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Nur das Opfer bietet Rechtsextremen die Stirn


Von Cot­tbuser Mitläufern und vom Weg­guck­en der Zeu­gen eines brutalen
Über­falls / Amts­gerichts­di­rek­tor: Kein Einzelfall

(LR, 17.2.) Es geschieht am hel­l­licht­en Tag: Recht­sex­treme über­fall­en in Cot­tbus einen
16-Jähri­gen, schla­gen, treten und demüti­gen ihn — aus Rache, weil er nichts
mit einem von ihnen zu tun haben will. Die Zeu­gen der Tat, die Kumpels von
Mar­cel L., schauen aus Angst ein­fach weg, schweigen, alarmieren nicht einmal
die Polizei. Nur das Opfer fürchtet sich nicht. Seine Peiniger sind deshalb
jet­zt verurteilt worden. 

Stephan H. (20) trägt sein Haar raspelkurz, gerne eine schwarze Bomberjacke.
Er wirkt ungepflegt, hat drei Dieb­stäh­le auf dem Buck­el, ist Alkoholiker.
Die Arbeit­sagen­tur hält ihn wegen sein­er Trinksucht derzeit für nicht
förderungs­fähig. Seine Jugendgericht­shelferin charak­ter­isiert ihn als
“beque­men Men­schen mit Reifede­fiz­it, der nicht mit Geld umge­hen und sein
Leben nicht selb­st organ­isieren kann” , als einen Typen, “der Konflikten
eher auswe­icht” , als einen Lern­schwachen und Ver­hal­tensauf­fäl­li­gen, der
verken­nt, “dass er wegen seines Bil­dungs­stands momen­tan gar keine andere
Stelle als einen Ein-Euro-Job bekäme” . 

Seine Lehrstelle hat Stephan H. vor zwei Jahren ver­loren, weil er getrunken
hat. Eine sta­tionäre Entwöh­nung im Cot­tbuser Kranken­haus brach er nach einer
Woche ab. “Er braucht auf jeden Fall Hil­fe” , sagt seine
Jugen­drecht­shelferin. Und die hat sich Stephan H. an einem Samstagnachmittag
im Okto­ber dann auch geholt. 

Tat­mo­tiv: Ausgrenzung 

An diesem Tag glaubt er sich offen­bar bei Den­nis K. (19) an der richtigen
Adresse. Vor der Cot­tbuser Stadthalle zis­chen die bei­den ein Bier, quatschen
ein biss­chen. Da bit­tet Stephan H. Den­nis K. und Daniel P. um Unterstützung.
Er habe da ein “Prob­lem” mit einem anderen Jugendlichen, mit Mar­cel L.,
erzählt er ihnen. Der hat­te ihn ein paar Tage zuvor angepflaumt, dass er
sich ver­pis­sen solle, weil er mit den Recht­en nichts zu tun haben wolle. 

Die Drei fack­eln nicht lange, um das mal zu “klären” . Auf dem Spielplatz
hin­ter der Wohn­scheibe an der Cot­tbuser Stadt­prom­e­nade greifen sie sich den
Jun­gen aus ein­er Clique raus. Ein biss­chen schub­sen, dann schlägt ihm Dennis
K. auch schon zweimal die Faust ins Gesicht. Stephan H. schaut zu, als ginge
ihn das nichts an. Nur das Opfer aus­gelacht soll er haben. Daniel P. scheint
indes Blut geleckt zu haben, packt Mar­cel L. am Hals, drückt ihn an einen
Baum, zer­rt ihn ins Gebüsch. Nie­mand aus Marcels Clique auf dem Spielplatz
schre­it­et ein — auch nicht, als er gezwun­gen wird, sich hinzuknien, als ihm
Daniel P. seinen Springer­stiefel auf die Stirn drückt, um ihn am Boden zu
hal­ten, ihm gegen das Bein tritt. Und es hil­ft ihm auch nie­mand, als Dennis
K. danach noch auf ihn uriniert. 

Den­nis K. erscheint vor Gericht in Hand­schellen. Er ist wegen des Überfalls
schon im Jan­u­ar verurteilt wor­den, sitzt seine Strafe in Cot­tbus ab. “Ich
wollte das auf meine Art und Weise regeln. Deshalb habe ich Stephan
weggeschickt. Ich war wie im Rausch” , sagt er. “Ich war darauf aus, dass es
soweit kommt. Ich wollte mich vor den anderen pro­fil­ieren.” Von Reue keine
Spur. Nach sein­er Zeu­ge­naus­sage blinzelt Den­nis K. noch Daniel P. und
Stephan H. kom­plizen­haft zu. 

Warum er die bei­den anderen mitgenom­men hat, um seine eigene “Sache” zu
klären” “Weil ich mich allein nicht durch­set­zen kann” , sagt Stephan H. Er
scheint so etwas wie ein Mitläufer zu sein, ein­er, mit dem man alles machen
kann. Im Som­mer hat­ten ihn seine Kumpels nach einem Zechge­lage nachts vor
seine eigene Woh­nungstür geset­zt — split­ter­nackt war er anschließend einer
Polizeistreife in die Arme gelaufen. Seine “Fre­unde” hat­ten ihn vorher
ausgezogen. 

