Personen. Der Aufzug richtete sich u.a. gegen eine jährlich stattfindende Mahnwache von Neonazis zum 20. April. Die neonazistische Versammlung zog wiederum ungefähr 20 Personen. Darüber hinaus veranstaltete die Nauener Zivilgesellschaft das ebenfalls jährlich stattfinde Toleranzfest. Diese Versammlung zählte, nach Angabe der Veranstaltenden, über den Tag verteilt mehrere hundert Teilnehmende. Ein deutliches Symbol gegen die neonazistischen Aktivitäten in der Stadt, doch für Nauen ausreichend?
Antifa-Demo gegen „Opferkult“ und „Naziterror“

Die antifaschistische Demonstration war von einer Einzelperson für das Bündnis „Nauen Nazifrei“ unter dem Motto: „Wo Turnhallen brennen, brennen am Ende auch Menschen – Gegen Opferkult und Naziterror“ angemeldet worden und führte zunächst von der ÖPNV-Haltestelle „Nauen, Bahnhof“ über die Dammstraße, die Oranienburger Straße, den Bredower Weg, die Karl-Thon-Straße bis in die Straße „Zu den Luchbergen“. Dort fand in Sichtweite einer von Neonazis im Jahr 2015 niedergebrannten, inzwischen aber wieder im Aufbau befindlichen Sportstätte eine Zwischenkundgebung statt. In einem Redebeitrag wurden dabei noch einmal an die Eskalation der rassistisch motivierten Aktivitäten im Jahr 2015, von der massiven Störung der Nauener Stadtverordnetensitzung, über die Aufmärsche im Stadtgebiet, den Gewaltaktionen gegen politische Gegner bis hin zum Brandanschlag auf die Turnhalle erinnert.
Die Sportstätte war vor dem Brandanschlag vom Landkreis Havelland nämlich als Notunterkunft für Geflüchtete vorgesehen, konnte aufgrund des verheerenden Feuers aber nie als solche genutzt werden. Durch die rassistisch motivierte Brandstiftung entstand jedoch ein Millionenschaden. Außerdem erzeugte die Tat ein bundesweites öffentliches Interesse und galt als schwerster extrem rechter Anschlag gegen eine Geflüchtetenunterkunft in den letzten Jahren. Die Tätergruppe, darunter ein NPD Stadtverordneter aus der havelländischen Kleinstadt, wurde inzwischen zum Teil zu hohen Haftstrafen verurteilt. Allerdings konnten den Beschuldigten nicht alle Straftaten, die zur Anklage gekommen waren, zweifelsfrei nachgewiesen werden. Nicht einmal der Anklagepunkt: „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ hatte vor Gericht bestand. Ein Makel dem im der antifaschistischen Demonstration am Donnerstagabend weitere Vorwürfe zum Gesamtkomplex Nauen folgten. Eine „echte“ Aufarbeitung der Geschehnisse aus dem Jahr 2015 sei demnach nämlich bisher in der Stadtgesellschaft ausgeblieben und überhaupt könnten „Nazis“ hier ungestört weiterleben.
Nach Beendigung der Zwischenkundgebung führe die Demonstrationsroute dann über die Berliner Straße, am Toleranzfest vorbei, bis in die Hamburger Straße, in Hör- und Sichtweite der dort vorgeblich zum Jahrestag der Bombardierung Nauens angemeldeten neonazistischen Mahnwache. Dort positionierten sich die Demonstrierenden noch einmal im Sinne ihres Mottos: „Gegen Opferkult und Naziterror“ gegen das jährliche neonazistische Gedenkritual.
Neonazistische Mahnwache zum 20. April

Die neonazistische Kundgebung fand, wie üblich, in Form einer Mahnwache an einem Weltkriegs-Denkmal in unmittelbarer Nähe zum städtischen Friedhof in der Hamburger Straße statt. Die Versammlung war zuvor im Internet von den „Freien Kräften Neuruppin-Osthavelland“ unter dem Motto: „Gedenken an die Bombenopfer“ beworben worden. Vordergründig wurde während der Mahnwache dementsprechend an die Bombardierung Nauens während des Zweiten Weltkrieges, genauer gesagt am 20. April 1945, erinnert. Ein niedergelegter Kranz mit der Aufschrift: „Wir gedenken der Nauener Bombenopfer“ deutete ebenfalls auf eine scheinbar ernsthafte Absicht des Gedenkens hin.
Doch der Veranstaltungstermin bietet jedoch Raum für Spekulationen hinsichtlich der Doppeldeutigkeit des Datums. Der 20. April ist nämlich auch der von Neonazis gerne zelebrierte Geburtstag Adolf Hitlers, im Szenejargon: „Führergeburtstag“. Offizielle Veranstaltungen zu diesem Anlass werden in der Regel allerdings durch die Versammlungsbehörden verboten oder durch die Polizei aufgelöst. Die Versammlung in Nauen war davon bisher jedoch noch nie betroffen, da dort eben offiziell an die Bombardierung der Stadt im Jahr 1945 gedacht wird.
Dass es sich bei den meisten Veranstaltungsbesuchenden aber um Neonazis handelt, dürfte jedoch unbestritten sein. Die Teilnehmenden Personen, die hauptsächlich aus dem Landkreis Havelland stammten, vereinzelt aber auch aus den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Oberhavel sowie aus der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel anreisten, gelten als Sympathisierende der neonazistischen „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ und des mit dieser vereinsähnlichen Struktur verwobenen NPD Stadtverbandes Nauen. Die Sympathie zu diesen Organisationen wurde durch entsprechend gezeigte Banner deutlich.
