(Tagesspiegel) Potsdam (dpa/PNN). Nach den neuen Vorwürfen gegen Mitarbeiter im Gefängnis Brandenburg/Havel wegen unterlassener Hilfeleistung hat das Justizministerium eine Überprüfung auch dieses Vorfalls angekündigt.
“Wir arbeiten bereits seit der vergangenen Woche mit Hochdruck daran, alle eventuellen Vorfälle restlos aufzuklären”, sagte Sprecherin Dorothee Stacke
am Dienstag. Medienberichten zufolge wurde schon 2002 einem älteren Insassen nach einem Herzinfarkt erst mit Verspätung geholfen.
Die JVA steht bereits wegen eines ähnlichen Falls vom Januar 2004 sowie wegen Misshandlungsvorwürfen in der Kritik. Letztere konnten bislang nicht bewiesen werden. Laut Stacke sei nicht ausgeschlossen, dass jetzt Gefangene
über angebliche Vorfälle berichten, die sich nicht oder nicht in dieser Form ereignet haben. Das RBB-Magazin “Klartext” hatte berichtet, dass in der JVA Häftlinge von vermummten Aufsehern misshandelt wurden.
Nach Einschätzung des Rechtsausschusses des Landtages, der am Montag zu einer Sondersitzung zusammengekommen war, hat es in Gefängnissen des Landes keine Misshandlungen gegeben. Bestätigt hat sich laut Ministerium aber, dass
Bedienstete im Januar einem Häftling nach einem Herzinfarkt medizinische Hilfe verweigerten. Innenminister Jörg Schönbohm nahm Justizministerin Barbara Richstein (beide CDU) in Schutz. Sie habe “unser uneingeschränktes
Vertrauen. Und es gibt in keiner Weise irgendeine Bestätigung, dass die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden, zutreffend sind”, sagte er im RBB-InfoRadio.
Am Vortag war der Leiter der JVA, Hermann Wachter, abgelöst worden. Fünf JVA-Bedienstete sind seit der Vorwoche suspendiert. Laut Richstein hat es nach bisherigem Stand seit 1999 in Brandenburg 80 Strafanzeigen von
Gefangenen gegen Justizbedienstete gegeben. Allein 57 seien aus der JVA Brandenburg/Havel gekommen. Angaben darüber, in wie weit sich die Anzeigen gegen aus DDR-Zeiten übernommene Bedienstete richten, wollte Stacke nicht machen.
Nach Einschätzung von Psychologen kann die besondere Situation in Haftanstalten zu Gewalt von Gefängniswärtern gegen Insassen führen.
“Die Justizbediensteten befinden sich in einem Raum, in dem Machthierarchie und Gewalt den Alltag bestimmen, und durch diese Verhältnisse werden viele zu Drangsalierungen der Häftlinge verleitet”, sagte Günter Esser, Professor
für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam.
Vor allem bei Wärtern, die außerhalb der Mauern unauffällig sind, bestehe die Gefahr, dass sie ihre Macht zusätzlich ausnutzen. Dem Zeitungsbericht zufolge hatte ein älterer Insasse einer Vier-Mann- Zelle, kurz vor
Weihnachten 2002 einen Herzinfarkt erlitten. Die Zellengenossen hätten gegen die Tür getrommelt. Hilfe sei aber erst viel später eingetroffen. An diesem Mittwoch wird sich der Landtag auf Grund einer PDS-Anfrage mit dem
Themenkomplex befassen.