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Neudeutsche und Neonazis

Die Aussiedler in Witt­stock sagen, dass sie sich wohlfühlen. Den vie­len NPD-Plakat­en zum Trotz


Witt­stock. „Wie meinen Sie das, ob ich wählen gehe?” Olga ver­ste­ht die Frage nicht. Das liegt keines­falls an der Sprache, denn die Mit­tfünzigerin spricht inzwis­chen sehr gut Deutsch. Und dass sie am Son­ntag ihre Stimme abgibt, ist für sie so selb­stver­ständlich wie für die meis­ten Spä­taussiedler aus Rus­s­land. „Wir mussten doch auch zu Hause immer wählen gehen”, sagt sie. Die Parteien und das poli­tis­che Sys­tem der Bun­desre­pub­lik sind vie­len Aussiedlern aus den Briefen ver­traut, die Fre­unde und Ver­wandte ihnen aus Deutsch­land schrieben, während sie – oft jahre­lang – auf ihre Aus­reise warteten. In den Briefen stand auch: „Passt auf, dass ihr nicht nach Bran­den­burg oder Meck­len­burg-Vor­pom­mern kommt!” Nun ist Olga mit ihrer Fam­i­lie wie mehr als 400 Aussiedler in Witt­stock gelandet und kann die War­nung ver­ste­hen. Witt­stock liegt an der Gren­ze zwis­chen Bran­den­burg und Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Die NPD marschiert hier oft auf. Und immer wieder kommt es zu ras­sis­tis­chen Vor­fällen: Im Feb­ru­ar 1999 schleud­erten junge Neon­azis Molo­tow-Cock­tails auf einen türkischen Dön­er­laden. Im April 2001 wur­den US-Amerikan­er im „McDon­alds” ver­prügelt. Einen Monat später jagten Ver­mummte einen 18-jähri­gen Deutschen mit dun­kler Haut­farbe so lange durch Witt­stock, bis er sich in sein­er Angst von einem Balkon stürzte. Im Mai dieses Jahres über­fie­len Ein­heimis­che zwei junge Spä­taussiedler. Kajrat B. (24) starb, sein 21-jähriger Fre­und Max­im über­lebte schw­er ver­let­zt. Vor zwei Wochen wurde die Gedenkstätte Below­er Wald durch Brand­sätze teil­weise zer­stört und mit anti­semi­tis­chen Het­z­parolen beschmiert. „Es sind nur einige, die immer wieder Unruhe stiften”, sagt Valenti­na Stran­s­ki, die vor neun Monat­en mit Mann, Tochter und zwei Enkelkindern nach Deutsch­land kam. „Wir fühlen uns wie viele Rus­s­land­deutsche in der Stadt wohl. Mich hat noch nie­mand bedro­ht. Ich glaube auch nicht, dass die NPD hier viele Stim­men bekommt.” Dabei ist Witt­stock in diesen Tagen mit NPD-Plakat­en regel­recht zugek­lebt. „Deutsch­land uns Deutschen” ste­ht darauf, und „Aus­län­der: Rück­führung statt Inte­gra­tion”. Witt­stocks Bürg­er­meis­ter Lutz Schei­de­mann (FDP) wirkt hil­f­los. Auch in Neu­rup­pin und Wit­ten­berge hin­gen sehr viele NPD-Plakate, sagt er, aber dort hiel­ten wenig­stens die anderen Parteien noch dage­gen. Trotz­dem ist Schei­de­mann überzeugt, dass die Witt­stock­er am Son­ntag zu etwa je 30 Prozent für SPD und CDU stim­men, die PDS könne mit 20 Prozent rech­nen. Für die NPD prog­nos­tiziert er vier bis sechs Prozent. Nach jedem Vor­fall hat Schei­de­mann zu Demon­stra­tio­nen aufgerufen. Die Bürg­er kamen zu Hun­derten. „Witt­stock ist kein braunes Nest”, ver­sichert der Bürg­er­meis­ter: „Die Amerikan­er im McDon­alds sind von Recht­en aus Berlin über­fall­en wor­den, im Mord­fall Kajrat gehören die Tatverdächti­gen nicht zur recht­en Szene.” Trotz­dem hat Schei­de­mann nach dem Anschlag auf die Gedenkstätte endgültig genug: „Gegen diese Leute muss man mit aller Härte vorge­hen.” Die Witt­stock­er Recht­en tre­f­fen sich jeden Abend an der Elf-Tankstelle. Dort trinken sie Bier und fühlen sich stark. Manch­mal kom­men sie auch zum Ital­iener in der liebevoll restau­ri­erten Innen­stadt. „Mich akzep­tieren sie”, sagt der Chef, „aber beim Türken nebe­nan machen sie Stress.” Der Türke nebe­nan will lieber nichts sagen. Dreimal ist seine Schaufen­ster­scheibe schon zu Bruch gegan­gen. Die NPD dis­tanziert sich offiziell von solchen Vor­fällen. Ihr Spitzenkan­di­dat, Mario Schulz, ist Vor­sitzen­der des Lan­desver­ban­des Berlin-Bran­den­burg. Er bemüht sich um Hof­fähigkeit. Am Gedenkmarsch für den ermorde­ten Kajrat ließ er seine Kam­er­aden teil­nehmen, weil „das ein Deutsch­er war”. „Die hat­ten ein­fach nur Schiss, dass die Aussiedler zurückschla­gen”, sagt ein Betreuer der Rus­s­land­deutschen: „Nach dem Über­fall auf Kajrat und Max­im wur­den zwei Rechte ver­mö­belt.” Das Kli­ma unter den jun­gen Leuten in Witt­stock ist entsprechend. „Für die Jugendlichen ist der Zug abge­fahren”, sagt Valenti­na Stran­s­ki, die in ihrer Heimat als Lehrerin gear­beit­et hat. „Die bleiben unter sich. Man muss bei den Kindern anfan­gen. Da kön­nen Fre­und­schaften entste­hen.” Ihre Enkel, die neun­jährige Tan­ja und der sieben­jährige Sergej kämen in der Schule gut klar. Die Stran­skis beto­nen immer wieder, wie glück­lich sie in ihrer neuen Heimat sind. Valenti­na zitiert ein altes rus­sis­ches Sprich­wort: Wenn es dir gut geht, sollst du das Gute nicht woan­ders suchen. Deshalb, erk­lärt sie freimütig, wer­den sie und ihre Ange­höri­gen am Son­ntag die SPD wählen. Damit seien die Stran­skis eher eine Aus­nahme unter den Spä­taussiedlern, ver­mutet Lew Sin­ner, ein 63-jähriger Elek­trotech­nik-Pro­fes­sor: „Viele wählen die CDU, weil die Schröder-Regierung beschlossen hat, dass jed­er Aussiedler einen Spracht­est machen muss. Unter Kohl reichte es, wenn sich ein Fam­i­lien­mit­glied diesem Test unter­zog.” Lew Sin­ner hat längst bereut, dass er nach Deutsch­land gekom­men ist, weil er wie andere hochqual­i­fizierte Aussiedler hier nicht in seinem Beruf arbeit­en kann. „Mit Witt­stock”, sagt der Pro­fes­sor, „hat das aber nichts zu tun.”

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