In Berlin als Antifaschist_in aktiv zu sein, ist in den meisten Fällen nicht besonders problematisch. Selbst in den Außenbezirken ist es halbwegs einfach, mit ein paar Vorsichtsmaßnahmen lokal politisch aktiv zu sein und trotzdem anonym und frei von Nazistress zu leben. Zudem ist es möglich, innerhalb kurzer Zeit Kontakt mit Antifaschist_innen aus anderen Bezirken aufzunehmen und diese für Aktionen zu mobilisieren.
In den Kleinstädten rund um Berlin ist das schon ein wenig anders. Zwar ist auch hier meist ein Anschluss an die Berliner Szene vorhanden, doch es ist unendlich schwerer, die eigene Anonymität zu wahren und sich als bekannte_r Antifaschist_in sicher zu bewegen. Der Nachhauseweg vom einzigen Bahnhof ist nicht beliebig variierbar, mensch läuft sich in der Schule, in der Kaufhalle oder im Amt über den Weg. Es gibt immer drei Ecken, die dazu führen, dass der Nazi, der sich gerade als Anti-Antifa versucht, unter Umständen deinen Namen herausfindet.
Königs Wusterhausen
Das gilt auch und gerade für die Stadt Königs Wusterhausen am südöstlichen Rand Berlins. Seit Beginn der 1990er Jahre hat die Stadt den Ruf, eine Nazi-Hochburg zu sein. Nicht nur, dass in den ersten zehn Nachwendejahren in König Wusterhausen und Umgebung fünf Menschen von Neonazis ermordet wurden. Der Organisierungsgrad der lokalen Neonazis war seit jeher ein vergleichsweise hoher. Präsent waren Stützpunkte der Neonazi-Parteien „Freiheitliche Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP, 1995 verboten), von Michael Kühnens „Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationaler Aktivisten“ (ANS/NA), hier gab es rechtsterroristische Ansätze und schon 1997 wurde ein aktionsfähiger NPD-Verband aufgebaut. Einen bemerkbaren Rückgang von Aktivitäten gab es Ende des Jahres 2000, als der Multifunktionär Carsten Szczepanski als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes enttarnt wurde.
Gegenaktivitäten
Ende der neunziger Jahre waren erste Ansätze von aktiver Gegenwehr in der Stadt zu vernehmen. Diese drückte sich nicht nur in regelmäßigen konfrontativen Auseinandersetzungen mit Neonazis aus, sondern auch in dem Versuch, eine antifaschistische Kultur zu etablieren. Aus diesem Grund fand in den folgenden Jahren das Festival „Le Monde est a nous“ statt. Vor mehreren hundert Jugendlichen aus Königs Wusterhausen und der umliegenden Region spielten Punk‑, Ska- und Rockbands, wurden Redebeiträge verlesen und so ein temporärer Freiraum geschaffen. Das Festival wurde umgehend Zielscheibe der örtlichen Neonazis. Den Höhepunkt erreichten die Aktionen gegen das „Le Monde“ im Jahr 2001, als Neonazis in der Nacht vor dem Festival die Bühne mit Brandsätzen bewarfen auf der mehrere Antifaschist_innen schliefen. Verletzt wurde niemand, doch die daraufhin einsetzende Repressionswelle sorgte für eine zeitweise Ruhe in der Stadt, die erst 2004/2005 durch jüngere Neonazis gebrochen wurde.
Neue Organisierung
Bei den jugendlichen Nachrückern werden zwei Optionen deutlich, die bundesweit bei organisierten Neonazis bedeutend sind. Zum einen nutzen die aktionsorientierten Neonazis „autonome“ Strukturen.
Diese garantieren ein Mindestmaß an Organisiertheit, lassen den Aktivisten gleichzeitig einen großen Freiraum in der Wahl der eigenen Aktionen. Gerade für Aktionen, wie Gewalt gegen politische Gegner_innen, Sachbeschädigung und Sprühereien ist diese Art der Organisierung ideal, weil sie nicht so repressionsanfällig ist. Jene Aktivisten, die sich gerade unter dem Namen „Freie Kräfte Königs Wusterhausen“ organisieren, haben enge Kontakte in die Berliner Neonaziszene. Diese drückt sich unter anderem in gemeinsamen Kampagnen, wie der für die Schaffung eines „Nationalen Jugendzentrums“ aus. Zu diesem Anlass werden Ende diesen Jahres sowohl in Königs Wusterhausen, als auch in Berlin Aufmärsche stattfinden.
Die zweite Möglichkeit bietet der Aufbau eines NPD-Verbands. Seit April 2008 existiert ein solcher in KW wieder. Vorsitzender ist der Neonazi Michael Thalheim. Thalheim ist kein Unbekannter in der Stadt. Er ist seit Jahren aktiv und in der Vergangenheit mehrfach gewalttätig in Erscheinung getreten. So griff er am 11. März 2006 auf dem Weg zu einem Aufmarsch in Halbe eine Frau an, und verletzte sie mit einem Tritt. Die Aktivität Thalheims und seiner Kameraden waren in letzter Zeit auf den Brandenburg-Wahlkampf ausgerichtet. Die NPD versuchte, mehrere Sitze im Stadtrat zu erlangen. Zu einem reichte es schließlich, der NPD gaben 4,4 Prozent der Wähler_innen in KW ihre Stimme. Im gesamten Land verdoppelten NPD und DVU verglichen mit 2003 ihre Mandatszahl.
Antifaschistische Strukturen aus Königs Wusterhausen und Berlin haben aus diesem Grund mit der Kampagne „Keine schweigenden Provinzen“ auf die Situation aufmerksam gemacht und versucht, die Bewohner_innen der Stadt für das Naziproblem zu sensibilisieren. Im Rahmen der brandenburgweiten Kampagne „Keine Stimme den Nazis“ ist das erklärte Ziel, die Neonazis aus der Öffentlichkeit, aus Vereinen, von der Straße zurückzudrängen und auch Erfolge bei Wahlen zu verhindern.
Weitere Infos:
www.jab.antifa.de/kw
www.aakw.blogsport.de
Fight Back 2006 (als Download auf
www.pankow.antifa.net)
www.rosen-web.de.vu