Rechtsausschuss stützt Ministerin — Trotzdem werden alle Ermittlungen gegen Wärter seit 1999 überprüft
(BM, Gudrun Mallwitz) Potsdam — Der Rechtsausschuss des brandenburgischen Landtags sieht Justizministerin Barbara Richstein als von den schweren Vorwürfen über
Misshandlungen in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg/H. entlastet an. Weder Abgeordnete der oppositionellen PDS noch aus den Reihen des Koalitionspartners SPD sahen nach der gestrigen Sondersitzung Anlass, den Rücktritt der 38-jährigen CDU-Politikerin zu verlangen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wolfgang Klein, sagte: “Für mich ist die
Affäre beendet.”
Die Ministerin hatte vor dem Ausschuss allerdings eingeräumt, dass ein
herzkranker Häftling im Januar vergeblich um ärztliche Behandlung gebeten
und einen Herzinfarkt erlitten hatte. Zudem sprach sie von erheblichen
Informationsdefiziten. Nach der Anzeige dieses Gefangenen hätte sie
erwartet, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft und die Anstaltsleitung
das Ministerium davon informieren. Ausschussvorsitzender Frank Werner (CDU)
sagte, ein Gutachten müsse jetzt den genauen Zeitpunkt des Infarkts
feststellen.
Der Ausschuss kam zu dem Schluss, dass sich die Vorwürfe nicht bestätigt
haben, wonach vermummte Wärter Gefangene verprügelt und misshandelt haben
sollen. Dennoch kündigte Richstein weitere Überprüfungen an.
Von 1999 an haben Häftlinge landesweit 80 Strafanzeigen gegen
JVA-Bedienstete erstattet. 57 Anzeigen haben die JVA in Brandenburg/H.
betroffen, 36 Fälle davon konzentrierten sich auf insgesamt fünf
Justizbeamte. Die Häufung hängt zum Teil damit zusammen, dass es sich um die
größte und auf Grund der dort einsitzenden Schwerverbrecher auch
schwierigste JVA im Land handelt. Unter den 750 Häftlingen befinden sich
mehr als 100 zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilte.
Die Ermittlungen zu allen Anzeigen sind eingestellt worden. Unter anderem
handelte es sich um 22 Anzeigen wegen Körperverletzung, 18 wegen
Körperverletzung in Amt sowie 17 weitere wegen unterlassener Hilfeleistung.
Richstein will diese Vorgänge nun neu aufrollen. Ferner sollen die
Personalakten erneut nach solchen Beschäftigten durchforstet werden, die
bereits zu DDR-Zeiten wegen brutaler Willkür aufgefallen waren.
Bereits vorige Woche hatte die Justizministerin verboten, dass Wärter sich
Masken überziehen. Für die JVA Brandenburg/H. waren die Masken 1994
angeschafft worden. Dass Wärter sie bei Übergriffen auf Gefangene getragen
haben, hat sich bislang nicht bestätigt.
Auch ein Vertreter des Anstaltsbeirats erklärte, dass die Behauptung, wonach
in dem Gefängnis noch Rollkommandos aus DDR-Zeiten aktiv seien, nicht
haltbar ist. Nach seiner Ansicht hat Richstein mit der Suspendierung von
fünf Justizbediensteten in der vergangenen Woche “überzogen” reagiert.
Solange die Vorwürfe nicht bestätigt seien, hätte sie sich vor die Beamten
stellen müssen. Der Beirat wird vom Ministerium berufen und kümmert sich
ehrenamtlich um die Belange von Personal und Häftlingen. Für den
Landesverband Bündnis 90/Die Grünen forderte deren Spitzenkandidat Wolfgang
Wieland einen Ombudsmann für den Strafvollzug.
Auch wenn die Justizministerin weiter im Amt bleiben wird, ist sie durch den
neuesten Fall und die vorangegangenen Skandale im Strafvollzug schwer
geschwächt.
Fesselungen von Abschiebehäftlingen “Ausnahmefälle”
(BM) Potsdam — Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat die Fesselung
aggressiver Insassen der zentralen Abschiebehaftanstalt in Eisenhüttenstadt
als notwendige Ausnahmen verteidigt. Wie Schönbohm auf eine parlamentarische
Anfrage mitteilte, wurden zwischen März 2001 und Januar 2004 insgesamt 19
Abschiebehäftlinge auf diese Weise beruhigt, darunter eine Frau. Dabei seien
die Betroffenen nur “in Fällen zwingender Notwendigkeit” mit einem wie in
Krankenhäusern üblichen Gurtsystem an ein Bett gebunden worden. Das sei der
Fall, wenn Häftlinge andere Insassen oder Vollzugspersonal angriffen,
randalierten oder versuchten, sich zu verletzen oder das Leben zu nehmen.
Nach Darstellung des Ministers können Abschiebehäftlinge mit Gurten an
Händen, Füßen oder am Bauch gefesselt werden. Derartige Fixierungen hätten
in Eisenhüttenstadt durchschnittlich vier Stunden gedauert. In einem Fall
habe eine Person allerdings über mehrere Tage, insgesamt fast 42 Stunden,
ruhig gestellt werden müssen. Während der Unterbringung im so genannten
Ruhigstellungsraum werden die Abschiebehäftlinge den Angaben zufolge per
Videokamera beobachtet. Hinzu kämen Sichtkontrollen durch das Personal.
Eine medizinische Betreuung der Betroffenen sei gewährleistet, unterstrich
Schönbohm. In Einzelfällen sei für Häftlinge auch die Unterbringung in einer
geschlossenen Abteilung der örtlichen Psychiatrie angeordnet worden. Pro
Jahr werden in Brandenburg durchschnittlich 1000 Ausländer in ihre
Heimatländer abgeschoben.
Neue Vorwürfe gegen Haftanstalt
Mindestens ein weiterer Fall von unterlassener Hilfeleistung in derJVA Brandenburg
(MAZ) BRANDENBURG/H. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Brandenburg/Havel ist es
offenbar bereits 2002 zu einem schweren Fall von unterlassener Hilfeleistung
gekommen. Alfred K., ein älterer Insasse einer Vier-Mann-Zelle, hatte nach
MAZ-Informationen kurz vor Weihnachten einen Herzinfarkt erlitten. Die
Zellengenossen hätten gegen die Tür getrommelt, berichtet ein Häftling.
Hilfe sei allerdings erst viel später eingetroffen. “Die Kameraden aus der
Zelle haben die Tür beinahe eingetreten — K. wäre uns fast gestorben”,
berichtet ein Flurnachbar des Kranken.
Wegen eines ähnlichen Falles ist die JVA seit einigen Tagen in der Kritik.
In der RBB-Sendung “Klartext” am vergangenen Mittwoch hatte der Insasse
Friedrich F. schwere Vorwürfe gegen die Gefängnisleitung erhoben. F. hatte
am 13. Januar einen Herzinfarkt erlitten, war aber erst am nächsten Morgen
dem Anstaltsarzt vorgeführt worden.
Kenner des Justizvollzugs weisen schon lange darauf hin, dass die Anstalt
keine moderne Gegensprechanlage besitzt. Um auf sich aufmerksam zu machen,
seien die Häftlinge gezwungen, Papierstreifen unter den Türen
durchzuschieben oder gegen die Zellentüren zu schlagen. “Das kann schon mal
eine halbe Stunde dauern bis einer kommt”, sagt die Psychotherapeutin Ute
Smessaert, die jahrelang Häftlinge betreut hat. Insassen berichten außerdem,
dass einige Bedienstete während Fußballübertragungen und in Dienstpausen
überhaupt nicht auf Klopfzeichen reagieren.
In besonders schlechtem Ruf steht Haus 3. Dort — so berichten mehrere
Gefangene übereinstimmend — tut das Duo mit den Spitznamen “Bauer und Fuchs”
Dienst, das wegen rabiater Züchtigungsmethoden verschrien ist. Beide Männer
gehörten vor der Wende zu einer “Prügeltruppe”, wie es sie in
DDR-Gefängnissen zur Unterdrückung von Revolten gab. Ein drittes Ex-Mitglied
dieser Sondereinheit ist einer der Vorgesetzten von “Bauer” und “Fuchs”. Die
Gefangenen nennen ihn “Schlüsselklopper”, weil ihm nachgesagt wird, ab und
zu mit den schweren Anstaltsschlüsseln zugeschlagen zu haben.
Pikant: Wenn sich ein Häftling bei der Haftleitung über “Fuchs” und “Bauer”
beklagt, landet die Eingabe bei Bekannten aus der alten Truppe. Dennoch sind
sich die Insassen sicher, dass man im Ministerium die Zustände in Haus 3
lange kennt. Häftlinge schicken ihre Beschwerden nämlich inzwischen direkt
nach Potsdam, weil Ministeriumspost
nicht geöffnet werden darf.
“Kein Folterknast”
Justizministerin rechtfertig sich im Landtag, das Misstrauen aber bleibt
(MAZ, Igor Göldner) POTSDAM Von überzogenen Reaktionen Bediensteter der Justizvollzugsanstalt
Brandenburg/Havel gegenüber Gefangenen, gar von Prügel und Misshandlungen
war in den vergangenen Tagen die Rede. Vor dem Rechtsausschuss des Landtags
konnte Justizministerin Barbara Richstein (CDU), die politisch in Bedrängnis
geriet, einige dieser Vorwürfe relativieren. Nach viereinhalb Stunden
Beratung sagte Richstein, es sei erwiesen, dass in einem Fall einem
herzkranken Gefangenen ärztliche Hilfe verweigert wurde und dieser einen
Herzinfarkt erlitt. Der Vorwurf von Gewalt gegen diesen Häftling habe sich
aber nicht bestätigt. Fünf Beamte waren wegen dieses Falls kürzlich wegen
unterlassener Hilfeleistung suspendiert worden.
Der Ausschussvorsitzende Frank Werner (CDU) sagte, es gebe keine Belege für
so genannte Rollkommandos in der Haftanstalt. Er äußerte auch Zweifel am
Wahrheitsgehalt einiger Aussagen von Gefangenen. Der Vorsitzende des
Anstaltsbeirats der JVA, Kuno Pagel, der ebenfalls vom Rechtsausschuss
befragt wurde, verwahrte sich gegen den Vorwurf dauernder tätlicher
Übergriffe auf Gefangene. “Das ist kein Folterknast”, betonte er. Pagel
räumte aber ein, dass gegen randalierende Gefangene “Sicherheitsmaßnahmen”
ergriffen würden.
Richstein, die von den Vorfällen erst durch Journalisten erfuhr und sich
deshalb gegen Rücktrittsforderungen wehren muss, sucht einen Weg aus der
Defensive. Sie kündigte gestern an, dass alle Fälle, in denen Gefangene
Strafanzeigen gegen Justizbeamte gestellt haben, “neu aufgerollt” werden. In
der Haftanstalt Brandenburg/Havel gab es zwischen 1999 und 2004 insgesamt 57
solcher Strafanzeigen. Allein 36 davon richteten sich gegen fünf
Bedienstete. Die Ministerin konnte aber nicht sagen, ob darunter auch einige
der suspendierten Beamten sind. Im gesamten Land hat es 80 Anzeigen gegeben.
Richstein rechtfertigte gestern auch die Versetzung des Leiters der JVA,
Hermann Wachter, in eine andere Behörde. Das sei “aus einer Fürsorgepflicht”
für den Betroffenen geschehen. Es gebe keine disziplinarrechtlichen
Maßnahmen gegen Wachter.
Von den Abgeordneten des Ausschusses musste sich die Ministerin teils
scharfe Kritik gefallen lassen. Der SPD-Vertreter Peter Muschalla sagte, der
Informationsfluss im Justizbereich würde nicht funktionieren — “weder rauf
noch runter”. Nachdem ein Referatsleiter des Ministeriums über Recherchen
von RBB-“Klartext” in der Haftanstalt erfahren habe, sei nicht reagiert
worden. Als die Ministerin gut vier Wochen später ins Bild gesetzt wurde,
habe sie sich politisch nicht eingebracht und niemanden informiert. “Ihr
Selbstinteresse, Frau Ministerin, an Aufklärung ist zu gering”, wandte sich
Muschalla an die neben ihm sitzende Ministerin. Muschalla bezeichnete die
Suspendierung der fünf Beamten als “verfrüht”. Diese Meinung vertrat auch
Kuno Pagel vom Anstaltsbeirat. “Das ist überzogen und eine Vorverurteilung”,
beschwerte er sich.
Der PDS-Abgeordnete Stefan Sarrach bemängelte die “fehlende Kommunikation”
zwischen Ministerium, Staatsanwaltschaft und Haftleitung. Der jetzige
Bericht könne nur ein “Zwischenschritt zu mehr Aufklärung” sein. Andere
Fälle seien noch gar nicht erörtert worden. Sarrach sieht die Ministerin
“geschwächt”, da sie nur reagiere und nicht agiere. Nach allem, was bisher
bekannt sei, werde die PDS derzeit jedoch nicht den Rücktritt fordern, so
Sarrach.
Die Ablösung Richsteins, wie sie SPD-Juristen, FDP und einzelne
sozialdemokratische Landtagsabgeordnete wie Ulrich Freese fordern, ist auch
seitens der SPD-Fraktionsspitze kein Thema. Der parlamentarische
Geschäftsführer Wolfgang Klein stellte gestern einen Persilschein für
Richstein aus: “Die Ministerin hat jetzt reagiert, für einen Rücktritt gibt
es keinen Grund.”
Brandenburg beruhigt sich
Große Koalition in Potsdam hält Berichte über Misshandlungen in Brandenburger Haftanstalt für überzogen. SPD-Spitze: Rücktritt von CDU-Justizministerin unnötig
(TAZ) BERLIN Brandenburgs Sozialdemokraten schlagen nicht weiter auf ihren
Koalitionspartner CDU ein. Die Führung der Brandenburger SPD will nun doch
nicht den Rücktritt von Justizministerin Barbara Richstein (CDU) wegen der
Berichte über misshandelte Häftlinge im Gefängnis Brandenburg/Havel. Das
erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wolfgang
Klein, gestern während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im
Potsdamer Landtag.
Der Bericht des RBB-Magazins “Klartext”, wonach in der JVA wiederholt
Häftlinge von vermummten Aufsehern verprügelt worden seien, sei nach
derzeitigen Erkenntnissen überzogen. Auch CDU-Vize Sven Petke, zugleich
Mitglied im Rechtsausschuss, sagte der taz, “von den Vorwürfen wiederholter
Misshandlungen hat sich null bestätigt”. Klar sei aber, dass ein herzkranker
Häftling zu spät von einem Arzt behandelt worden sei.
Ein Sprecher von Regierungschef Mathias Platzeck (SPD) sagte der taz, man
werde den heutigen “Bericht Richsteins im Landtag abwarten, bevor sich der
Ministerpräsident äußert”.
Stimmung für den Landtagswahlkampf wird die SPD mit den
Misshandlungsvorwürfen also wohl nicht machen, obwohl sie in ihrem einstigen
Stammland Brandenburg laut Umfragen hinter der CDU liegt. Doch nicht nur die
SPD hält sich zurück. Auch die PDS, einzige Oppositionspartei, tut sich nach
der gestrigen Rechtsausschusssitzung schwer, Richsteins Rücktritt zu
fordern. Petra Faderl, PDS-Frau im Rechtsausschuss, musste zugeben, “dass
sich die Vorwürfe wiederholter Misshandlungen nicht bestätigt haben”.
Allerdings ist die Kehrtwende der SPD innerhalb der Partei nicht
unumstritten. So sagte der innenpolitische Sprecher Werner
Siegwart-Schippel, der taz: “Richstein muss die Verantwortung übernehmen,
denn sie hat nichts von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in
Brandenburg gewusst.” Er bezeichnete das Ressort von Richstein als ein “Haus
der Ahnungslosen”.
Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt seit Januar wegen
Misshandlungsvorwürfen in der JVA Brandenburg/Havel. Nach Aussage von
Staatsanwälten wurde dies dem Ministerium nicht gemeldet, weil es solche
Anzeigen immer wieder gebe. “Hätten sich derartige Übergriffe als wahr
herausgestellt, wäre das Ministerium informiert worden”, sagte Claudia Grimm
vom Bund Brandenburger Staatsanwälte. Ihrer Meinung nach lag kein Versäumnis
vor. Das sah der Rechtsausschuss anders und bescheinigte Staatsanwaltschaft
und JVA Defizite, weil sie so lange geschwiegen hatten.
Brandenburg/Havel gilt als Problemgefängnis. Wegen mehrerer Skandale hatte
die JVA in den vergangenen 15 Jahren sieben Leiter. Am Wochenende enthob die
Justizministerin den bisherigen Anstaltschef seines Amtes. Herrmann Wachter
muss nicht mit einem Disziplinarverfahren rechnen, sondern wird irgendwo
anders im Justizapparat eine Arbeit finden. Mitarbeiter der Haftanstalt
werten dies als Bauernopfer. “Unter Wachter hat sich wenigstens noch etwas
bewegt”, sagte ein Mitarbeiter der taz. Er habe Sozialarbeiter eingestellt
und versucht, das Klima zwischen Häftlingen und Bediensteten zu verbessern.
CDU-Vize Petke findet die Ablösung “richtig”, weil Wachter das Ministerium
nicht ausreichend informiert habe. Außerdem wird das Justizministerium 80
Fälle neu untersuchen, in denen Häftlinge in den vergangenen fünf Jahren
über Misshandlungen geklagt hatten.