Niedrige Gewaltschwelle 

Mit einem wie Daniel P. hätte das wohl nie­mand gemacht. Der wirkt wie ein
ganz anderes Kaliber als Stephan: Glatze, Pierc­ing, Sprin gerstiefel,
schwarze Hose “und bei Alko­holkon­sum eine äußerst niedrige Frus­tra­tions- und
Gewaltschwelle” , wie Rich­terin Mar­i­on Rauch ihm attestiert. 

Seine Bekan­nten ord­nen Da-niel P. der recht­en Szene zu. Er gilt als harter
Hund. Acht Ein­träge weist das Bun­deszen­tral­reg­is­ter für den 22-Jähri­gen aus:
zwei Kör­per­ver­let­zun­gen, schw­er­er Dieb­stahl, Sachbeschädi­gung, vorsätzliches
Fahren ohne Fahrerlaub­nis — ein Kerl, der den Kon­takt zu seiner
Bewährung­shelferin ein­fach abge­brochen hat, den die Aufla­gen für die
Aus­set­zung sein­er Bewährungsstrafe keinen Deut scheren, der sich auch der
Andro­hung eines Unge­hor­sam­sar­restes nicht beugt, seit dem Som­mer arbeitslos
ist und von Hartz IV lebt. 

Warum Mar­cel knien musste” Um ihn klein zu machen, als Demü­ti­gung” “Ja” ,
antwortet Daniel P. “Kann schon sein, dass ich ihn getreten habe. Aber das
mit dem Anpis­sen ging mir zu weit, weil das abar­tig ist. Da bin ich
gegangen.” 

Nie­mand alarmiert die Polizei 

Am Abend nach der Tat stellen Ärzte bei Mar­cel L. Prel­lun­gen am Schädel, am
Knie und an den Unter­schenkeln fest. Nie­mand aus sein­er Clique hat­te ihm
geholfen, nie­mand hat­te die Polizei gerufen, nie­mand will seinen Namen
nen­nen — obwohl sie das Gebrüll gehört, zumin­d­est die ersten Schläge gesehen
haben müssen. Nur ein einziges Mäd­chen wagt es, ihn als Zeu­g­in zu begleiten,
als er Anzeige erstat­tet. Warum” Ein 17-Jähriger, der das Geschehen
beobachtet hat­te, sagte noch im Nach­hinein: “Ich mis­che mich nicht in Sachen
ein, die mich nichts ange­hen.” Und auch ein anderes Mäd­chen rechtfertigte
sich später: “Weil man dann von den Leuten selb­st eins auf die Schnauze
kriegt.” Ein Einzelfall? Der Cot­tbuser Amts­gerichts­di­rek­tor Wolfgang
Rupieper schüt­telt den Kopf. Er ken­nt dieses Ver­hal­tens­muster. “Zeu­gen
guck­en weg, weil sie während des Über­griffs Angst haben, und andere greifen
nicht ein, weil sie mit den Recht­sex­tremen sym­pa­thisieren” , analysiert er.
“Und andere wiederum fürcht­en nach ihrer Zeu­ge­naus­sage Repres­salien. Da
reicht schon oft die Dro­hung, ich weiß wo dein Auto oder dein Fahrrad
steht.” 

Spätestens nach der Aktenein­sicht der Täter-Anwälte treten die Zeu­gen aus
der Anonymität. Das ver­schließt manch einem den Mund. “Ich kenne aber auch
Beispiele” , sagt Rupieper, “da steigen selb­st Beschuldigte nicht aus, weil
sie Angst haben, danach von den Punks oder ihren eige­nen Leuten verdroschen
zu werden.” 

Angst ver­schließt den Mund 

Ohne Zeu­gen aber ste­ht Aus­sage gegen Aus­sage — die Täter ent­ge­hen dann ihrer
Strafe, weil ihnen vor Gericht nichts nachzuweisen ist. Im September
ver­gan­genen Jahres nutzte einem recht­sex­tremen Trio, das einen 17-Jährigen
in dessen Woh­nung mit einem Base­ball-Schläger über­fall­en hat­te, aber selbst
das nichts. Zwar war das Opfer, zugle­ich der Hauptzeuge, unter­ge­taucht, nahm
an der Ver­hand­lung nicht teil — für Rich­terin Mar­i­on Rauch damals ein Beleg,
mit welch­er Bru­tal­ität die drei über ihn herge­fall­en sein müssen. Die
Polizei hat­te seine Aus­sage aber pro­tokol­liert, die Täter waren geständig.
Zu ein­er Verurteilung des Trios reichte es trotzdem. 

“Auch ich hat­te vor der Ver­hand­lung Angst” , sagt Mar­cel L. “Jet­zt aber geht
es.” Als er das Urteil hört, atmet er tief durch. Daniel P. muss für ein
Jahr hin­ter Git­ter, Stephan H. zwei Wochen in den Jugen­dar­rest und in die
sta­tionäre Alko­hol-Entwöh­nung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

Als Marcels Mut­ter, eine 36-jährige Haus­frau, die Täter danach vor der
Stadthalle zur Rede hat­te stellen wollen, war sie noch nur ausgelacht
wor­den. “Und als ich ihnen sagte, dass wir Anzeige erstat­tet ha
ben, rief
ein­er: ‚Dann geh ich eben noch mal in den Knast, aber wenn ich wieder
rauskomme, kön­nt ihr was erwarten′” , erzählt sie. Zumin­d­est das Lachen ist
dem Trio inzwis­chen wohl vergangen.

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