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Nauen: Der 20. April und das Problem Rassismus

An ein­er antifaschis­tis­chen Demon­stra­tion in Nauen beteiligten sich am Don­ner­stagabend bis zu 70 Per­so­n­en. Der Aufzug richtete sich u.a. gegen eine jährlich stat­tfind­ende Mah­nwache von Neon­azis zum 20. April. Die neon­azis­tis­che Ver­samm­lung zog wiederum unge­fähr 20 Per­so­n­en. Darüber hin­aus ver­anstal­tete die Nauen­er Zivilge­sellschaft das eben­falls jährlich stat­tfinde Tol­er­anzfest. Diese Ver­samm­lung zählte, nach Angabe der Ver­anstal­tenden, über den Tag verteilt mehrere hun­dert Teil­nehmende. Ein deut­lich­es Sym­bol gegen die neon­azis­tis­chen Aktiv­itäten in der Stadt, doch für Nauen ausreichend?
Antifa-Demo gegen „Opfer­kult“ und „Naziter­ror“

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Antifa-Demo am 20. April 2017 in Nauen

Die antifaschis­tis­che Demon­stra­tion war von ein­er Einzelper­son für das Bünd­nis „Nauen Naz­ifrei“ unter dem Mot­to: „Wo Turn­hallen bren­nen, bren­nen am Ende auch Men­schen – Gegen Opfer­kult und Naziter­ror“ angemeldet wor­den und führte zunächst von der ÖPNV-Hal­testelle „Nauen, Bahn­hof“ über die Damm­straße, die Oranien­burg­er Straße, den Bre­dow­er Weg, die Karl-Thon-Straße bis in die Straße „Zu den Luchber­gen“. Dort fand in Sichtweite ein­er von Neon­azis im Jahr 2015 niederge­bran­nten, inzwis­chen aber wieder im Auf­bau befind­lichen Sport­stätte eine Zwis­chenkundge­bung statt. In einem Rede­beitrag wur­den dabei noch ein­mal an die Eskala­tion der ras­sis­tisch motivierten Aktiv­itäten im Jahr 2015, von der mas­siv­en Störung der Nauen­er Stadtverord­neten­sitzung, über die Aufmärsche im Stadt­ge­bi­et, den Gewal­tak­tio­nen gegen poli­tis­che Geg­n­er bis hin zum Bran­dan­schlag auf die Turn­halle erinnert.
Die Sport­stätte war vor dem Bran­dan­schlag vom Land­kreis Havel­land näm­lich als Notun­terkun­ft für Geflüchtete vorge­se­hen, kon­nte auf­grund des ver­heeren­den Feuers aber nie als solche genutzt wer­den. Durch die ras­sis­tisch motivierte Brand­s­tiftung ent­stand jedoch ein Mil­lio­nen­schaden. Außer­dem erzeugte die Tat ein bun­desweites öffentlich­es Inter­esse und galt als schw­er­ster extrem rechter Anschlag gegen eine Geflüchtete­nun­terkun­ft in den let­zten Jahren. Die Täter­gruppe, darunter ein NPD Stadtverord­neter aus der havel­ländis­chen Kle­in­stadt, wurde inzwis­chen zum Teil zu  hohen Haft­strafen verurteilt. Allerd­ings kon­nten den Beschuldigten nicht alle Straftat­en, die zur Anklage gekom­men waren, zweifels­frei nachgewiesen wer­den. Nicht ein­mal der Anklagepunkt: „Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung“ hat­te vor Gericht bestand. Ein Makel dem im der antifaschis­tis­chen Demon­stra­tion am Don­ner­stagabend weit­ere Vor­würfe zum Gesamtkom­plex Nauen fol­gten. Eine „echte“ Aufar­beitung der Geschehnisse aus dem Jahr 2015 sei dem­nach näm­lich bish­er in der Stadt­ge­sellschaft aus­ge­blieben und über­haupt kön­nten „Nazis“ hier ungestört weiterleben.
Nach Beendi­gung der Zwis­chenkundge­bung führe die Demon­stra­tionsroute dann über die Berlin­er Straße, am Tol­er­anzfest vor­bei, bis in die Ham­burg­er Straße, in Hör- und Sichtweite der dort vorge­blich zum Jahrestag der Bom­bardierung Nauens angemelde­ten neon­azis­tis­chen Mah­nwache. Dort posi­tion­ierten sich die Demon­stri­eren­den noch ein­mal im Sinne ihres Mot­tos: „Gegen Opfer­kult und Naziter­ror“ gegen das jährliche neon­azis­tis­che Gedenkritual.
Neon­azis­tis­che Mah­nwache zum 20. April
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Inszene­nierung oder ern­sthaftes Gedenken? Neon­azis­tis­che Mah­nwache an einem Tag mit dop­peldeutigem Datum

