Neuruppins Bürgermeister Theel stellte Strafanzeige gegen Altnazi
NEURUPPIN Wegen eines angeblich in einer Auflage von 8000 Exemplaren verbreiteten Flugblatts hat Bürgermeister Otto Theel (PDS) eine Anzeige gegen den 89-jährigen Wilhelm L. wegen Verleumdung seiner Person und der Stadtverwaltung gestellt. Entsprechende Informationen des Polizeipräsidiums Potsdam und der hiesigen Staatsanwaltschaft bestätigte der Bürgermeister gestern auf RA-Nachfrage.
Im Flugblatt vom 10.Juni geht es um die Schließung des Bunkers im Jahr 2000. Der Jugendtreff war wegen seiner rechtsextremen Besucher und deren Aktivitäten geschlossen worden. Theel, so heißt es in dem Flugblatt, habe Wilhelm L. als „von seltsamen Ideen besessenen Rattenfänger“ bezeichnet.
„Geistiger Brunnenvergifter“
Nach Einsatz bei Wilhelm L.: Entsetzte Eltern und dicke Akten / Polizeisprecher: Zugriff, bevor Sicherungen durchbrennen“
NEURUPPIN Über Wochen hatte die Polizei die Wohnung des 89-jährigen Wilhelm L. observiert. Die Beamten wussten, dass bei dem als rechtsextrem geltenden Rentner Kinder und Jugendliche ein- und ausgehen. Von den Aktivitäten am 10.Juni jedoch war die Polizei überrascht.
An die 60 junge Ruppiner seien an diesem Tag in die Wohnung des Mannes gekommen und hätten sie wieder verlassen. Jeder wohl mit einem konkreten Ziel. Denn an diesem Tag wurden in ganz Neuruppin – selbst in den Außenbezirken – mehrere Tausend von Wilhelm L. unterzeichnete Flugblätter verteilt.
Das Beobachten der Wohnung setzte sich fort, bis die Beamten – man spricht von mehreren Dutzend – am vergangenen Freitag zugriffen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Durchsuchung der Wohnung des oft als Nazi-Opa bezeichneten Rentners keinen Erfolg hatte. In der Tat erklärt Potsdams Polizeisprecher Rudi Sonntag ganz offen, dass der Einsatz keine Reaktion auf einen direkten Anfangsverdacht für eine Straftat war. Auch habe eine erste Durchsicht der beschlagnahmten Akten keine eindeutigen Hinweise auf Volksverhetzung oder ähnliche Delikte ergeben, wobei die gesamte Auswertung noch Wochen in Anspruch nehmen kann. Der polizeiliche Einsatz hatte einen anderen Grund. Seit Jahren versammelt L. in seiner Wohnung Kinder und Jugendliche. Die spielen dort nicht nur Pool Billard. Wenn sie sich in altersschwachen Sesseln lümmeln, soll L. ihnen seine nationalsozialistischen Märchen erzählt haben. „Er kann Kinder beeinflussen und ist ganz gefährlich“, warnt der Polizeisprecher. Deshalb bestehe der Verdacht, das als Folge der Indoktrination Straftaten verübt werden könnten. Die Polizei habe hier, so Sonntag, vorbeugend gehandelt.
Als ehemaliger Soldat der Nazi-Wehrmacht und Absolvent einer SS-Schule erzähle Wilhelm L. den jungen Neuruppinern Kriegsgeschichten und berichte, wie in der Hitler-Diktatur mit Juden, Polen und anderen Ausländern umgesprungen wurde. Sonntag: „Er hat erzählt, wie man heute mit diesen Menschen umgehen sollte. Das sind typische nationalsozialistische, ausländerfeindliche und judenfeindliche Einstellungen.“
Eltern wunderten sich, wenn plötzlich im Zimmer ihres Sprösslings die Nazi-Zeit verherrlichende Plakate und Sprüche prangten. Nicht nur deshalb spricht Sonntag von einem „geistigen Brandstifter für unsere Jugend“. Als jüngst drei Jugendliche und zwei Heranwachsende vernommen wurden, die beschuldigt sind, den Jerusalemhain und den Fehrbelliner jüdischen Gedenkstein mit Nazi-Parolen beschmiert zu haben, stellte sich bei einigen eine Verbindung zu Wilhelm L. heraus. Diese hätten von L. verteilte Ausweise der „Heimattreuen Jugend“ besessen und sich oft im Dunstkreis des Rentners aufgehalten. Es sei auch nicht auszuschließen, dass sie das weiterhin tun. Zum Zeitpunkt der Schändungen im März hätte L. noch Einfluss auf jetzt Beschuldigte gehabt. „Die Saat hat gewirkt“, meint Sonntag und rechtfertigt nochmals den Einsatz vom Freitag: „Das war ein Zugriff bevor bei jemanden die Sicherungen durchbrennen.“
Mit der Durchsuchung der Wohnung von L. war es nicht getan. Die dort aufgegriffenen vier 13-jährigen Kinder und zwei Jugendlichen wurden nach Hause gebracht. Manche Eltern seien aus allen Wolken gefallen, als sie erfuhren, wo sich ihr Nachwuchs nachmittags aufhält. „Das waren nicht nur Kinder aus sozial schwachen Familien. Da war auch ein Kind eines Unternehmers dabei“, berichtet der Polizeisprecher. Er setzt darauf, dass diese Eltern künftig mehr auf den Umgang ihrer Kids achten. Schon der Umstand, dass die Kinderzimmer durchsucht wurden, dürfte höchst unangenehm gewesen sein.
Der Einsatz am Freitag, so hofft die Polizei, hat so manchem die Augen geöffnet. Man geht davon aus, dass diese Kinder nicht so schnell wieder bei dem Rentner erscheinen. Damit könnte L. an Einfluss verlieren. Soweit bekannt, hat er es vornhemlich auf sehr junge Menschen abgesehen, die er mit seiner antidemokratischen Ideologie beeinflussen will. In der Regel verlören dessen Besucher mit dem Älterwerden das Interesse, in die Wohnung an der Klosterstraße zu kommen. 13- bis 15-Jährige sind laut Sonntag in ihren Einstellungen noch nicht gefestigt. Menschen wie Wilhelm L. können sie nachhaltig negativ beeinflussen. Sie können aber auch noch aus diesem Sumpf rechtsextremer Ideologien gerettet werden, wenn Eltern oder Polizei eingreifen. Davon ist es abhängig, ob die Saat von Wilhelm L. aufgeht oder verdörrt.