(TAZ) Zwei junge Rechtsextremisten werden wegen versuchten Mordes zu langjähriger
Haft verurteilt. Sie hatten im Sommer 2001 ein antirassistisches
Jugendfestival mit Brandsätzen angegriffen
Zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren Haft u. a. wegen versuchten
gemeinschaftlichen Mordes hat das Landgericht Potsdam den Berliner
Neonaziaktivisten Sebastian D. verurteilt. Seine 22-jährige Mittäterin
Jeannine P. aus Königs Wusterhausen bekam wegen versuchten
gemeinschaftlichen Mordes in zwei Fällen einer Jugendhaftstrafe von vier
Jahren.
Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass Sebastian D. und seine
gleichaltrige Mittäterin an einem Brandanschlag auf die Bühne des
antirassistischen Jugendfestivals “Le monde est à nous” im Juli 2001
beteiligt gewesen waren. Mehrere junge Linke, die die als Schutz vor
Angriffen auf der Bühne geschlafen hatten, blieben nur durch Zufall
unverletzt. Das Gericht ging davon aus, dass Sebastian D. als einer von drei
Tätern Brandflaschen auf die Bühne geworfen hatte. Jeannine P. hatte im
Fluchtfahrzeug gewartet. Bei ihr ging das Gericht auch davon aus, dass sie
auch das Fluchtfahrzeug bei einem weiteren Brandanschlag auf ein
Wohnwagen-Lager von Roma und Sinti bei Königs Wusterhausen gefahren hatte.
Dabei verfehlten die Brandsätze nur knapp den Wohnwagen einer schlafenden
fünfköpfigen Familie. Die Staatsanwaltschaft hatte für Jeannine P. lediglich
zweieinhalb Jahre Haft, für Sebastian D. sechs Jahre beantragt.
Das Vorgehen der beiden Angeklagten bewertete das Gericht als “Gewalt gegen
politisch Andersdenkende und rassistisch motivierte Gewalt”. Bei ihren
polizeilichen Vernehmungen hatten beide als Motivation angeben, sie wollten
“Linke vertreiben” und “Zigeunern zeigen, dass sie nicht erwünscht sind”.
Zwei Anwälte der Nebenklage warfen Staatsanwaltschaft und dem Gericht
mangelnden Willen zur Aufklärung vor. Sie kritisierten u. a., dass das
Gericht nicht versucht hatte, Polizeibeamte des Berliner Landeskriminalamtes
eingehender zur Rolle von zwei V‑Männern bei der Gruppe von militanten
Berliner und Brandenburger Neonazis zu befragen, zu der auch Sebastian D. im
Tatzeitraum gehörte. Die Beamten hatten als Zeugen erklärt, sie könnten und
wollten sich nicht mehr an die Ergebnisse eines umfassenden großen
Lauschangriffs auf D. erinnern.
“Die Anschläge konnten unter den Augen der Polizei verübt werden”,
kritisierte Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann. Unverständlich sei auch
der lange Zeitraum von zwei Jahren, der zwischen den Geständnissen der
Angeklagten und der Anklageerhebung lag. Ebenso sei versäumt worden,
mutmaßliche Mittäter zu laden.
Weder Sebastian D. noch Jeannine P. hatten vor Gericht Reue gezeigt. Nachdem
er zuvor zugegeben hatte, dass er Mitglied der neonazistischen
Gefangenenhilfsorganisation HNG ist und auch schon mal Mitglied der NPD war,
scheiterte Sebastian D. am letzten Verhandlungstag mit dem Versuch, sich
plötzlich als “nicht mehr aktiv in der Szene” darzustellen. Ein Foto, das D.
beim Neonaziaufmarsch am 8. Mai am Alexanderplatz zeigte und von der
Nebenklage vorgelegt wurde, überzeugte das Gericht, dass D. auch weiterhin
aktiver Neonazi ist. Der 22-Jährige, der im Nacken die Zahl “18” — ein
Neonazicode für “Adolf Hitler” — eintätowiert hat, wurde nicht mehr aus der
Haft entlassen. Jeannine P., die inzwischen Architektur studiert und Mutter
eines Kleinkindes ist, wurde zunächst von der Haft verschont. Die
Verteidiger der Angeklagten kündigten Rechtsmittel an.
