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Nur kein Opfer sein

(http://www.j‑zeit.de/archiv/artikel.82.htmlJüdische Zeitung, Moritz Rein­ing­haus) Mit der Pressemit­teilung ist er nicht so richtig glück­lich. Denn in der in kämpferischem Ton ver­fassten Schrift wurde er gle­ich mehrfach als «Opfer» beze­ich­net. Und ein Opfer möchte Den­nis Mil­hol­land als aller­let­ztes sein. Auch nicht jenes Über­falls, der ihn nun vor Gericht brin­gen wird. Am 25. Jan­u­ar wird die Ver­hand­lung vor dem Amts­gericht Pots­dam gegen ihn eröffnet. Wegen Kör­per­ver­let­zung. Wie es dazu kam, ist schnell erzählt. Das Ganze dauerte ja nur rund 15 Minuten und ist, im Grunde, wie Den­nis Mil­hol­land heute sagt, eine Lap­palie. Am 27. Mai 2005 hat­te er mit zwei Fre­un­den eine kul­turelle Ver­anstal­tung in der bran­den­bur­gis­chen Lan­deshaupt­stadt besucht. Auf dem Heimweg nach Berlin holten sie sich an ein­er Döner­bude noch was zu essen. In der Straßen­bahn woll­ten sie dann die Speisen verzehren, wur­den jedoch schon bald von drei jun­gen Män­nern angepö­belt. Mit Sprüchen wie «die Knoblauch­fress­er fressen Türken­scheiße». Nein, als Neon­azis oder Skin­heads seien sie nicht ein­deutig zu erken­nen gewe­sen. «Sieg Heil» riefen sie den­noch. Beim Aussteigen am Pots­damer Haupt­bahn­hof wurde ein­er sein­er Fre­unde dann von einem der Täter, Oliv­er K., mit dem Oberkör­p­er angerem­pelt und als «Nig­ger» beschimpft, und Oliv­er K. rief: «Du bist so hässlich, ich haue Dir aufs Maul» oder: «Ich ficke Euch bis Hirn spritzt». Außer­dem fie­len schwu­len­feindliche Äußerun­gen. Den­nis Mil­hol­land spricht mit englis­chem Akzent und ist kör­per­lich behindert.

Mil­hol­land und seine Begleit­er woll­ten dann am Pots­damer Haupt­bahn­hof in die S‑Bahn steigen. Auf dem Weg zu den Gleisen wur­den sie weit­er­hin ver­fol­gt und beschimpft. Sie haben auf Englisch geant­wortet, in der Hoff­nung, dass die Besitzer der noch geöffneten Läden von einem Über­griff auf Touris­ten aus­ge­hen. Doch die Rech­nung sollte nicht aufge­hen, nie­mand ergriff Partei für sie, kein­er rief die Polizei. In die S‑Bahn fol­gte ihnen nur ein­er der Jugendlichen. «Fast noch ein Kind» nen­nt Mil­hol­land Oliv­er K., der zur Tatzeit erst 24 Jahre alt ist. Er ist nun allein, für Mil­hol­land, der lange an der Freien Uni­ver­sität Berlin in der Sucht­präven­tion gear­beit­et hat, ein Indiz dafür, dass hier Dro­gen im Spiel waren. «Solche Leute sind für gewöhn­lich mehr als schüchtern, wenn sie nicht in der Gruppe sind».

Erneut wurde nun ein­er der Begleit­er Mil­hol­lands belei­digt und geschla­gen. Als Den­nis Mil­hol­land den Angreifer am Arm fes­thielt, um ihn von weit­eren Schlä­gen gegen den Fre­und abzuhal­ten, schlug K. ihn unver­mit­telt und hart ins Gesicht. Da Den­nis Mil­hol­land auf einem Auge blind, auf dem anderen stark sehbe­hin­dert ist, hat­te er den Schlag nicht kom­men sehen. Sein Ohr begann zu bluten. Dann stieß K. den heute 57-jähri­gen Mil­hol­land zu Boden, trat auf ihn ein. Doch Den­nis Mil­hol­land schaffte es, wieder aufzuste­hen. K. stand Mil­hol­land nun gegenüber, sah ihn wütend an und fragte ihn, ob er blind sei. Als Den­nis Mil­hol­land dies bestätigte, griff K. sein Opfer erneut an. Dann steckt K. Mil­hol­land den Zeigefin­ger in den Mund, um ihm mit dem Dau­men die Kehle durchzu­drück­en. Da hat er zuge­bis­sen. Es sieht also alles nach einem klaren Fall von Notwehr aus, doch die Staat­san­waltschaft in Pots­dam sieht das anders, denn Den­nis Mil­hol­land ist HIV-positiv.

