Über tausend Menschen haben sich am 6. Juni im Rahmen verschiedener Veranstaltungen und Aktionen, gegen eine neonazistische Versammlung in der Fontanestadt Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin, Brandenburg) positioniert.
Zum so genannten „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) waren ungefähr 500 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Die Zahl entspricht in etwa den Teilnehmer_innenzahl der vormaligen Veranstaltungsorte in Wolfsburg (2013) und Dresden (2014).
Während die Neonazis jedoch bisher an allen vormaligen Standorten der TddZ-Kampagne bis zum Ende marschieren konnten, gab der diesjährige Versammlungsleiter der Veranstaltung bereits nach 1.200m auf. Mehrere hundert Menschen hatten zuvor alle wichtigen Punkte der Neonaziroute sowie mögliche Umgehungswege besetzt.
In Velten (Landkreis Oberhavel) führte ein NPD Funktionär außerdem eine Unterstützungskundgebung für den TddZ durch. Zu den befürchten Übergriffen auf Zugreisende kam es hier jedoch nicht. Ebenfalls wurden keine Ersatzaufmärsche für den diesjährigen TddZ bekannt.
Die Polizei war in der Region mit mindestens 1.000 Beamt_innen aus Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg im Einsatz.
Der nächste „Tag der deutschen Zukunft“ soll 2016 in Dortmund stattfinden.
Neonaziaufmarsch
Die Neonazis hatten sich in Neuruppin zunächst an der Bahnhaltestelle „Neuruppin West“ versammelt. Die Anreise erfolgte überwiegend mit der Bahn. PKW Reisende hatten ihre Fahrzeuge u.a. an Bahnhaltestellen vor Neuruppin geparkt und waren ebenfalls mit dem Zug angereist. In Velten hatte der örtliche NPD Stadtrat diesbezüglich auch eine Kundgebung an der Bahnhaltestelle „Velten (Mark)“ angemeldet. Nur vereinzelte Neonazigruppen steuerten Neuruppin direkt an.
Von der Bahnhaltestelle „Neuruppin West“ zogen die Neonazis dann ab 13.00 Uhr, äußert langsam und immer wieder zum Anhalten gezwungen, über die Präsidentenstraße, Puschkinstraße bis zur Neustädter Straße, Höhe Bushaltestelle „Kreisverwaltung“. Dort löste Anmelder und Versammlungsleiter, nach mehreren Redebeiträgen und Drohungen von Redner_innen die Situation eskalieren zu lassen den Marsch gegen 15.30 Uhr entnervt auf.
Die ungefähr 500 Teilnehmer_innen des Aufmarsches kamen überwiegend aus den Bundesländern Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen, Hamburg und Bayern. Vereinzelt waren auch Neonazis anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise den Niederlanden vertreten.
Politisch war auf dem diesjährigen TddZ die gesamte aktive Bandbreite des neonazistischen Spektrums vertreten. Die drei großen Neonaziorganisationen NPD/JN, die RECHTE und der „dritte Weg“ hatten zuvor zur Teilnahme am Aufmarsch aufgerufen und Parteifunktionäre entsandt. Des Weiteren waren auch viele so genannter „Freien Kräfte“ vertreten.
Dem Aufruf des Veranstalters, der Initiative „Zukunft statt Überfremdung“, mit T‑Shirts der aktuellen TddZ Kampagne zu erscheinen waren ungefähr ein Drittel der Teilnehmer_innen gefolgt. Das überwiegend in Rot gehaltene „Solishirt“, mit dem schwarz-weißen Fontane-Konterfei, konnte zuvor käuflich erworben werden. Ein großer Teil der Teilnehmer_innen erschien jedoch betont in schwarz. „Autonome Nationalisten“ und „Freie Kräfte“ bildeten auch einen so genannten „schwarzen Block“, dessen kämpferische Bedeutung am 6. Juni, im Gegensatz zum Aufmarsch am 1. Mai 2015 in Saalfeld/Saale (Thüringen) aber nur geringfügig war. Lediglich zum Ende der Veranstaltung deutete diese Formation einen zaghaften Ausbruchsversuch an, blieb jedoch kurz vor den Polizeiketten stehen.
Dennoch war die Stimmung während des Aufmarsches hochaggressiv. Vor allem Neonazis aus Berlin und Dortmund, die am Rande des Aufzuges liefen, bedrängten immer wieder Journalist_innen. Dass diese durch solche Provokationen auch im Sinne der Versammlung handelten, wurde durch Banner mit der Aufschrift „Lügenpresse“ im Aufzug deutlich.
Ein hohes, allerdings in erster Linie verbales Aggressionspotential hatten auch die Redner_innen während des Aufmarsches. Kurz vor dessen Abbruch ließ Beatrice Koch von „Freien Kräften Neuruppin / Osthavelland“ ihren Hass gegen die „Zecken“ in der Stadt frei Lauf und posaunte, dass sie an einem andern Tag gerne mal eine Grillparty bei sich zu Hause veranstalteten werde, von der aus dann anschließend ein „Abendspaziergang“ durch die Stadt folgen könnte. Selbstverständlich, wenn nicht soviel Polizei im Ort wäre.
Anmelder Dave Trick, NPD Stadtverordneter in Neuruppin, sowie Pierre Dornbrach (Landesvorsitzender der JN Brandenburg), Maik Eminger (Der dritte Weg) und Stefan Köster (Landesvorsitzender der NPD Mecklenburg-Vorpommern) versuchten in ihren Redebeiträgen ebenfalls die Menge anzustacheln. Ihre Drohgebärden verpufften jedoch unter der drückenden Sonnenhitze des Nachmittags.
Ein weiterer Redebeitrag kam übrigens nur noch von Sebastian Schmidtke, Landesvorsitzender der NPD Berlin. Die ebenfalls angekündigten Redner Michael Brück (stellvertretender Landesvorsitzender der Partei „Die Rechte“ in Nordrhein-Westfalen) und Maik Müller aus Dresden waren zwar anwesend, betätigten sich aber eher als Fotografen oder liefen am Rande des Aufzuges.
Antifa-Bündnis „NoTDDZ“ blockiert
Gegen den „Tag der deutschen Zukunft“ hatte bereits im Vorfeld das Antifa-Bündnis „NoTDDZ“ mobil gemacht. In einer Pressemitteilung vom 3. Juni 2015 wurde diesbezüglich erklärt: „Wir werden gemeinsam den „Tag der deutschen Zukunft“ verhindern“. Allerdings waren die Hürden hierfür bereits im Vorfeld sehr hochgestellt. Die Polizei hatte nämlich ihrerseits verlauten lassen, dass sie die Versammlungsfreiheit für alle Veranstaltungen an diesem Tag, einschließlich des Neonaziaufzuges, garantieren werde. Konflikte waren somit vorprogrammiert. „NoTDDZ“ blieb jedoch entschlossen: „Ziviler Ungehorsam und Blockaden sind für uns dabei das Mittel der Wahl“. Gemeinsam mit „viele(n) Antifaschist*innen aus mehreren Bundesländern“ wollte das Bündnis erfolgreich sein.
Diesbezüglich gab es offenbar mehrere, so genannter Fingerstrukturen, die an unterschiedlichen Punkten der Neonaziroute ungefähr gleichzeitig mit ihren Aktionen begannen. Erste Blockadepunkte gab es dann gegen 11.30 Uhr u.a. in der Puschkinstraße, im Bereich Heinrich Heine Straße und am Fontaneplatz. Als mehrere dutzend Antifaschist_innen in der Fehrbelliner Straße offenbar zu bereits bestehenden Blockaden durchbrechen wollten, setzte die Polizei Pfefferspray ein und nahm mehrere Personen kurzzeitig in Gewahrsam. Im Bereich Heinrich-Heine-Straße und Rosa-Luxemburg-Straße kam es auch zu einem Wasserwerfereinsatz.