Die Mahnwache zum 20. April in Nauen ist im Verbreitungsgebiet der „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“, trotz weiterer historisch belegter Bombenangriffe an anderen Tagen und in anderen Orten der Region, auch das einzigeDatum, das die Neonazis kontinuierlich für ihr vorgebliches „Gedenken“ an die Opfer derBombardierungen des Zweiten Weltkrieges, nutzen.
Toleranzfest gegen Rassismus
In Nauen selber hat es, seit der ersten Mahnwache der „Freien Kräften Neuruppin – Osthavelland“ im Jahre 2010, auch seitens der Zivilgesellschaft Bestrebungen gegeben, die Rolle Nauens in der NS Zeit aufzuarbeiten. Dazu fanden in den vergangenen Jahren immer wieder historische Workshops und Diskussionsrunden mit Zeitzeugen statt, bei denen sowohl der Bombenangriff am 20. April 1945 als auch das frühe SA-Konzentrationslager im heutigen Nauener Ortsteil Börnicke ein Thema waren.
Darüber hinaus veranstaltet der „Humanistische Freidenkerbund“ in Zusammenarbeit mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen seit 2012 auch ein Toleranzfest „für ein friedliches und buntes Nauen“. Laut Aufruf für die Veranstaltung am 20. April 2017,die übrigens unter Schirmherrschaft des Nauenes Bürgermeisters stand, wollten sich die Organisierenden mit dem Fest insbesondere „gegen Gewalt, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“ positionieren und gleichzeitig ein Beispiel für „Lebensfreude und kulturelle Vielfalt“in der Stadt geben.
So wurde den Gästen des „Toleranzfestes“ nicht nur ein buntes Potpourri von Informationsständen, Imbissangeboten und musikalischer Begleitung geboten, sondern den „Freien Kräften Neuruppin- Osthavelland“ gleichzeitig auch der Veranstaltungsort für ihre Mahnwache genommen. Ursprünglich, das heißt in den Jahren 2010 und 2011, hatten die Neonazis nämlich die Gartenstraße, also genau die Straße in der seit 2012 das „Toleranzfest“ stattfindet, als Standort für ihre Versammlung genutzt.
Perspektive Nauen
Die Verdrängung der Neonazis an den städtischer Rand durch eine einmal im Jahr stattfindende Veranstaltung kann indes jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die rassistisch motivierten Aktionen des Jahres 2015, in denen die Anschläge der inzwischen verurteilten Neonazigruppe nur eine kleine Episode darstellten, durchaus auch ein tiefes Problem in der Nauener Gesellschaft aufgezeigt haben. Nämlich das es jenseits der Toleranzfeste eben auch nicht wenig Zuspruch für ausländerfeindliche Ressentiments gibt.
Bei den Versammlungen gegen die damals geplante und inzwischen in Betrieb befindliche Geflüchtetenunterkunft in Nauen positionierten sich beispielsweise eben nicht nur bekannte Neonazis aus NPD und „Freien Kräften“, sondern auch Menschen aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft.
Einen wachsenden Einfluss in der havelländischen Kleinstadt hat inzwischen auch die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ (AfD). Sie konnte hier in der jüngsten Vergangenheit breite Schichten Wählender akquirieren und bei den letzten Abstimmungen Ergebnisse im zweistelligen Bereich erzielen. Zuletzt überraschte die AfD in Nauen am 10. April 2016, als deren Kandidat für die erstmals direkt durchgeführte Wahl zum havelländischen Landrat mit 24,82 Prozent nicht nur ein beachtliches Resultat holte, sondern gleichzeitig auch den absoluten Spitzwert seiner Partei in einer Kommune im gesamten Landkreis Havelland erzielte. Mittlerweile rechnet sich die „Alternative für Deutschland“ auch gute Chancen bei der kommenden Bürgermeisterwahl in Nauen im September 2017 aus. Dass die blaue Partei vor Ort bereits im Jahr 2016 erste Akzente zu lokaler Präsenz und Einbindung in den überregionalen Parteiapparat setzte, offenbarten größeren Saalveranstaltungen, an der u.a. auch die momentane Bundesvorsitzende der AfD und ein EU-Parlamentarier der rechtspopulistischen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) teilnahmen.
Andere Experten, wie beispielsweise Dirk Wilking vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung – demos, der in Brandenburg Kommunen in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten berät, sehen das Hauptproblem in der Stadt allerdings eher woanders. „Das Problem in Nauen sind weniger die Nazis, sondern dass es lange keine Gegenkräfte gab“, so Wilking jedenfalls gegenüber der Zeitung „Die Welt“ im August 2016. Deutlich weniger Gegendemonstranten als bei rechten Kundgebungen in vergleichbaren, anderen Städten in Brandenburg habe er beobachtet. Zudem machte der Experte für Gemeinwesenberatung auch die „verkrustete“ Stadtpolitik und den noch amtierenden Bürgermeister für Fehler in der Vergangenheit verantwortlich. „Da wurden die Mittel für die Jugendarbeit halbiert und das Problem des Rechtsextremismus ausgeblendet“, so Wilking gegenüber der „Welt“ weiter.
Fotos: hier