Fast zwei Jahre nach dem Über­fall sitzt Den­nis Mil­hol­land in sein­er Woh­nung in Berlin Friedrichshain und erzählt die Geschichte so, als hätte er sie eigentlich schon längst vergessen, lägen da nicht die Vor­ladun­gen des Pots­damer Amts­gerichts auf dem Tisch. Denn als endlich die Beamten der Bun­de­spolizei ein­trafen, war die Sache noch nicht been­det. Weil der Gebis­sene aus dem Fin­ger blutete, informierte ihn Mil­hol­land nach eige­nen Angaben über seine Krankheit — damit K. sich vor­sor­glich in ärztliche Behand­lung begeben kon­nte. Die Staat­san­waltschaft dahinge­gen inter­pretiert dies als «Psy­choter­ror»: Er habe den Angreifer in Panik ver­set­zen wollen. Wie auch immer, der Gebis­sene war, offen­sichtlich in Aufre­gung, zu den Beamten gelaufen und hat­te diese über den Vor­fall unter­richtet. Diese seien dann, so erzählt Mil­hol­land, mit Gum­mi­hand­schuhen und zuerst ein­mal duzend mit ihm und seinen Begleit­ern umge­sprun­gen. Dass inzwis­chen das medi­zinis­che Gutacht­en, das ihm bestätigt, dass er der­jenige ist, der bei ein­er Infek­tion in Lebens­ge­fahr schwebt, gegen ihn ver­wandt wird, ist für ihn schlichtweg grotesk. Auch, dass er und die mit ihm über­fal­l­enen zuerst ein­mal in Polizeige­wahrsam genom­men wur­den, während der inzwis­chen recht­skräftig verurteilte K. mit Blaulicht und Mar­tin­shorn ins städtis­che Klinikum gebracht wurde. Mil­hol­land, der nach der Attacke aus dem Ohr blutete, durfte dahinge­gen noch nicht ein­mal die Papier­taschen­tüch­er in die Müll­tonne wer­fen. Irgend­wann erbarmte sich ein Beamter und er kon­nte die bluti­gen Tüch­er in seinem Gum­mi­hand­schuh entsor­gen. Der wurde dann in der Klinik fachgerecht beseit­igt. Aus all dem spricht für Mil­hol­land vor allem eins: Unken­nt­nis über HIV. Immer­hin seien ihm nur drei Fälle weltweit bekan­nt, in denen durch Bisse das Virus über­tra­gen wurde. In allen dreien sei jedoch der Gebis­sene infiziert gewesen.

Wenig ver­ständlich ist auch der Umstand, dass sich noch nicht ein­mal K.s Verurteilung auf das Ver­fahren gegen Mil­hol­land auswirk­te. Auch seine Anzeige wegen ver­sucht­en Totschlags wurde nicht in die Anklage gegen K. aufgenom­men, seine Anzeige wegen Strafvere­itlung im Amt gegen den zuerst zuständi­gen Staat­san­walt eben­so. Auch das Ver­fahren gegen die Bun­de­spolizei wegen unter­lassen­er Hil­feleis­tung wurde eingestellt. Stattdessen wirft ihm die Pots­damer Staat­san­waltschaft vor, «eine andere Per­son mit­tels ein­er das Leben gefährde­ten Behand­lung kör­per­lich mis­shan­delt oder an der Gesund­heit geschädigt zu haben». Ihm dro­hen bis zu zwei Jahre Haft.

Auch wenn Den­nis Mil­hol­land sich der Etikette «Jude» ver­wehrt, betont er, dass seine Reak­tion auf den Über­griff ohne die Geschichte sein­er Fam­i­lie kaum zu ver­ste­hen ist. Noch für ihn, als nach dem Zweit­en Weltkrieg Gebore­nen war die Trau­ma­tisierung durch die Juden­ver­fol­gung spür­bar. Etwa bei seinem Vater, der in Irland geboren wor­den war. Die Fam­i­lie hat­te sich im 17. Jahrhun­dert in Haifa ange­siedelt und von dort aus Han­del nach Hol­land betrieben, daher stammt der Fam­i­li­en­name. Dieser sollte sich später, als sich die Vor­fahren dann in Irland nieder­ließen, als nüt­zlich erweisen. Da es auf der Insel den Namen Mul­hol­land gibt, fiel die jüdis­che Abstam­mung nicht sofort auf. Doch Schwierigkeit­en gab es den­noch, waren doch einige Ahnen Mil­hol­lands in der irischen Rev­o­lu­tion engagiert. Studieren kon­nte sein Vater obwohl er an ein­er jüdis­chen Schule das Abitur gemacht hat­te, trotz­dem nicht. In Irland, weil er Jude war, in Eng­land nicht, da er aus Irland kam. Also ging er nach Berlin, studierte an der Friedrich-Wil­helm-Uni­ver­sität. Bis er 1938 das Land ver­lassen musste. Inzwis­chen hat­te er auch seine Frau ken­nen gel­ernt, eine Jüdin aus Alge­rien. Die Eltern flo­hen dann nach Por­tu­gal, da die Fam­i­lie der Mut­ter Kon­tak­te hier­her hat­te. Von hier aus gelangten sie in die USA.