Die neon­azis­tis­che Kundge­bung fand, wie üblich, in Form ein­er Mah­nwache an einem Weltkriegs-Denkmal in unmit­tel­bar­er Nähe zum städtis­chen Fried­hof in der Ham­burg­er Straße statt. Die Ver­samm­lung war zuvor im Inter­net von den „Freien Kräften Neu­rup­pin-Osthavel­land“ unter dem Mot­to: „Gedenken an die Bombenopfer“ bewor­ben wor­den. Vorder­gründig wurde während der Mah­nwache dementsprechend an die Bom­bardierung Nauens während des Zweit­en Weltkrieges, genauer gesagt am 20. April 1945, erin­nert. Ein niedergelegter Kranz mit der Auf­schrift: „Wir gedenken der Nauen­er Bombenopfer“ deutete eben­falls auf eine schein­bar ern­sthafte Absicht des Gedenkens hin.
Doch der Ver­anstal­tung­ster­min bietet jedoch Raum für Speku­la­tio­nen hin­sichtlich der Dop­peldeutigkeit des Datums. Der 20. April ist näm­lich auch der von Neon­azis gerne zele­bri­erte Geburt­stag Adolf Hitlers, im Szene­jar­gon: „Führerge­burt­stag“. Offizielle Ver­anstal­tun­gen zu diesem Anlass wer­den in der Regel allerd­ings durch die Ver­samm­lungs­be­hör­den ver­boten oder durch die Polizei aufgelöst. Die Ver­samm­lung in Nauen war davon bish­er jedoch noch nie betrof­fen, da dort eben offiziell an die Bom­bardierung der Stadt im Jahr 1945 gedacht wird.
Dass es sich bei den meis­ten Ver­anstal­tungs­be­suchen­den aber um Neon­azis han­delt, dürfte jedoch unbe­strit­ten sein. Die Teil­nehmenden Per­so­n­en, die haupt­säch­lich aus dem Land­kreis Havel­land stammten, vere­inzelt aber auch aus den Land­kreisen Ost­prig­nitz-Rup­pin, Prig­nitz, Ober­hav­el sowie aus der kre­is­freien Stadt Bran­den­burg an der Hav­el anreis­ten, gel­ten als Sym­pa­thisierende der neon­azis­tis­chen „Freien Kräfte Neu­rup­pin – Osthavel­land“ und des mit dieser vere­in­sähn­lichen Struk­tur ver­wobe­nen NPD Stadtver­ban­des Nauen. Die Sym­pa­thie zu diesen Organ­i­sa­tio­nen wurde durch entsprechend gezeigte Ban­ner deutlich.
Die Mah­nwache zum 20. April in Nauen ist im Ver­bre­itungs­ge­bi­et der „Freien Kräfte Neu­rup­pin – Osthavel­land“, trotz weit­er­er his­torisch belegter Bombe­nan­griffe an anderen Tagen und in anderen Orten der Region, auch das einzige­Da­tum, das die Neon­azis kon­tinuier­lich für ihr vorge­blich­es „Gedenken“ an die Opfer der­Bom­bardierun­gen des Zweit­en Weltkrieges,  nutzen.
Tol­er­anzfest gegen Rassismus
In Nauen sel­ber hat es, seit der ersten Mah­nwache der „Freien Kräften Neu­rup­pin – Osthavel­land“ im Jahre 2010, auch seit­ens der Zivilge­sellschaft Bestre­bun­gen gegeben, die Rolle Nauens in der NS Zeit aufzuar­beit­en. Dazu fan­den in den ver­gan­genen Jahren immer wieder his­torische Work­shops und Diskus­sion­srun­den mit Zeitzeu­gen statt, bei denen sowohl der Bombe­nan­griff am 20. April 1945 als auch das frühe SA-Konzen­tra­tionslager im heuti­gen Nauen­er Ort­steil Bör­nicke ein The­ma waren.
Darüber hin­aus ver­anstal­tet der „Human­is­tis­che Frei­denker­bund“ in Zusam­me­nar­beit mit weit­eren zivilge­sellschaftlichen Organ­i­sa­tio­nen seit 2012 auch ein Tol­er­anzfest „für ein friedlich­es und buntes Nauen“. Laut Aufruf für die Ver­anstal­tung am 20. April 2017,die übri­gens unter Schirmherrschaft des Nauenes Bürg­er­meis­ters stand, woll­ten sich die Organ­isieren­den mit dem Fest ins­beson­dere „gegen Gewalt, Ras­sis­mus und Aus­län­der­feindlichkeit“ posi­tion­ieren und gle­ichzeit­ig ein Beispiel für „Lebens­freude und kul­turelle Vielfalt“in der Stadt geben.
