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Neue Augen für die Polizei

(MAZ, Frank Schau­ka) POTSDAM Nach der Videokon­trolle öffentlich­er Plätze bere­it­et das Innen­min­is­teri­um die automa­tisierte Überwachung von Fahrzeu­gen mit moderner
Kam­er­at­e­ch­nik vor. Mehrwöchige Prax­is­tests mit ver­schiede­nen dig­i­tal­en Auton­um­mern-Scan­nern der Fir­ma Bosch habe es von Juni bis August 2003 gegeben, räumte Min­is­teri­umssprech­er Heiko Hom­burg ein. Brandenburgs
Daten­schutzbeauf­tragter Alexan­der Dix warnte gegenüber der MAZ vor ein­er “Infra­struk­tur der Überwachung”. Es werde “darauf hin­aus­laufen, dass Aut­o­fahrer an Verkehrsknoten­punk­ten flächen­deck­end erfasst wer­den”. Auch der Direk­tor des unab­hängi­gen Krim­i­nol­o­gis­chen Forschungsin­sti­tuts Niedersachsen
(KFN) und frühere Jus­tizmin­is­ter des Lan­des, Chris­t­ian Pfeif­fer, sieht in
der Ein­führung der Scan-Tech­nik einen weit­eren Schritt zum Überwachungsstaat
und erk­lärt besorgt: “Orwell lässt grüßen.” 

Dass Bran­den­burg noch keine Auton­um­mern-Scan­ner angeschafft hat, hat vor
allem tech­nis­che Gründe. Die Geräte seien bish­er “zu groß und zu schwer”
sowie ins­ge­samt “noch verbesserungs­bedürftig”, so Hom­burg. Das Ministerium
hat der Her­steller­fir­ma seine Verbesserungswün­sche schon mehrfach
mit­geteilt — was wohl offenkundig ein ern­sthaftes Kaufin­ter­esse bezeugt.
Bran­den­burg wolle die inno­v­a­tive Fah­n­dung­stech­nik allerd­ings “nicht im
Allein­gang”, son­dern in Abstim­mung mit anderen Bun­deslän­dern einführen,
ver­sichert Hom­burg. Man werde sich am Beratungsergeb­nis ein­er Arbeitsgruppe
der Innen­min­is­terkon­ferenz orientieren. 

Konkrete Vorstel­lun­gen des Pots­damer Innen­res­sorts für den Ein­satz der
Auton­um­mern-Scan­ner gibt es den­noch jet­zt schon. Zunächst ein­mal sollen sie
im Kon­text ein­er Straftat die Suche nach Fahrzeu­gen erle­ichtern. Das Gerät
würde Alarm schla­gen, sobald es ein im Fah­n­dungscom­put­er gestohlen
gemeldetes Auto oder ein anderes Fahrzeug erken­nt, in dem ein Straftäter
ver­mutet wird. 

Darüber hin­aus kön­nten die Scan­ner — wie verdeck­te Ermit­tler — bei einer
ver­dacht­sun­ab­hängi­gen Fah­n­dung im Vor­feld ein­er Straftat, also präventiv
einge­set­zt wer­den. Die Polizei kön­nte frühzeit­ig erken­nen, ob sich
verdächtige Per­so­n­en, die eine Straftat bege­hen kön­nten, bes­timmten Orten
näh­ern. So ließen sich beispiel­sweise kon­spir­a­tive Musiktreffen
recht­sex­tremer Skin­heads leichter auflösen, deren Teil­nehmer oft erst im
let­zten Moment zum Spielort dirigiert wer­den, um die Polizei in die Irre zu
führen. Die Scan­ner kön­nten präven­tiv auch einge­set­zt wer­den, um
Suizid­willige zu lokalisieren, die ihren Fre­itod angekündigt haben. 

Inwieweit die Parteien in Bran­den­burg eine für die Ein­führung der Scanner
erforder­liche Änderung des Polizeige­set­zes mit­tra­gen wür­den, lässt sich noch
nicht genau abschätzen. Keine Wider­stände sind offen­bar von der CDU zu
erwarten. Sven Petke, innen­poli­tis­ch­er Sprech­er der Frak­tion, betont
vielmehr, dass mit dem Weg­fall der Gren­zkon­trollen die Überwachung innerhalb
Deutsch­lands ver­schärft wer­den müsse. Die zwei kriminalgeographischen
Schw­er­punk­te Bran­den­burgs — Berlin und die deutsch-pol­nis­che Grenzregion -
macht­en eine erhöhte Kon­trolle im Innern des Lan­des erforder­lich: auch durch
Autonummern-Scanner. 

