Kategorien
Uncategorized

Neonazis, aber keine Terroristen

(MAZ, 22.2.) POTSDAM/NAUEN Im Prozess gegen zwölf junge Neon­azis aus dem Havel­land, die
von August 2002 bis Mai 2003 mit ein­er Serie von Brandanschlägen
aus­ländis­che Imbiss­be­sitzer aus der Region vertreiben woll­ten, haben die
Vertei­di­ger in ihren Plä­doy­ers gestern jeden Ter­ror­is­mus-Vor­wurf bestritten.
Die Gruppe habe eher wie eine “Jung­bul­len­herde” gehan­delt und nicht wie eine
kon­spir­a­tive Ter­ror­gruppe, meinte Anwalt Michael Barth. Die
Gen­er­al­staat­san­waltschaft des Lan­des Bran­den­burg hat­te die zur Tatzeit 14-
bis 19-jähri­gen Schüler und Lehrlinge als ter­ror­is­tis­che Vereinigung
angeklagt. Der 1. Straf­se­n­at des Bran­den­bur­gis­chen Ober­lan­des­gerichts unter
Vor­sitz von Gisela Thaeren-Daig wird die Urteile in diesem ersten Prozess,
der in Bran­den­burg gegen eine mut­maßliche Ter­rorvere­ini­gung stattfindet,
voraus­sichtlich am 7. März verkün­den. Bei den elf Anschlä­gen war ein
Sach­schaden von etwa 700 000 Euro ent­standen. Men­schen wur­den dabei nicht
verletzt. 

Von den Hauptvor­wür­fen der Gen­er­al­staat­san­waltschaft gegen den mutmaßlichen
Rädels­führer und Grün­der der Unter­grun­dor­gan­i­sa­tion “Freiko­rps”, den 20
Jahre alten Abi­turi­en­ten Christo­pher H. wollte dessen Vertei­di­ger Michael
Tschirschke fast nichts gel­ten lassen. 

Ent­ge­gen der von Ober­staat­san­walt Eugen Lar­res geforderten Haft­strafe von
viere­in­halb Jahren für seinen Man­dan­ten plädierte Tschirschke für eine
Jugend­strafe von 22 Monat­en, aus­ge­set­zt zur Bewährung. Christo­pher H. sei
nicht Rädels­führer, son­dern lediglich ein Wort­führer in der Gruppe gewesen.
Der Abi­turi­ent vertrete zwar eine recht­sex­treme Gesin­nung, sei jedoch kein
Anti­semit, erk­lärte Tschirschke. Nach Auf­fas­sung des Vertei­di­gers kon­nte in
der Gerichtsver­hand­lung zudem nicht bewiesen wer­den, dass die jun­gen Männer
im Som­mer 2003 tat­säch­lich eine Unter­grun­dor­gan­i­sa­tion grün­de­ten, deren
schriftlich fix­iertes Ziel es laut Staat­san­waltschaft war, Brandanschläge
auf aus­ländis­che Imbisse zu verüben. Tat­säch­lich wurde das
Grün­dung­spro­tokoll ver­mut­lich im Juni 2004 kurz vor dem Zugriff der Polizei
ver­bran­nt, so dass die Anklage­be­hörde ihre Vor­würfe lediglich auf Aussagen
von Ver­samm­lung­steil­nehmern stützen konnte. 

Außer­dem, so Vertei­di­ger Tschirschke, man­gelte es den jun­gen Männer
sub­jek­tiv an dem Bewusst­sein, dass sie eine Ter­rorvere­ini­gung gründeten,
wenn sie Bran­dan­schläge auf aus­ländis­che Imbisse verabre­de­ten. Denn Merkmal
ein­er Ter­rorvere­ini­gung sei eine erhe­bliche Ein­schüchterung der Bevölkerung,
in diesem Fall der aus­ländis­chen. Unter Ein­schüchterung seien dabei Aktionen
zu ver­ste­hen, um mögliche Wider­stände von Aus­län­dern gegen ihre Vertreibung
zu über­winden. Doch über solche Aktio­nen “macht­en sich die Angeklagten aber
keine Gedanken auf dem Span­dauer Feld”, ver­suchte Anwalt Tschirschke den
Vor­wurf der ter­ror­is­tis­chen Vere­ini­gung zu entkräften. 

Für die Gen­er­al­staat­san­waltschaft ste­ht weit­er fest, dass dem Land
Bran­den­burg ein erhe­blich­er Schaden zuge­fügt wor­den wäre, wenn sich
Aus­län­der im Havel­land nicht mehr sich­er gefühlt hät­ten. Dass die
Unter­grun­dor­gan­i­sa­tion “Freiko­rps” dieses Ziel let­ztlich nicht erreichte,
dis­qual­i­fiziere sie nicht in ihrer krim­inellen Qual­ität als terroristische
Vereinigung. 

Wie Anwalt Tschirschke bemüht­en sich auch die übri­gen Vertei­di­ger, den
Ter­rorver­dacht zu zer­streuen — zumal das Straf­maß davon nicht unwesentlich
abhän­gen kön­nte. Es habe keine ter­ror­is­tis­che Vere­ini­gung mit geordneter
Infra­struk­tur und regelmäßi­gen Tre­f­fen gegeben, so der Tenor der
Vertei­di­gung. Auch die zahlre­ichen Bran­dan­schläge bewiesen nicht, dass es
eine Ter­ror­gruppe gegeben habe. 

Statt dessen, so stellte es beson­ders pointiert Vertei­di­ger Michael Barth
dar, seien die elf Mitangeklagten maßge­blich durch die recht­sex­treme Hetze
und die total­itären Macht­phan­tasien des fanatis­chen Ans­tifters Christopher
H. ins Verder­ben geführt wor­den. Dabei habe auch sein 15 Jahre alter Mandant
Sebas­t­ian A. selb­st wis­sen müssen, sagte Barth,“dass er nicht entscheiden
kann, wer im Havel­land leben darf”.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot