In den beiden havelländischen Städten Rathenow und Nauen haben (Neo)nazis aus NPD und „Freien Kräften“ gestern und am Montag Veranstaltungen anlässlich der Jahrestage der Bombardierungen beider Orte während des Zweiten Weltkrieges durchgeführt.
Dabei versuchten sie sich als moralisches Gewissen der „deutschen Zivilbevölkerung“ zu präsentieren und durch die Polarisierung angeblich „völkerrechtswidrige® Verbrechen“ an ihr, die Verbrechen der Nazis aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen.
Bereits am Montag, dem 18. April 2011, veranstaltete diesbezüglich der NPD Kreisverband Havel-Nuthe um 11.00 Uhr eine Kranzniederlegung an einem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges auf dem evangelischen Friedhof im westhavelländischen Rathenow. Die sechsköpfige Parteidelegation, angeführt vom Kreisverbandsvorsitzenden Michel Müller und dem Kreistagsabgeordneten Dieter Brose, wurde dabei von mehreren Polizeibeamt_innen begleitet. Unterbunden wurde die Veranstaltung jedoch nicht.
In einer Pressemitteilung verurteilte der Verband die Bombardierung Rathenows am 18. April 1944 als „Terrorangriff“, der sich angeblich „gegen Alte und Kranke, gegen Frauen und Kinder“ richtete.
Zwar war die Havelstadt an diesem Tag nicht eigentliches Ziel alliierter Luftkriegsoperationen, getroffen werden sollte aber dennoch die westhavelländische Rüstungsindustrie, die bereits am Anfang des Krieges aufgeklärt worden war. Schwerpunkt des Ersatzangriffs waren somit nicht Wohngebiete, sondern vor allem die ARADO-Flugzeugwerke in Rathenow-Heidefeld.
Die eigentliche Zerstörung Rathenows erfolgte hingegen erst im Mai 1945, nach dem die Stadt von der NS Militärführung zur „Festung“ erklärt wurde, um den nationalsozialistischen Armeeeinheiten die Flucht über die Elbe und damit eine bequemere Kriegsgefangenschaft zu ermöglichen.
Im osthavelländischen Nauen versammelten sich gestern ungefähr 25 Mitglieder und Sympathisant_innen der so genannten „Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland“ um mittels einer „Mahnwache“ unter dem Motto: „Es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen!” vorgeblich den Todesopfern des alliierten Luftangriffs vom 20. April 1945 zu gedenken.
Ziel der damaligen Operation der Alliierten war, ebenso wie in Rathenow, auch hier nicht die Zivilbevölkerung, sondern der Nauener Hauptbahnhof. Dieser hatte in den letzten Kriegstagen noch eine strategische Funktion, da er an der letzten noch intakten Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg und dem bereits umkämpften Berlin lag. Mögliche Truppenbewegungen des NS Regimes sollten durch den Bombenangriff verhindert werden.
Die „Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland“ versuchen jedoch, ähnlich wie die NPD bzw. ihre regionalen Verbände, die Bombenangriffe aus dem Kriegsgeschehen herauszulösen und die historischen Ereignisse ihren aktuellen politischen Bestrebungen, deren Hintergrund völkisch, rassistisch und antisemitisch ist, dienlich zu machen.
Dabei wurde vor allem die regional sehr enge Verbindung zwischen parteigebundenen und „parteifernen“ (Neo)nazis einmal mehr offensichtlich. Mehrere NPD Funktionäre, wie der havelländische Kreistagstagsabgeordnete und Nauener Stadtverordnete Maik Schneider sowie die bereits am 18. April in Rathenow aktiven Michel Müller und Dieter Brose, nahmen so an der Veranstaltung in der Berliner Straße in Nauen teil.
Von den „freien“ Kräften ist im Gegenzug insbesondere Beatrice Koch von den „Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland“ erwähnenswert. Sie war sowohl in Rathenow am 18. April als auch in Nauen am 20. April präsent.
Weiterhin war auch, insbesondere bei der gestrigen Veranstaltung, eine tiefe Verbundenheit aus den gemeinsamen Bannern von NPD und „Freien Kräften“ ablesbar.
Gegen die (neo)nazistischen Veranstaltungen protestierten vor allem am 20. April in Nauen mehr als 50 Menschen. Ihnen ist der Naziterror sehr wohl aus der historischen Erinnerung bewusst.
Ermächtigungsgesetz, Rassengesetze, Novemberpogrom, Herbeiführung eines Angriffskrieges und schließlich die Shoa sind dabei nur einige Beispiele für das verbrecherische Wirken der Nazis, welches (Neo)nazis hingegen heute aus ihrem Geschichtsbewusstsein ausklammern.
Zum Teil recht lautstark wurden die angetretenen (neo)nazistischen Versammlungsteilnehmer_innen deshalb von den erbosten Gegendemonstrant_innen in hör- und sichtweite ausgepfiffen.
Für zusätzlichen Zorn sorgte zu dem, dass die (neo)nazistische Veranstaltung an Adolf Hitlers Geburtstag stattfinden durfte.
Die (Neo)nazis hielten sich hingegen mit akustischen Äußerungen zurück, nur Mozarts „Requiem“ wurde aus einem improvisierten Lautsprecherwagen abgespielt. Sollte mit diesem, sich an die heilige Messe für Verstorbene orientierenden Werk des österreicherischen Komponisten insgeheim etwa an den anderen toten Österreicher gedacht werden, der am 20. April Geburtstag hatte?