Rund drei Dutzend Berliner und Brandenburger Neonazis, darunter Aktivisten
des Märkischen Heimatschutzes und der verbotenen Kameradschaft Thor, hatten
die Urteilsverkündung verfolgt. Ein massives Polizeiaufgebot verhinderte
Übergriffe.
Neonazis verurteilt
Mehrjährige Jugendstrafen wegen Brandanschlags und versuchten Mordes
(Junge Welt) Wegen versuchten Mordes, Verstoß gegen das Waffengesetz und versuchter
Sachbeschädigung verurteilte das Potsdamer Landgericht am Mittwoch abend
zwei junge Neonazis. Nach vier Verhandlungstagen verhängte die Zweite
Strafkammer fünf Jahre Jugendstrafe gegen Sebastian D., die
Mitangeklagte Jeannine P. bekam vier Jahre. Die Staatsanwaltschaft hatte
sechs Jahre Haft für D. und dreieinhalb Jahre für P. gefordert. Beide
standen wegen eines Brandanschlags auf die Bühne eines antirassistischen
Festivals im märkischen Königs Wusterhausen vor Gericht.
Gemeinsam mit zwei weiteren Neonazis soll der Berliner D. in der Nacht
zum 14. Juli 2001 bis zu fünf Molotowcocktails auf die Bühne des Festes
“Le monde est à nous” (“Die Welt gehört uns”) geworfen haben. Dort
schliefen mehrere Jugendliche, um die Bühne zu bewachen. Jeannine P.
fuhr den Fluchtwagen. Die Staatsanwaltschaft warf den beiden heute
22jährigen Rechtsextremisten vor, den Tod des Bühnenschutzes billigend
in Kauf genommen zu haben. Fünf der geschädigten Antifaschisten traten
als Nebenkläger auf. Deren Rechtsanwälte forderten unterschiedlich hohe
Strafen.
Jeannine P. wurde außerdem wegen Beteiligung an einem Brandanschlag auf
einen Wohnwagen einer Roma-Familie im nahen Wildau am 30. Juli 2001
belangt. Eine Tatbeteiligung stritt sie unglaubwürdig ab. Wegen des
Angriffs auf den bewohnten Wohnwagen hatte der Staatsanwalt nur auf
versuchte Sachbeschädigung plädiert. Der Berliner Rechtsanwalt Daniel
Wölky, der einen der Nebenkläger vertritt, sagte nach dem Urteil
gegenüber jW: “Daß auch sie wegen Mordversuchs verurteilt worden ist,
ist vor allem der Hartnäckigkeit der Nebenkläger zu verdanken.”
Auch am letzten Verhandlungstag säumten zahlreiche Rechtsextremisten und
ein starkes Polizeiaufgebot den Gerichtssaal, der wegen des großen
öffentlichen Interesses überfüllt war. Prozeßbeobachter rechneten die
anwesenden Neonazis den verbotenen Kameradschaften “Berliner Alternative
Südost” (BASO) und “Thor” zu. Daß Sebastian D. noch in rechten Kreisen
aktiv ist, beweisen Fotos, die ihn auf der NPD-Kundgebung am 8. Mai
dieses Jahres in Berlin zeigen.
Unklar blieb bis zuletzt, warum die zwei Mittäter nicht auf der
Anklagebank saßen. Die von Jeannine P. als Komplizen angegeben
Verdächtigen sind in der rechten Szene keine Unbekannten. Rechtsanwalt
Wölky hatte zuvor Vorwürfe gegen Polizei und Justiz erhoben. “Es wurde
verzögert und heruntergespielt”, sagte der Nebenklagevertreter. Nach den
Teilgeständnissen der Angeklagten 2002 bis zur Hauptverhandlung
vergingen über zwei Jahre. Prozeßbeobachter warfen den Behörden außerdem
vor, der Brandanschlag sei unter den Augen der Polizei verübt worden, da
Sebastian D. zusammen mit weiteren Neonazis aus dem Umfeld der “United
Skins Königs Wusterhausen” wegen anderer Anschläge überwacht wurde.