«Ich bin Sepharde», sagt der 1949 in Kansas City, USA, geborene Den­nis Mil­hol­land. Sein zweit­er Vor­name Patrick ist, eben­so wie sein erster, Pro­voka­tion und Schutz zugle­ich: Den­nis, der katholis­che Schutz­pa­tron der Fran­zosen, Patrick jen­er der Iren. Auf­grund sein­er sephardis­chen Abstam­mung sei er bei den Juden Berlins auf schwieriges Gebi­et gestoßen, als er in den 70er Jahren nach Berlin kam, um an der Freien Uni­ver­sität Jura zu studieren. So erin­nert er sich mit Grausen an den «großen Vor­sitzen­den» Heinz Galins
ki. Das war nicht seine Welt. Hans Rosen­thal oder Estron­go Nachama, der leg­endäre Kan­tor, sind ihm da schon in besser­er Erin­nerung geblieben. «Meine Güte, hat der eine Stimme gehabt», erin­nert sich Mil­hol­land. Einen Licht­blick nen­nt Mil­hol­land den in Griechen­land gebore­nen Nachama. Damals, als er nach Deutsch­land kam, war «Jude» nach wie vor ein Schimpf­wort. Schon damals wurde die ver­heerende Geschichte der Juden in Deutsch­land für ihn spür­bar, auch wenn er die Phase, in der er selb­st ein wenig «angekoschert» gelebt habe, bald hin­ter sich gelassen und seine Meno­ra ver­schenkt hat. Das war vor rund 20 Jahren. Inzwis­chen find­et er in fer­nöstlichen Tra­di­tio­nen spir­ituelle Anre­gung. «Da geht es weniger verknif­f­en zu als bei unser Mis­ch­poche» begrün­det er diesen Wechsel.

Er arbeit­ete damals in der amerikanis­chen Botschaft in Ost-Berlin als Dol­metsch­er. Die hat­ten ihn nur genom­men, weil er vorher für kurze Zeit im Viet­namkrieg gewe­sen war. Auch in der Zeit als in der er zwis­chen Osten und West­en pen­delte hat er viel erlebt, wie er beim Studi­um sein­er Stasi-Akten habe fest­stellen müssen. Auch sein dama­liger Fre­und arbeit­ete für den ost­deutschen Geheim­di­enst. «Die woll­ten eigentlich nur wis­sen, ob ich schwul bin» ver­mutet er heute. Wenn sie ihn gefragt hät­ten, hätte er es ihnen gesagt.

Anfang der 90er Jahre war er dann tot. «Ich bin damals gestor­ben», sagt er. Nur weil damals die neuen Medika­mente gegen HIV auf den Markt kamen, gelang ihm der Schritt zurück ins Leben. Es wird deut­lich, warum Den­nis Mil­hol­land angesichts der halb­starken Angreifer höch­stens kurzfristig die Kon­trolle verliert.

Dann ist er in das Heimat­land seines Vaters gegan­gen und hat dort in Sachen AIDS-Präven­tion gear­beit­et — keine leichte Auf­gabe in einem Land, in dem so gut wie nicht über Sex­u­al­ität gesprochen wird, gle­ichgeschlechtliche Liebe nach wie vor tabuisiert wurde. Fasziniert hat ihn die jüdis­che Gemein­schaft in Dublin den­noch. Was früher ein­mal «Lit­tle Jerusalem» genan­nt wurde, beherbergt heute nur noch rund 400 Juden, die ehe­ma­lige Haupt­sy­n­a­goge wurde inzwis­chen zur Moschee umfunk­tion­iert. Es fasziniert ihn, wenn sich Gren­zen auflösen.

«Ich glaube nicht, dass die „Mein Kampf” gele­sen haben», sagt Mil­hol­land über die jugendlichen Angreifer aus Pots­dam und eröffnet zugle­ich einen größeren Rah­men: «Ich halte solche Vor­fälle für ein soziales Prob­lem» lautet die nüchterne Analyse Mil­hol­lands, der inzwis­chen als freier Über­set­zer und Ghost­writer seinen Leben­sun­ter­halt bestre­it­et und der in Vor­fällen wie jen­em im Pots­damer Haupt­bahn­hof noch immer die Nach­we­hen des «Drit­ten Reichs» spüren kann. «Es wäre begrüßenswert, wenn die Deutschen endlich zur Nor­mal­ität überge­hen würden». 

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