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Neonazi-Kultstätte, wider Willen

Halbe — Recht­sex­trem­is­ten mögen strik­te Regeln: Wer zum „Heldenge­denken“ am 12. Novem­ber in Halbe zum dor­ti­gen Wald­fried­hof mit marschieren will, muss viele Aufla­gen beacht­en. Sie ste­hen auf der für den Marsch in Halbe ein­gerichteten Inter­net­seite des „Fre­un­deskreis Halbe“. Danach ist Alko­hol ver­boten. Mobil­tele­fone müssen aus­geschal­tet sein. Vertretern der „Sys­temme­di­en“ dür­fen keine Inter­views gegeben wer­den. Die Teil­nehmer sollen möglichst neu­trale Klei­dung tra­gen, Springer­stiefel gle­ich zu Hause lassen. „Wir wollen nicht, dass zu einem Heldenge­denken unsere Kam­er­aden ausse­hen wie die Leute von der Mül­lab­fuhr!“, heißt es. Dazu sollen die Teil­nehmer das Deutsch­land-Lied von Hein­rich Hoff­mann von Fall­er­sleben in allen drei Stro­phen beherrschen – samt den Zeilen „Deutsch­land, Deutsch­land über alles, über alles in der Welt…“ 

Rund einen Monat vor dem 12. Novem­ber bere­it­et sich die Neon­azi-Szene auf Halbe vor. Anmelder für den Marsch ist der Ham­burg­er Lars Jacob. Er gilt als rechte Hand des bun­desweit bekan­nten Neon­azis Chris­t­ian Worch. „Seit 2000 bemüht sich Worch ver­stärkt, sym­bol­trächtige Orte und Gedenk­tage für die neon­azis­tis­che Szene zurück­zuer­obern“, sagt Wolf­gang Brandt, Sprech­er des bran­den­bur­gis­chen Innen­min­is­teri­ums. Auch in diesem Jahr dürfte der Marsch im Vor­feld kaum zu ver­hin­dern sein: Laut der Polizei in Frankfurt/Oder ist „nicht beab­sichtigt“, die Ver­samm­lung zu ver­bi­eten. Jacob hat das „Gedenken“ für 500 bis 1000 Teil­nehmer angemeldet. Damit gehört die Demon­stra­tion am Vortag des Volk­strauertages laut dem Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutzbericht 2004 zu den bun­desweit „vier wichtig­sten Ter­mi­nen im Demon­stra­tionskalen­der der Neonazis“. 

Der „unge­wollte Kult­sta­tus“ des Wald­fried­hofs, der als größter Sol­daten­fried­hof Europas gilt, erk­lärt sich auch mit der Geschichte von Halbe. Dort fand eine der let­zten sinnlosen Kesselschlacht­en des Zweit­en Weltkrieges statt. Den dama­li­gen Opfern wollen die Neon­azis seit 1990 jedes Jahr gedenken – doch zwis­chen 1992 und 2002 wur­den die geplanten Aufmärsche ver­boten. „Die Begrün­dung war der geset­zlichen Schutz des Feiertages, doch den umge­hen die Organ­isatoren nun, in dem sie die Ver­anstal­tung einen Tag vor dem Volk­strauertag anmelden“, erk­lärt Maren Cordts, Sprecherin des zuständi­gen Polizeiprä­sid­i­ums Frankfurt/Oder. Seit 2003 hat diese neue Tak­tik Erfolg. Chris­t­ian Worch ließ dazu tri­um­phierend im Inter­net ver­bre­it­en, „ein Zeichen gegen die Gle­ichgültigkeit und die Unter­drück­ung durch die heuti­gen Machthaber“ geset­zt zu haben. Beson­ders das Tre­f­fen im ver­gan­genen Novem­ber wurde in der Szene als Erfolg gew­ertet, so Wolf­gang Brandt. 

Was die Marschier­er beim „Heldenge­denken“ bewegt, schreiben sie auf ihrer Home­page: „Halbe ist uns Sym­bol für die Tapfer­keit des deutschen Frontsol­dat­en, der auch in auswe­glos­er Lage gegen eine erdrück­ende Über­ma­cht, die Waf­fen nicht streck­te.“ Der Ver­fas­sungss­chutzbericht zitiert gegen dieses hero­is­che Bild des deutschen Sol­dat­en die eigentliche Geschichte um den Wahnsinn der let­zten Tage des Zweit­en Weltkriegs: „Am 28. und 29. April 1945 schlossen Panz­ere­in­heit­en der Roten Armee die Reste der geschla­ge­nen 9. Armee ein. Deren Führung lehnte das Kapit­u­la­tion­sange­bot ab und ver­suchte mit ver­sprengten Ein­heit­en aus Wehrma­cht, SS, Volkssturm und Hitler­ju­gend aus dem Kessel auszubrechen. Dieser Fehlentschei­dung fie­len rund 60 000 Men­schen zum Opfer“. 

Die Moti­va­tion der Neon­azis, mit einem Auf­marsch wie in Halbe dem offiziellen Geschichts­bild ihre Ide­olo­gie ent­ge­gen zu set­zen, ist für Szene-Experten ein­fach zu erk­lären: Die Insze­nierung eines Totenkults um die Gefal­l­enen soll dazu dienen, den Kampf der 1945 noch verbliebe­nen Ver­bände zu verk­lären. Schon die Nation­al­sozial­is­ten hat­ten die Ago­nie des Unter­gangs hero­isiert und ins Mythis­che über­höht. Dazu hat der diesjährige Auf­marsch eine beson­dere Bedeu­tung: Nach­dem der im August geplante Gedenkmarsch zum Rudolf ‑Heß-Grab in Wun­siedel ver­boten wurde, dürfte die Anziehungskraft von Halbe noch gestiegen sein. Diese Sorge teilen antifaschis­tis­che Grup­pen, wie die Linkspartei.PDS-Landtagsabgeordnete Karin Weber bestätigt. Sie ist eine der vier Sprech­er des Aktions­bünd­niss­es gegen Heldenge­denken und Nazi­aufmärsche in Halbe. Die Ini­tia­tive hat bere­its im März eine Gegen­demon­stra­tion angemeldet. Zur Zeit wer­den dafür die Vor­bere­itun­gen getrof­fen, in den näch­sten bei­den Wochen soll ein genaues Konzept vor­bere­it­et werden. 

Ein wichtiges Gespräch find­et dazu heute bei einem Tre­f­fen von Karin Weber und ihrer Aktions­bünd­nis-Kol­le­gin, der SPD-Land­tagsab­ge­ord­neten Sylvia Lehmann sowie mit Par­la­mentspräsi­den­ten Gunter Fritsch (SPD) statt. „Wir wer­den uns zu Inhal­ten und For­men der Gege­nak­tion abstim­men.“ Seit dem Juni dieses Jahres – als sich die Lan­des-CDU nicht recht entschließen kon­nte, ob sie gegen einen kleineren Auf­marsch Recht­sex­tremer in Halbe mit demon­stri­eren sollte – liegt die Ver­ant­wor­tung für die Gegen­de­mo zum „Heldenge­denken“ bei Land­tagspräsi­den­ten Fritsch. Karin Weber appel­liert vor dem Gespräch: „Die Neon­azis wollen bei diesem Marsch ihre gewach­sene Kraft und Stärke demon­stri­eren und den Krieg glo­ri­fizieren – deshalb muss ein Bünd­nis aus bre­it­en zivilen Kräften und promi­nen­ten Per­sön­lichkeit­en entste­hen, um den Miss­brauch von Halbe zu stop­pen und den Marsch friedlich aufzuhalten.“

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