Die märkische SPD kön­nte sich eben­falls zu ein­er Gesetzesänderung
durchrin­gen — “wenn es nur um die Erfas­sung von Auton­um­mern geht und
sichergestellt wird, dass die Dat­en von Nicht­be­trof­fe­nen nicht gespeichert
wer­den”, wie der innen­poli­tis­che Sprech­er der SPD-Landtagsfraktion,
Wern­er-Sieg­wart Schip­pel, fordert. “Die Dat­en unbeteiligter Bürg­er müssen so
geschützt wer­den, dass ihre Bewe­gun­gen durch den Staat nicht nachvollzogen
werden.” 

Selb­st Petke und die Polizei ver­lan­gen eine Beschränkung des technisch
Möglichen. “Bewe­gungs­bilder dür­fen nicht erstellt wer­den” — selb­st wenn dies
für Ermit­tler reizvoll wäre, betont der Lan­desvor­sitzende der Gewerkschaft
der Polizei, Andreas Schuster. 

Wie jedoch die Gren­ze des Mach­baren allmäh­lich zu Gun­sten des
Fah­n­dungser­fol­gs ver­schoben wer­den kann, zeigt der Entwurf zur Änderung des
rhein­land-pfälzis­chen Polizeige­set­zes. Para­graph 27, Absatz 6 gestattet
offenkundig, dass Dat­en durch den Ein­satz tech­nis­ch­er Mit­tel nicht nur zur
Ver­fol­gung von Straftat­en erhoben wer­den dür­fen, son­dern auch zur Verfolgung
von “Ord­nungswidrigkeit­en von erhe­blich­er Bedeu­tung, zur Gefahren­ab­wehr, ins
beson­dere zur vor­beu­gen­den Bekämp­fung von Straftat­en, oder zur Behebung
ein­er beste­hen­den Beweisnot”. 

“Wer mit solchen juris­tis­chen Formeln ver­traut ist, der weiß, dass die
Sicher­heits­be­hör­den auf dieser Basis spe­ich­ern dür­fen, was sie nur wollen”,
kom­men­tierte der innen- und sicher­heit­spoli­tis­che Experte der Süddeutschen
Zeitung und ehe­ma­lige Richter, Herib­ert Prantl, die Pläne der Mainzer
Landesregierung. 

Ähn­lich urteilte KFN-Chef Pfeif­fer. Gegenüber der MAZ erk­lärte er: “Die
rechtsstaatlichen Absicherun­gen reichen mir zur Zeit noch nicht aus.”
Bran­den­burgs ober­ster Daten­schützer spricht sog­ar vor einer
“Blanko­er­mäch­ti­gung für die per­ma­nente Fah­n­dung auf Straßen”, was “in hohem
Maße beden­klich” sei. Schließlich, ver­mutet Dix, werde die Debat­te um den
Ein­satz tech­nis­ch­er Fah­n­dungsmit­tel damit nicht enden. “Es wer­den weitere
Begehrlichkeit­en entste­hen, bald wer­den wir wohl eine ähn­liche Diskussion
zur Gesicht­serken­nung bekom­men.” In Lon­don ist das seit einem Jahr
Wirk­lichkeit: 800 zusät­zliche Verkehrskam­eras erfassen jede Auton­um­mer — und
jedes Gesicht hin­term Lenkrad. 

Erfol­gre­iche Tests

Die Innen­min­is­terkon­ferenz beschäftigt sich seit Ende Juli 2003 mit der
automa­tis­chen Erfas­sung von Auto­kennze­ichen. In mehreren Bundesländern
wur­den Num­mern-Scan­ner in Prax­is­tests schon erprobt. So hat Bay­ern an der
tschechis­chen Gren­ze ein halbes Jahr lang den ein­fahren­den Verkehr
kon­trol­liert. Innen­min­is­ter Gün­ther Beck­stein (CSU) lobte das Ergeb­nis und
kündigte eine für den Dauer­be­trieb erforder­liche Geset­zesän­derung an. Hessen
und Rhein­land-Pfalz bere­it­en durch eine geplante Änderung der Polizeigesetze
die Ein­führung der neuen Tech­nik eben­falls vor. 

Baden-Würt­tem­berg, Nor­drhein-West­falen und Nieder­sach­sen liebäugeln
gle­ich­falls mit dem Sys­tem. Die Lan­desregierung in Han­nover will es nach
erfol­gre­ichen Tests im ersten Quar­tal 2004 ein­führen und zunächst gegen die
organ­isierte Krim­i­nal­ität ein­set­zen. Der flächen­deck­ende Gebrauch soll von
den Erfahrun­gen aus Bay­ern abhängig gemacht werden. 

Einen Skan­dal hat die Tech­nik in Thürin­gen aus­gelöst, wo ange­blich ohne
Wis­sen des CDU-Innen­min­is­ters jedes Fahrzeug, das den Rennsteigtunnel
passierte, ges­can­nt wurde. Europaweit sind etwa 800 000 Auto­kennze­ichen zur
Fah­n­dung ausgeschrieben.

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