So wurde den Gästen des „Tol­er­anzfestes“ nicht nur ein buntes Pot­pour­ri von Infor­ma­tion­sstän­den, Imbis­sange­boten und musikalis­ch­er Begleitung geboten, son­dern den „Freien Kräften Neu­rup­pin- Osthavel­land“ gle­ichzeit­ig auch der Ver­anstal­tung­sort für ihre Mah­nwache genom­men. Ursprünglich, das heißt in den Jahren 2010 und 2011, hat­ten die Neon­azis näm­lich die Garten­straße, also genau die Straße in der seit 2012 das „Tol­er­anzfest“ stat­tfind­et, als Stan­dort für ihre Ver­samm­lung genutzt.
Per­spek­tive Nauen
Die Ver­drän­gung der Neon­azis an den städtis­ch­er Rand durch eine ein­mal im Jahr stat­tfind­ende Ver­anstal­tung kann indes jedoch nicht darüber hin­wegtäuschen, dass die ras­sis­tisch motivierten Aktio­nen des Jahres 2015, in denen die Anschläge der inzwis­chen verurteil­ten Neon­azi­gruppe nur eine kleine Episode darstell­ten, dur­chaus auch ein tiefes Prob­lem in der Nauen­er Gesellschaft aufgezeigt haben. Näm­lich das es jen­seits der Tol­er­anzfeste eben auch nicht wenig Zus­pruch für aus­län­der­feindliche Ressen­ti­ments gibt.
Bei den Ver­samm­lun­gen gegen die damals geplante und inzwis­chen in Betrieb befind­liche Geflüchtete­nun­terkun­ft in Nauen posi­tion­ierten sich beispiel­sweise eben nicht nur bekan­nte Neon­azis aus NPD und „Freien Kräften“, son­dern auch Men­schen aus der ver­meintlichen Mitte der Gesellschaft.
Einen wach­senden Ein­fluss in der havel­ländis­chen Kle­in­stadt hat inzwis­chen auch die recht­spop­ulis­tis­che „Alter­na­tive für Deutsch­land“ (AfD). Sie kon­nte hier in der jüng­sten Ver­gan­gen­heit bre­ite Schicht­en Wäh­len­der akquiri­eren und bei den let­zten Abstim­mungen Ergeb­nisse im zweis­tel­li­gen Bere­ich erzie­len. Zulet­zt über­raschte die AfD in Nauen am 10. April 2016, als deren Kan­di­dat für die erst­mals direkt durchge­führte Wahl zum havel­ländis­chen Lan­drat mit 24,82 Prozent nicht nur ein beachtlich­es Resul­tat holte, son­dern gle­ichzeit­ig auch den absoluten Spitzw­ert sein­er Partei in ein­er Kom­mune im gesamten Land­kreis Havel­land erzielte. Mit­tler­weile rech­net sich die „Alter­na­tive für Deutsch­land“ auch gute Chan­cen bei der kom­menden Bürg­er­meis­ter­wahl in Nauen im Sep­tem­ber 2017 aus. Dass die blaue Partei vor Ort bere­its im Jahr 2016 erste Akzente zu lokaler Präsenz und Ein­bindung in den über­re­gionalen Parteiap­pa­rat set­zte, offen­barten größeren Saalver­anstal­tun­gen, an der u.a. auch die momen­tane Bun­desvor­sitzende der AfD und ein EU-Par­la­men­tari­er der recht­spop­ulis­tis­chen „Frei­heitlichen Partei Öster­re­ichs“ (FPÖ) teilnahmen.
Andere Experten, wie beispiel­sweise Dirk Wilk­ing vom Bran­den­bur­gis­chen Insti­tut für Gemein­we­sen­ber­atung – demos, der in Bran­den­burg Kom­munen in der Auseinan­der­set­zung mit der extremen Recht­en berät, sehen das Haupt­prob­lem in der Stadt allerd­ings eher woan­ders. „Das Prob­lem in Nauen sind weniger die Nazis, son­dern dass es lange keine Gegenkräfte gab“, so Wilk­ing jeden­falls gegenüber der Zeitung „Die Welt“ im August 2016. Deut­lich weniger Gegen­demon­stran­ten als bei recht­en Kundge­bun­gen in ver­gle­ich­baren, anderen Städten in Bran­den­burg habe er beobachtet. Zudem machte der Experte für Gemein­we­sen­ber­atung auch die „verkrustete“ Stadt­poli­tik und den noch amtieren­den Bürg­er­meis­ter für Fehler in der Ver­gan­gen­heit ver­ant­wortlich. „Da wur­den die Mit­tel für die Jugen­dar­beit hal­biert und das Prob­lem des Recht­sex­trem­is­mus aus­ge­blendet“, so Wilk­ing gegenüber der „Welt“ weiter.
Fotos: hier

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