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Nie wieder Deutsch-Wusterhausen!

Wie man unverse­hens unter einen Haufen Neon­azi-Rock­er ger­at­en kann, hat die Berlin­er Band KINT erlebt. von markus ströhlein

Musik­er ken­nen das. Plöt­zlich klin­gelt das Tele­fon und jemand fragt: »Kön­nt ihr mor­gen spie­len? Unser Bassist ist krank. Der Auftritt wäre in Königs Wuster­hausen. Ach ja, und Geld gibt es auch.« Es wird also Rück­sprache gehal­ten. Klaus, der Bassist, hat sich für den betr­e­f­fend­en Abend noch nichts vorgenom­men. Chris­t­ian, der Gitar­rist, hat eben­falls noch keine Pläne. Auch ich, der Schlagzeuger, habe Zeit. Wir reservieren uns einen Miet­wa­gen und rufen unseren Auf­tragge­ber zurück.

Er offen­bart weit­ere wichtige Details: »Also, da spielt nur ihr und eine Clas­si­crock-Cover­band. Der Auftritt find­et im Rah­men eines Bik­ertr­e­f­fens statt.«

Clas­si­crock? Bik­ertr­e­f­fen? Königs Wuster­hausen? Wo kön­nte eine Band wie unsere, die schrä­gen, ver­track­ten Nois­e­rock spielt, schlechter aufge­hoben sein als unter Rock­ern in der Prov­inz, die den ganzen Abend auf »Smoke on the Water« warten? Der Anrufer beschwichtigt uns. Die Bik­er woll­ten eben etwas Hartes.

Am näch­sten Tag sitzen wir in dem gemieteten Klein­bus. Vor uns fährt der Auf­tragge­ber. Er zeigt uns den Weg. Die Fahrt dauert nicht lange. Bald sind wir am Ende der Stadt, die sich prompt in ein Dorf ver­wan­delt. Man sieht Wiesen und Felder. Und dann sind wir da.

Unser Auf­tragge­ber gibt uns fol­gende Worte des Abschieds mit auf den Weg: »So, hier ist es. Ich kann lei­der nicht bleiben. Aber trotz­dem viel Glück!« Viel Glück? Was soll das denn heißen? Zeit, lange darüber nachzu­denken, haben wir nicht. Ein stäm­miger Bik­er winkt uns her­an. »Wir sind die Band«, sage ich. Er lotst uns kreuz und quer durch das Getüm­mel zu dem eigens für die Bands aus­gewiese­nen Park­platz direkt neben der Bühne. Er befes­tigt ein Absper­rband hin­ter unserem Bus. Mir ist, als sei ein Riegel ins Schloss gefallen.

Das Bik­ertr­e­f­fen find­et auf dem örtlichen Sport­gelände statt. Das Vere­in­sheim des »SG Grün-Weiß Deutsch-Wuster­hausen« befind­et sich nicht weit von der Bühne ent­fer­nt. Auf dem Platz davor ste­ht ein großes Zelt, in dem die Getränke verkauft wer­den. Nichts wie hin! Als ich über den Platz schlen­dere, fällt mir ein großer, muskulös­er Glatzkopf auf. Er trägt ein T‑Shirt mit der Auf­schrift: »Divi­sion Edel­weiß«. Dit is Deutsch-Wuster­hausen! Zurück an der Bühne begrüßt uns der Organ­isator der Ver­anstal­tung. Mein Blick fällt auf sein T‑Shirt. In großen Buch­staben ste­ht da der Name des Motor­rad­clubs: »Dotsch MC«. Ergänzt wird er durch die Unterzeile: »Ehre und Treue«. Mir wird flau im Magen.

Also nutze ich die halbe Stunde bis zum Sound­check, um mir Klarheit zu ver­schaf­fen. Am Auss­chank studiere ich die Vielzahl von Aufnäh­ern auf der Jacke ein­er Frau. Auf einem ist der Kopf eines Wehrma­chtssol­dat­en. Irgend­etwas von »Ehre« ste­ht auch noch darauf. Ein Bik­er hat sich einen Slo­gan auf seine Jean­s­jacke stick­en lassen: »Nation­al­stolz ist kein Ver­brechen!« Nicht weit von ihm sitzt ein­er, der ein T‑Shirt mit dem Kel­tenkreuz trägt. Etliche Rock­er haben Ket­ten mit dem Thor­sham­mer um den Hals. Ich laufe weit­er, vor­bei an der Hüpf­burg für die Kinder. Neben der Burg kön­nen die Kleinen auf Min­i­mo­tor­rädern fahren.