In der Puschkinstraße Ecke Franz Künstler Straße leitete die Polizei den Neonaziaufzug an einer Blockade vorbei. Dabei kam es in erster Linie zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Neonazis und Gegendemonstrant_innen. Vereinzelt flogen aber auch Flaschen.
Weitere Blockaden in der Heinrich Rau Straße und der Thomas Mann Straße brachten dann den diesjährigen „Tag der deutschen Zukunft“ endgültig zum erliegen und führten letztendlich zur Aufgabe der Neonazis, die anschließend über eine unbelebte Umgehungsstraße zur Bahnhaltestelle „Neuruppin West“ zurückgebracht wurden.
Neuruppins Innenstadt blieb bunt
Ebenfalls gegen den „Tag der deutschen Zukunft“ engagiert hatte sich am 6. Juni auch die Neuruppiner Zivilgesellschaft. Sie hatte sich zuvor als Aktionsbündnis „Neuruppin bleibt bunt“ zusammengefunden und unter dem Motto: „Schöner leben ohne Nazis – Vielfalt ist unsere Zukunft“ ein breites politisches und kulturelles Rahmenprogramm für den 6. Juni zusammengestellt.
Die ersten Veranstaltungen begannen bereits ab 10.00 Uhr. Sowohl von der Bruno-Salvat-Straße im Südwesten Neuruppins, als auch von der Bahnhaltestelle „Rheinsberger Tor“, in der nordöstlichen Innenstadt, startete jeweils ein Demonstrationszug Richtung Zentrum. An beiden Versammlungen beteiligten sich ungefähr 400 Menschen. Ziel der Demonstrationen war der zentrale Schulplatz, auf dem unter dem Motto „Fest für Alle“ den ganzen Tag über verschiedene Musikgruppen sowie Redner_innen aus Politik und Gesellschaft auftraten. Dadurch blieb den Neonazis die Innenstadt weitgehend versperrt.
Hintergrund „Tag der Deutschen Zukunft“
Der „Tag der deutschen Zukunft“ ist eine im jährlichen Rhythmus veranstaltete Großversammlung, an der bis zu 750 Neonazis teilnehmen. Ursprünglich offenbar zunächst für den norddeutschen Raum, genauer gesagt Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg, konzipiert, fand der TddZ im vergangenen Jahr zum ersten mal außerhalb dieser Region, in Dresden, statt. Dort wurde auch die diesjährige Veranstaltung in Neuruppin erstmals öffentlich beworben. Angemeldet wurde der heutige Aufmarsch aber bereits Ende März 2014.
Nach dem letztjährigen TddZ am 7. Juni 2014 in Dresden begann die Initiative „Zukunft statt Überfremdung“, hinter der sich offenbar ortsansässige NPD Funktionäre als auch die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ verbergen, auch damit bundesweit in die Fontanestadt zu mobilisieren. Regelmäßig erschienen Vertreter_innen der Initiative bei einschlägigen Szeneversammlungen im Bundesgebiet oder führten eigene Veranstaltungen in Brandenburg durch.
Letztendlich hat sich der Aufwand aber nicht gelohnt. Die „Freien Kräften Neuruppin / Osthavelland“ waren einmal mehr in der Fontanestadt gescheitert. Außerdem haben sich die diesjährigen Veranstalter_innen dahingehend (szeneintern) blamiert, dass der „Tag der deutschen Zukunft“ in Neuruppin erstmals gestoppt wurde.
Das Ende der TddZ-Veranstaltungen steht hingegen noch nicht fest. Während des Aufmarsches in Neuruppin wurden nämlich bereits Flyer für die nächste Versammlung im Jahr 2016 verteilte. Diese soll in Dortmund stattfinden.
Fotos: hier
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