BASDORF — Die Rollläden ihres Reihenhauses zieht die Familie Canaydin nicht mehr hoch. Spielen vor der Haustür ist für die Kinder tabu. Und die Mutter wagt sich nur noch zum Einkaufen hinaus. Die deutsch-türkische Familie lebt mitten in Deutschland im Ausnahmezustand. Seit sie vor neun Monaten von Berlin nach Basdorf (Landkreis Barnim) zog, wurde sie immer wieder Ziel ausländerfeindlicher Attacken.
Zuletzt seien binnen 30 Minuten zuerst ein Auto- und dann ein Motorradfahrer mitten auf dem Marktplatz auf sie zu gefahren, berichtet die 39-jährige Martina Canaydin. Mit einem Sprung zur Seite konnte sie sich retten. Die Fahrer wurden ermittelt. Die Polizei hat die Familie nun unter Schutz gestellt und eine Ermittlungsgruppe gegründet.
In Berlin habe sie sich wie im Ghetto gefühlt, berichtet die Hausfrau, die in ihrem auch tagsüber dunklen Wohnzimmer auf der Couch sitzt. Die Canaydins wohnen jetzt in einem Reihenhaus am Waldrand. Auf den ersten Blick ein idyllischer Ort. “Aber es war nur in den ersten sechs Wochen gemütlich”, berichtet die Frau. Dann hätten mehrere Jugendliche gebrüllt, sie würden das Haus anzünden. Wenige Tage später war das Auto eines Freundes der Familie mit Hakenkreuzen beschmiert.
Binnen fünf Wochen erstattete die Familie im Herbst vergangenen Jahres fünf Anzeigen wegen Bedrohung, Beleidigung, Sachbeschädigung. “Haut ab, ihr habt in Basdorf nichts zu suchen, Muftifamilie”, hieß es in einem Drohbrief. Eine Einwohnerversammlung wurde einberufen. Es kamen die Direktorinnen der beiden Schulen, die Bürgermeisterin der 4000-Einwohner-Gemeinde, Vertreter der Polizei, Schüler, Lehrer, Eltern — und die Betroffenen. Doch wenig später folgten weitere Attacken.
“Es gibt hier keine Ausländerfeindlichkeit”, ist sich dagegen ein 62-jähriger Basdorfer sicher, der im Döner-Imbiss ein Bier trinkt. In seiner Straße wohne auch eine deutsch-türkische Familie. “Sie ist hilfsbereit und fleißig und sehr glücklich hier”, meint er. “Ich hab hier keine Probleme”, sagt auch der türkische Chef des Ladens. Allerdings arbeite er erst seit vier Monaten in der beschaulichen Gemeinde, die bis vor kurzem Hochburg der Polizei war. Landeskriminalamt und Polizei-Fachhochschule hatten hier ihren Sitz. “Uns wurde gesagt, wir sollen dafür büßen, dass die Polizeischule in ein Asylantenheim umgebaut wird”, berichtet Martina Canaydin. Sie, ihr 43 Jahre alter Mann und die 10 bis 18 Jahre alten Kinder wollen sich nicht vertreiben lassen. Stündlich kommt eine Polizeistreife an ihrem Haus vorbei. “Die Polizei sehe ich als absolute Hilfe an, die stehen 100-prozentig hinter uns”, sagt die Hausfrau.
“Die Streife kann keine Lösung sein”, meint dagegen der Sprecher des Polizeipräsidiums Eberswalde, Toralf Reinhardt. “Es kann nicht sein, dass die Polizei die Familie schützen muss, nur weil die Bevölkerung nicht mit ihr leben kann.” Zudem ist die Strafverfolgung problematisch. Manche der meist jungen Täter sind noch strafunmündig, anderen kann nichts nachgewiesen werden. Kaum einer hat eine lange kriminelle Karriere hinter sich.
Im Fall der beiden Attacken auf dem Marktplatz will die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) allerdings hart durchgreifen. Sie plant schnelle Prozesse gegen den 22-jährigen Autofahrer und den 17- jährigen Motorradfahrer. “Es gibt nichts Wirksameres als eine Strafe, die der Tat auf den Fuß folgt”, sagt Staatsanwalt Michael Neff. Und in Basdorf ist wieder eine Einwohnerversammlung geplant.