Etwa 200 Meter von der Bühne ent­fer­nt ver­anstal­ten einige Rock­er einen selt­samen Wet­tkampf. Sie schlep­pen Stein­blöcke um die Wette. Auf der Kutte eines Zuschauers ent­decke ich den Aufnäher: »Rot­front ver­recke!« Gle­ich daneben ste­ht ein­er mit der Reich­skriegs­flagge auf der Jacke. Ich meine, genug gese­hen zu haben, finde aber auf dem Weg zu meinen Band­kol­le­gen noch weit­ere Ekel­haftigkeit­en: ein T‑Shirt der Neon­az­iband »Lunikoff Ver­schwörung«, eines mit dem recht­sex­tremen Zahlen­code »14«, der auf den US-amerikanis­chen Neo­nazi David Lane zurück­ge­ht, und eines mit der Auf­schrift »Broth­er­hood«, das mit einem Reich­sadler und einem Eis­er­nen Kreuz verziert ist. Eine ganze Gang trägt diese Shirts. An einem Stand, der Flaggen, T‑Shirts und Aufnäher verkauft, kann man auch die Reich­skriegs­flagge erstehen.

Was sollen wir tun? Fliehen? Mit dem Bus durch die Men­schen­menge fahren? Das wäre nicht ger­ade unauf­fäl­lig und würde unter Umstän­den Fra­gen aufw­er­fen. Das Wichtig­ste ist, heil nach Hause zu kom­men. Wir sind drei, sie sind 300. Min­destens. Also eini­gen wir uns darauf, unauf­fäl­lig im Back­stage­bere­ich zu bleiben, zügig unser Pro­gramm zu spie­len und dann ganz schnell diesen schlim­men Ort zu verlassen.

Der Sound­check begin­nt. Der Ton­tech­niker stellt sich vor. Er hat eine san­fte Stimme und wirkt gelassen. Lei­der trägt er ein T‑Shirt mit der Auf­schrift: »Ter­ror­is­ten mit E‑Gitarren«. Das ist ein Zitat der Neon­az­iband Landser. Wir wer­den hier keine Ver­bün­de­ten find­en. Ich baue mein Schlagzeug auf. Es ist mit knallpinkem Satin­stoff verklei­det. Die Bik­er ziehen ein­deutig dun­klere Far­ben vor. Ich han­dle mir Gespött ein. Aber es kön­nte schlim­mer sein. Nie­mand ruft: »Lyncht die Schlagzeugschwuchtel!«

Nach dem Sound­check ziehen wir uns schnell in den Raum für die Bands zurück. Ich brauche etwas zu essen, um meine weichen Knie unter Kon­trolle zu bekom­men. Auf die Frage, ob es denn etwas Veg­e­tarisches gebe, deutet der Ober­rock­er nach draußen auf die Wiese und sagt lachend: »Da gibt es genug. Hau rein! Aber hier bei uns gibt es nur Fleisch.« Also kaue ich auf einem trock­e­nen Brötchen herum.

Klaus wagt sich auf die Toi­lette und wird wegen sein­er Nick­el­brille beschimpft: »Was bist denn du für ein­er? Hast du über­haupt schon ein­mal gear­beit­et?« Auch ich kann nicht umhin, die Toi­lette aufzusuchen, und begeg­ne dort einem glatzköp­fi­gen Riesen mit einem T‑Shirt der Marke »Thor Steinar«.

Vor unserem Auftritt wird vor der Bühne das lauteste Motor­rad ermit­telt. Der Gewin­ner erhält einen Preis. Nach der Dez­i­belmes­sung fan­gen wir an. Es stinkt nach ver­bran­ntem Gum­mi und Aus­puffab­gasen. Wir spie­len nicht für, son­dern gegen das Pub­likum. Die Rock­er applaudieren nicht. Nur ein paar Jugendliche tanzen vor der Bühne. Ein­er trägt ein Shirt der Band Dis­charge, ein­er eines von The Exploit­ed. Die Dorf­punks mögen uns also. Nach dem let­zten Stück kommt aus ein­er Ecke der Ruf: »Ihr kön­nt nach Hause gehen!« Liebend gern! Aber nicht ohne das Geld! Für uns ist es Schmerzensgeld.

Wir pack­en unsere Instru­mente ein und fahren mit dem Bus durch die Menge. Viele Men­schen sind mit­tler­weile da: Kinder, Bik­er, Skin­heads, »nor­male« Leute, Junge, Alte. Und alle feiern sie wahlweise ein Fam­i­lien- oder ein Dorffest, ein Bik­er- oder ein Neon­az­itr­e­f­fen. Da ist für jeden etwas dabei. Und nichts kann die Ein­tra­cht stören hier in Deutsch-Wuster­hausen. Endlich sind wir aus der Menge raus. Chris­t­ian tritt aufs Gaspedal. Nichts wie weg und nie wieder zurück! 

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